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Donnerstag, 20. Oktober 2016

Die große Grenze unserer Städte

Da ist eine Grenze, die wir errichtet haben und die noch größer ist als die Mauern die in der ganzen Welt gebaut werden. Eine Grenze, die aus uns selbst entsteht und aus der Kultur, aus welcher wir seit der Grundschule schöpfen. Es ist die Grenze, die aus unserem Egoismus und Wohlstand erwächst, eine Grenze die tötet noch bevor das Meer es tut. Eine Grenze der es gelingt, Ausbeutung, Tod und Diskriminierung zum „täglichen Sport“ werden zu lassen. Eine Grenze, die die Reichen von den Armen unserer Städte und Viertel trennt. Eine Grenze, die wir ziehen, um gut zu leben und um nicht den Blick jenseits der Mauer zu werfen, die wir erbaut haben.

Friedhof von Agrigento - Ph. Alberto Biondo



Nur so erklärt es sich, dass eine 17-jährige Eritreerin auf der Suche nach einer besseren Zukunft von einem LKW in einem Tunnel überfahren werden konnte und dass Obdachlose in völliger Gleichgültigkeit auf der Straße versterben, in einer Stadt wie Palermo, die sich selbst als gastfreundlich und immun gegen Diskriminierung und Rassismus bezeichnet.

Dies sind nur die letzten Vorfälle vom Tod an der Grenze und auch die Statistiken über die vom Meer verschluckten Toten vor Sizilien sprechen für sich: von 42 Ankömmlingen verstirbt einer; im Schnitt sterben 11 Kinder am Tag. Stündlich begeht man eine strafbare Handlung der Gleichgültigkeit in Zusammenhang mit diesen Massakern, die sowohl das internationale Recht als auch die Menschenrechte brechen. Menschen die zu Zahlen werden auf unseren Friedhöfen. Menschen die in der totalen Anonymität sterben, in einer Gesellschaft die sich daran gewöhnt hat Gräber ohne Namen und ohne Gesichter zu sehen. Es sind die Toten von niemandem, die Toten die wir nicht kennen wollen. 

Die Gräber von Migrant*innen im Friedhof von Favart - Ph. Alberto Biondo

All dies erklärt die Gründung einer Polizei für die europäischen Außengrenzen, die zunehmende Finanzierung der Frontex- Agentur sowie auch die bilateralen Abkommen mit blutrünstigen Diktatoren zugunsten unserer multinationalen Unternehmen. Es erklärt auch, warum am Hafen von Lampedusa, wo es trotz der kontinuierlichen Ankünfte keine Toiletten gibt und die Ankömmlinge, die auf den Bus für die Überfahrt zum Hotspot warten, ihr Geschäft in den Meeresklippen verrichten müssen. Oder warum 54 Minderjährige, geschwächt von einem langen Kampf gegen den Tod im Meer dazu gezwungen werden, die Nacht eingepfercht auf dem Boden des Hofes des Einwanderungsbüros von Palermo zu verbringen.

So kann man sich entscheiden, ein paar Millionen Euro einzusparen, indem man Landungsoperationen von 36 oder 42 Stunden an allen sizilianischen Häfen organisiert oder man Asylanträge von Minderjährigen ablehnt, nur weil diese bald volljährig werden. Die Grenze ist eine physische Mauer, welche den Weg behindert, aber es ist auch eine juristische Mauer, die Menschen dazu zwingt in Unsichtbarkeit zu leben und ihnen ihre Würde nimmt. Wir wollen diese Grenzen niederreißen, um zahlreichen Menschen auf dieser Erde, welche auf der Suche nach Schutz Gefahr laufen im Meer oder in unseren Städten zu sterben, die Freiheit wiederzugeben.

Alberto Biondo
Borderline Sicilia

Übersetzung aus dem Italienischen von Giulia Coda