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Donnerstag, 17. Oktober 2013

Man kann zwei Mal sterben

Während im Fernsehen und in den Zeitungen die Fotos und Bilder von gerührten und erschütterten Politikern umgehen, die die Toten bedauern, die sie selbst auf dem Gewissen haben, sterben die Migranten weiter. Denn in Italien kann man zwei Mal sterben... Gestorben wird im Meer, doch momentan wird auch in den Turnhallen, in den Zentren oder draußen  vor einem Zelt gestorben. Ja, es stirbt auch die Hoffnung, nach zwei Monaten eingesperrt in einer Turnhalle ohne jeglichen Kontakt nach außen und ohne die Möglichkeit einen Asylantrag zu stellen.
Ein Land, das Menschen so behandelt, ist nicht zivil , aber in diesem System zählen die Menschen nicht, sie sind nur Nummern! Heute scheint es noch klarer als gestern, dass nicht ein Funken Aufmerksamkeit gegenüber dem Migrationsphänomen vorhanden ist, und vor allem gibt es keinen Respekt gegenüber den Verstorbenen.
Zuerst die würdelose Behandlung gegenüber den Angehörigen der Opfer des Unglücks vor Lampedusa, die ihrem Schicksal überlassen wurden, nicht angehört von der Obrigkeit und aufgenommen nur von den Lampedusanern, die wie immer ihre Häuser und Lebensmittel zur Verfügung gestellt haben. Dann die Schande des Staates, der alles dafür getan hat, um Zeit und Ausführung der Beisetzung vor den Leuten zu verstecken. Mit dem Resultat, dass sich die Mehrzahl der Bestattungen in absoluter Stille abgespielt haben, ohne würdevolle Zeremonie. Und ohne Respekt für denjenigen, der eine ungeheure Tragödie durchgemacht hat, wurden die Überlebenden verteilt nach Sizilien verlegt. Von Trapani nach Messina, nach Caltanissetta und Porto Empedocle. Die meisten von ihnen befinden sich schlechter Situation und inadäquaten Konditionen.
In Messina sind zum Beispiel nach einem Fußmarsch von Pozzallo über Catania 52 Eritreer in die Pala Nebiolo aufgenommen worden, eines Sportplatzes der von der Universität Messina zur Verfügung gestellt wurde. „Aufgenommen“ in einem paradoxen Sinne. Für drei Tage wurden die Migranten wortwörtlich auf dem Gelände eingesperrt und erst nach schallenden Protesten auf Seiten von Aktivisten ist es gelungen die Erlaubnis auf eine „Freistunde“ für die Migranten zu bekommen. In diesem Fall hat sich auch die Präfektur Messina an die Gepflogenheiten der anderen sizilianischen Präfekturen gehalten, das Umwandeln von Sporthallen in CIE.
Ja, ohne einen Hauch von Zweifel, Italien ermordet die Menschen, die fern von Erniedrigung und Gewalt nach einem besseren Leben suchen, indem sie alle Formen von Unterdrückung nutzen, um die Ausdauer der Migranten zu ermatten. Dies geschieht in all den Situationen, in denen sich Migranten weigern ihre digitalen Fingerabdrücke zu geben, denn wie sie nur zu genau wissen, ist unser Land nicht in der Lage eine würdevolle Aufnahme für einen Geflohenen zu gewähren. Ihr Migrationsvorhaben beinhaltet daher eine schnelle Durchreise aber – wie uns einige Migranten erzählen – für viele heißt das von Schlagstöcken geschlagen zu werden, erpresst werden, mit Gewalt oder sogar mit Elektroschockern gezwungen zu werden. Die unrechtmäßige Verlängerung des Freiheitsentzugs die verbreitetste Form, die von unserer Obrigkeit verwendet wird, um die Hoffnung zu vernichten.
Aktuell ist die Situation in Trapani wirklich kompliziert. Am äußersten Rand gibt es ein CARA mit mehr als 400 Insassen (260 wäre die vorgeschriebene Kapazität), in dem jede Ecke mit Matratzen ausgelegt ist, um Obdach zu bieten. Männer, Frauen, Kinder und ganze Familien leben vermischt zusammen. Es ist zu sagen, dass der Betreiber der Einrichtung keine Möglichkeit hat es anders einzurichten, da es die gleiche Präfektur ist, die Migranten wegschickt. Auch die Mitarbeiter des CARA erleben Tage voller Anspannung, weil Krawalle zwischen den Insassen wegen der Überfüllung auf der Tagesordnung stehen.
In dieser Situation hat die Präfektur von Trapani die Antwort bereit: Den Immigrationsnotstand wieder ausrufen. „Auf Grund der Überfüllung der Zentren, die sich auf dem Gebiet befinden, hat die Präfektur die Verantwortlichen der öffentlichen und privaten sozialen Einrichtungen, am liebsten jene mit Erfahrung in dem Bereich, zu Einzel- oder Gruppendemonstrationen eingeladen. Dies soll als Möglichkeit dienen die Aufnahmeleistung und internationalen Schutz für die Nicht-EU-Bürger bis zum 31.Dezember 2013 zu erreichen“. Man wiederholt also noch einmal die paradoxe Situation der  2011 gemachten Erfahrung (genannt Notstand Nordafrika), die ein absoluter Misserfolg war. Wieder werden durch das Nichtvorhandensein von Planung Millionen Euro verschwendet. Für jeden Migranten ist ein täglicher Bedarf von 30€ vorgesehen.
Der Notstand, diesmal nur hinter vorgehaltener Hand ausgerufen, hat das Serraino Vulpitta wieder zum Leben erweckt: es wurde die Anwesenheit von Migranten auf dem Gelände bemerkt, das an das berüchtigte CIE angrenzt und, auf Grund zahlreicher Probleme seit einiger Zeit geschlossen ist.
Weitere Einrichtungen sind entstanden, oder besser wieder in Benutzung. In Bonagia (mit 80 Migranten), Marsala (mit 60 Migranten, untergebracht in dem Pflegeheim „Giovanni XXIII“), Partanna (mit 30 Migranten). Des Weiteren gibt es die berühmten Turnhallen entlang der Strandpromenade Dante Alighieri und der in Trapani.
Wenn noch jemand nicht an die wundersame Vermehrung von Brot und Fisch glaubt, kann zumindest die Existenz des Wunders der Vermehrung der Notaufnahmezentren nicht abgestritten werden, mit verheerenden Konsequenzen für unsere Brüder und Schwestern.

Alberto Biondo
Borderline Sicilia Onlus

Aus dem Italienischen von Viktoria Langer