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Mittwoch, 2. Juli 2014

Borderline Sicilia besucht Palanebiolo in Messina

Am 23.06. ist uns der Einlass in das Zeltlager bei Pala Nebiolo in Messina gewährt worden. Die Mitarbeiter des Betreibers (RTI Senis Hospes, der auch La Cascina Cooperativa und den Consorzio Sol Calatino mitumfasst) haben uns bei unserem Besuch durch das Zeltlager geführt. Es war lediglich 10.30 Uhr am Morgen, aber die Sonne glühte und es herrschten unvorstellbare Temperaturen im Inneren der Zelte.
Während des kurzen Rundgangs ist es uns aus sog. Gründen des Schutzes der Privatsphäre nicht erlaubt worden in die Zelte hineinzuschauen. Wir sind auch zum großen Pavillon geführt worden, der als Kantine fungiert und wo man uns auf die Trittbretter aufmerksam gemacht hat, die von der Präfektur finanziert wurden, um den Zugang von den Zelten zu der Mensa zu gewährleisten, ohne  in den Sumpf zu fallen, der sich in durch die vielen Regentage dieses Winters gebildet hatte. Den Gästen werden drei Mahlzeiten am Tag garantiert, die von der Kooperative La Cascina geliefert werden. Es gibt 18 Toiletten und 10 Duschen.


Insgesamt waren zur Zeit unserer Besuchs 249 Migranten im Aufnahmelager untergebracht. Sie kommen alle  aus afrikanischen Ländern vorwiegend aus Mali, Nigeria und Gambia. Es handelt sich um 2 Gruppen, die bereits am 7. und 10. Juni in der vorübergehenden Erstaufnahmeeinrichtung angekommen sind. Die Verweildauer in der Einrichtung  übersteigt daher im hohen Maße das vorgesehene Limit von 72 Stunden.

Es handelt sich insgesamt um 36 Zelte, jeweils mit 7 Plätzen. Die Einrichtung wird daher bis zur maximalen Kapazität  benutzt. Wobei derzeit zum Glück die Turnhalle, die bei der Anlandung am vergangenen 9. April wiedereröffnet wurde (obwohl die Schließung wegen hygienischer–gesundheitlicher Gründe einige Monate vorher angeordnet wurde), geschlossen bleibt.

Die Mitarbeiter und Leiter der Einrichtung standen bereitwillig zur Verfügung, um über ihre Tätigkeit in der Einrichtung selbst zu sprechen, indem sie uns auch interne Unterlagen über alle angebotenen Leistungen zur Verfügung stellten.

Sie haben über den Rechtsberatungsservice gesprochen, der die Ausstattung mit ersten allgemeinen Informationen über das Asylrecht innerhalb von 24 Stunden nach der Ankunft der Gäste vorsieht. Dieser Service ist gewährleistet durch einen Rechtsbeistand, der mit dem Betreiber einen Mitarbeitervertrag hat und auch für Einzelgespräche zur Verfügung steht. Die allgemeinen Informationen werden mithilfe der kulturellen Mediatoren übermittelt.

Die Außenabteilung der Einwanderungsbehörde des Polizeipräsidiums von Messina, die sich im Inneren der Einrichtung befindet, garantiert auch das Ausfüllen und Bearbeiten des C3-Antrags, aber bisher hatte niemand der seit über zwei Wochen dort lebenden Asylbewerber den Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Ein Treffen mit einem Sozialarbeiter ist auch innerhalb der ersten 48 Stunden nach Ankunft vorgesehen. Dieser arbeitet täglich in der Einrichtung und zeigt den Gästen deren Rechte und Pflichten in dem Lager sowie auch die Gebräuche und Sitten der Stadt, um die Integration in das soziale Umfeld zu begünstigen.

Der ärztliche Betreuungsdienst wird hingegen durch einen Chirurgen gewährleistet, der einen professionellen Vertrag mit dem Betreiber hat und der neben dem täglichen  Besuch am Nachmittag, wenn notwendig, 24 h täglich zur Verfügung steht. Man hat uns ebenso ein Muster einer Krankenakte gezeigt, in der eine allgemeine Anamnese, die dem Screening bei der Ankunft in der Einrichtung folgt, und das klinische Tagebuch, in dem eventuelle Problematiken oder Unwohlsein des Patienten aufgeführt sind, sowie eventuelle  Untersuchungen bei Spezialisten und schließlich die verabreichten Behandlungsmethoden enthalten sind.  

Positiv überrascht uns die Registrierung im Nationalen Gesundheitsdienst SSN (Servizio Nazionale Sanitario) jedes Gastes mit der Folge der Aktivierung des STP (Straniero Temporaneamente Presente, übersetzt: Ausländer mit vorübergehenden Aufenthalt – mit dieser Einordnung erhalten irreguläre nicht EU-Ausländer den Zugang zum Gesundheitssystem in Italien, Anm. d.Übers.). Dies erfolgt innerhalb 6 Tagen nach der Ankunft. Obwohl der Zugang zum ärztlichen Betreuungssystem ein fundamentales Recht darstellt, wissen wir, dass viele staatlichen Einrichtungen Asylbewerber auch für lange Zeiträume unterbringen, ohne die Registrierung zum nationalen Gesundheitsdienst vorzunehmen (siehe CARA/CDA/CIE di Pian del Lago di Caltanissetta)

Die Sprachmittlung wird durch 3 Mitarbeiter gewährleistet, zwei französischsprachige aus der Elfenbeinküste und einem Mann aus Gambia.

Die Ausgabe des Taschengeldes erfolgt in Form von Zigaretten, internationalen Telefonkarten, Feuchtigkeitscremen oder einem Italienischbuch. Die Gäste können sich aussuchen, wie sie das Taschengeld “ausgeben” möchten, indem sie einer dieser Produkte im Bazar der Einrichtung “kaufen”.  Auch hier sind uns die Belege  gezeigt worden, auf denen der Name eines jeden Gastes mit Unterschrift und der Angabe des Produktes aufgeführt sind.

Die Auswahl ist gewiss größer als in anderen Einrichtungen, wo z.B. nur die Verteilung von Zigaretten vorgesehen ist, aber es wird nicht die Möglichkeit gewährt, über die 2,50 Euro täglich auch außerhalb der Einrichtung zu verfügen. Die Leiter der Einrichtung haben die Möglichkeit angedeutet, das Taschengeld zu sparen, aber es ist nicht erkennbar gewesen, auf welche Weise es dem Gast vor seiner Verlegung in eine andere Einrichtung erstattet wird, weil die Umwandlung in Geld nicht vorgesehen ist.

Wir hatten auch die Möglichkeit, direkt mit den Gästen zu sprechen, immer in Anwesenheit des Teams der Einrichtung, die uns auch die Sprachmittler zur Verfügung gestellt hat. Wir haben aber bevorzugt, so wenig wie möglich davon Gebrauch zu machen, um einen direkten Dialog zu haben.  Es wurde uns die Präsenz des Arztes jeden Nachmittag bestätigt, während uns bezüglich des Rechtsberatungsdienstes gesagt wurde, dass das Treffen einige Tage nach der Ankunft erfolgt ist und nur eine knappe Stunde gedauert hat. Es schien uns, dass die Beratung allgemein gehalten wurde und dazu diente, den Gästen zu vermitteln, dass es sich um eine vorübergehende Aufnahmeeinrichtung handelt, von der sie aus sobald wie möglich verlegt werden. Der Vertreter des Betreibers hat uns gebeten, ihnen noch einmal zu bestätigen,  dass der Rechtsanwalt zu Einzelgesprächen nach vorheriger Terminabsprache zur Verfügung steht.

Der Gesamteindruck ist, dass die Verwaltung einigermaßen zufriedenstellend erfolgt. Man könnte sie sogar als gut bezeichnen, wenn die Verweildauer in Einrichtung die gesetzliche Grenze von 72 Stunden nicht überschreiten würde. Leider besteht das grundlegende Problem fort, das in allen Erstaufnahmeeinrichtungen verbreitet ist, nämlich die Verweildauer von Wochen in diesen Einrichtungen in denen eine insbesondere strukturelle Ausstattung für eine menschenwürdige Aufnahme fehlt.

Giovanna Vaccaro
Borderline Sicilia Onlus

Aus dem Italienischen von Lan Gatti