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Donnerstag, 10. Juli 2014

Unseren Politikern gefällt der Notstand

Mit der Anlandung vorgestern in Trapani haben wir die Bestätigung, dass die Dinge, die geschrieben werden für den Notstand nicht gelten. Und so eröffnen sie weitere Zentren ohne die Regeln zu befolgen. Auch wenn seit dem 1. Juli, laut der Rundschreiben des Innenministeriums (Nr. 7418 vom 20 Juni 2014 und Nr. 5484 vom 27 Juni), CAS erst nach der erfolgreichen Teilnahme an einer Ausschreibung eröffnet werden dürfen und nicht einfach auf Vertrauensbasis. In Trapani, wie in auch in anderen Städten, sind die Präfekturen nicht bereit die Anordnungen des Ministeriums zu verwirklichen und so machen sie weiter mit der alten bewährten Methode.

Man nimmt ein Bed&Breakfast, eine Herberge, ein Ferienressort und platziert dort knapp hundert Personen; wenn wir Glück haben gehen sie, dann haben wir Platz für neue Ankömmlinge, während wir, wenn wir kein Glück haben, ihnen Essen geben müssen und einen Platz zum Schlafen. Es ist egal, ob man sie in Sälen oder in anderen ungeeigneten Orten zusammenpfercht. Für das Asylverfahren und den ganzen Rest wird später noch Zeit sein.
Und so hat die Präfektur trotz der hohen Anzahl der Personen in Trapani (die den Präfekten vor einigen Tagen erklären ließ, dass in den geöffneten Strukturen kein Platz mehr wäre) beschlossen zwei weitere Zentren zu öffnen und den Auftrag an das CARA von Salinagrande zu vergeben, was, um den 600 Personen Platz zu machen, die weitere Überfüllung der 30 vertragsgebundenen Zentren mit sich bringt. All das führt zu nichts anderem als der Vermehrung der Probleme: die neu mit der Situation konfrontierten Mitarbeiter machen die gleichen Fehler und die Einrichtungsleitungen bemühen sich mehr Platz in den Zentren zu schaffen, um mehr Geld in die Kassen zu bringen.
Das Schicksal dieser vielen Personen hängt an einem Faden. Zwischen dem Meer, der Nichtaufnahme, der bürokratischen Schwierigkeiten und der Langwierigkeiten, in der Hoffnung irgendeinen Mitarbeiter zu finden, der guten Willen zeigt und sich bemüht, trotz der Schwierigkeiten, zu vermeiden, dass die Personen im Netz der Schleuser enden, die sich heute noch mehr als gestern bereichern und deren Netz immer organisierter und stärker wird, dank einer Politik, die ihnen das erleichtert.

Aber der gute Wille reicht oft nicht aus und sinnbildlich dafür ist der Fall von Palermo: Die Stadt, die dachte sie wäre bereit aber in der die Migranten nun erheblichen  Schwierigkeiten gegenüberstehen. Stattdessen zeigt sie sich nicht in der Lage der Nachfrage an „Hilfe“ nachzukommen.
Der erste Knackpunkt ist die Aufnahme, die von ca. zwanzig Einrichtungen gestellt wird (von Piana degli Albaniesi bis Geraci, von Isnello bis Partinico und Borgetto, von Santa Flavia bis Palazzo Adriano) in denen die Personen einigen Freiwilligen anvertraut werden (hauptsächlich handelt es sich um Zentren der Caritas), ohne Verträge, wie es in den CAS (außerordentliche Aufnahmezentren) gemacht wird. Es handelt sich um Einrichtungen aus dem ehrenamtlichen Bereich, wo die Personen im absoluten Notfall aufgenommen werden, damit sie nicht auf der Straße landen, doch dann stehen sie in der Pflicht, wenn der Notfall über einen längeren Zeitraum andauert. Und so kommt es, dass alles Freiwilligen anvertraut wird, die in vielen Fällen die Rechtslage nicht kennen und so keine Angaben in Bezug auf die Vorschriften und das Asylverfahren machen können; Freiwillige, die die Personen in Krankenhäuser und Ambulanzen begleiten und sie dort dem Pflegepersonal übergeben, um zu anderen Personen zu eilen. Die Konsequenz ist das selten Therapien angewendet werden können, weil der Arzt auf Grund von Kommunikationsproblemen den Krankheitsverlauf nicht versteht. Ungeeignete Einrichtungen, die für wenige Tage der Aufnahme gedacht waren, in denen sich aber wegen des nicht ausreichenden Platzangebotes der Aufenthalt auf unbeschränkte Zeit verlängert. Die Folge sind Behelfsunterkünfte in großen Sälen ohne Klimaanlagen, durchmischt mit Kindern, Familien, Männern, die sich wenige Quadratmeter teilen. Auf rund 50 Personen kommen dabei ein oder zwei Bäder.
Nein, das ist keine Aufnahme, das schreiben wir schon lange!
Die Folge ist, dass die Migranten wegglaufen und sich Schleusern anvertrauen oder protestieren und als Bestrafung dafür in andere Zentren verlegt werden, vielleicht sogar in eines mit der gleichen Betriebsleitung, die die Personen benutzt wie Schachfiguren: normalerweise nimmt man den Anführer eines Aufstandes und verlegt ihn in ein anderes Zentrum, manchmal wird das Taschengeld als Bestrafung ausgesetzt um den Rest der Gruppe daran zu erinnern, dass die einzige Möglichkeit, um irgendetwas zu bekommen, die ist dem System zu folgen.
Die Folge ist, dass es Ärzte gibt, die ein diskriminierendes Verhalten an den Tag legen, wenn sie Untersuchungen oder Krankenbesuche verweigern, um nicht ihre eigene Praxis oder die eigene Gesundheit zu gefährden. Das passiert besonders häufig in den Provinzen, während es in Palermo Fälle von Gleichgültigkeit bezüglich der Untersuchungen gibt, die man ausfallen lässt oder Patienten die stundenlang ohne Erklärung gelassen werden, weil sie schwarz sind.
Das schlimmste ist, dass die Institutionen, die in einem ersten Moment mit den Vereinen zusammenarbeiteten, sich jetzt aber einigeln, weil sie überarbeitet sind oder einfach weil sie versuchen die Vorgänge unter den Teppich zu kehren und die nicht korrekten Prozeduren verstecken wollen.
Die Folge ist, dass das Polizeipräsidium von Palermo es nicht schafft (oder nicht will) die Aufenthaltsgenehmigungen zu erneuern und in Erwartung einer Antwort der Kommission, worauf man wie immer sehr lange warten kann, verlieren die Migranten einige ihrer Rechte, wie zum Beispiel die Einschreibung ins SSN (Nationaler Gesundheitsdienst).
Wenn sich die Probleme häufen, ist die einzige Möglichkeit die Schließung: die wenige Transparenz sorgt dafür, dass das System noch unergründlicher wird und die Hoffnungen der Personen, die über das Meer kommen, auf ein anderes Leben verschwinden immer mehr.
Leider ändern sich die Modalitäten nicht und auch bei der Anlandung gestern wurden die Personen in Zentren gebracht, oder um genauer zu sein, in Schlafsäle der Caritas (man weiß nicht genau wieviel die Präfektur der Caritas von Palermo insgesamt zahlt, denn es gibt keine Verträge wie bei den CAS). Die CAS sind am Ende ihrer Kapazität und es kommen immer noch Personen (weiteres Geld) ohne dass sich etwas ändert oder die Zahl der Vermittler erhöht wird; es gibt sogar Mitarbeiter-Koordinatoren, die drei oder vier Zentren zuständig sind und so die Probleme in den Zentren nicht wirklich gut kennen.
Im Laufe des heutigen Tages sind viele Migranten in die verschiedenen Krankenhäuser Palermos begleitet worden und dort in den Händen von mehr oder weniger aufmerksamen Ärzten gelassen worden. Auch die Minderjährigen werden allein gelassen (der Freiwillige muss zur Mittagszeit nach Hause um zu essen).
Und wir vergessen nicht, dass sie in der Kommune Palermo dabei sind zu „platzen“, denn die Sozialassistenten, die mit Leidenschaft und Aufmerksamkeit arbeiten schaffen es nicht mehr den Berg an Arbeit für all die unbegleiteten Minderjährigen zu bewältigen; die Zeiten sind lang und niemand entwirft mehr einen Plan, um die Sozialassistenten zu unterstützen, wie es vielleicht in anderen Städten geschieht, in denen der Vormund zum Beispiel ein Anwalt ist. Palermo dachte bereit zu sein, aber auch in Palermo gibt es die zauberhafte Geschichte des NOTSTANDES und so kann man alles auf dem Rücken der Migranten austragen.

Redaktion Borderline Sicilia

Aus dem Italienischen von Viktoria Langer