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Montag, 21. Oktober 2013

Im Zelt der Schande: 300 MigrantInnen zusammengedrängt auf dem Fußboden mit baufälligen sanitären Anlagen

Porto Empedocle (AG) - Der Vizequestor von Agrigent war unmissverständlich: „Keinem Journalisten ist es je erlaubt worden, dass Lager zu besuchen.“ Vielleicht, weil sich das in Frage stehende Lager im Kollaps befindet, überfüllt bis zum Unwahrscheinlichen, voll mit 300 MigrantInnen, zusammengepresst wie Ölsardinen, zusammengedrängt im großen Stall von Porto Empedocle. Ein Zelt, 40 mal 60 Meter, neben dem Hafen, geführt von der Präfektur, in die Welt gesetzt als Ort der Ruhe für eine erste Aufnahme, das heute Migranten für Tage, Wochen, Monate zurückhält.
Fast alle sind Flüchtlinge des Krieges, auf der Flucht aus Somalia und aus Eritrea, aus Libyen und aus Mali. Sie kommen von Lampedusa oder landen nach Tagen der Überfahrt direkt in Porto Empedocle. Alle in Erwartung des Status als politische Flüchtlinge, hierher gezwungen, weil die anderen Lager voll sind.

Wir gehen heimlich hinein dank der Freiwilligen des Zivilschutzes, überwinden Trupps der Carabinieri und der Polizei, 20 Polizeibeamte, die das Zelt überwachen und versuchen, Fluchten zu verhindern, die aber regelmäßig vorkommen. In diesem Fall drücken die Polizisten ein Auge zu, weil man weiß, dass die Migranten nach Nordeuropa gehen. 

Die humanitären Mitarbeiter wollen uns die Zustände des Empfangs zeigen, weil „die Menschen hier wie Tiere leben, es ist eine Schande.“ Nicht nur Lampedusa schreit Skandal. Vielleicht ist es in den südsizilianischen Lagern noch schlimmer. Porto Empedocle, Pozzallo, Trapani, Mineo: Die Einrichtungen explodieren. Die Migranten schlafen auf zerfetzten Matratzen, auf der Erde ausgebreitet, keine Liege und kein Bett. Alle aneinander geklebt. Man isst auf dem Bett oder auf der Erde. Es gibt keine Trennwände, übelriechende Luft, die Stimmen der Gäste verwickeln sich eine über die andere in einem nicht aufhörenden Durcheinander. Die sanitären Anlagen – wenige für dreihundert Personen – befinden sich in einem dramatischen Zustand: permanent verstopfte Waschbecken, schmutzige Duschen, kaputte Türen, kein WC. 

Im Lager auch Frauen und Minderjährige. Jemand hat eine Hautentzündung, ein anderer hat Fieber. Der Arzt kommt auf Anruf, aber er ist nicht immer verfügbar. Einige tragen die Zeichen der Folter, die sie in Libyen erlitten haben. Es gibt auch einige Überlebende des Schiffbruchs vom 3. Oktober. Viele ImmigrantInnen haben nicht einmal ein Paar Schuhe an den Füßen. Und sie bitten: „Schuhe, bitte Schuhe“. „Wir tun alles Mögliche, um dem Notstand zu begegnen“, wiederholen die von der Präfektur. „Aber der Notstand schreitet seit Jahren fort“, antworten die vom Zivilschutz, seitdem nämlich das Zelt 2006 aufgestellt wurde. 

Die Einwohner von Porto Empedocle versuchen die institutionellen Defizite auszugleichen. Vor kurzem haben sie ein Lamm gebracht. Einer schenkt Kleidung. Und dann Kekse und Süßigkeiten, die die drei täglichen Mahlzeiten, die vom Zivilschutz bereit-gestellt werden, ergänzen. Außerdem Decken. Im Winter ist es kalt und es gibt keine Heizkörper, während die Temperatur im Sommer auch bis auf 40 Grad steigt. 

Im Zelt vergeht die Zeit nie. Die Gäste spielen Fußball mit einem zerfledderten Ball, der kaum hüpft, oder sie schlafen. Manchmal eskaliert die Unduldsamkeit des Wartens in interne Handgreiflichkeiten. Die Beziehungen zwischen den Freiwilligen und den ImmigrantInnen sind bestens, aber es muss schwierig sein, hier zu leben, in diesem lärmenden Bienenstock, der von menschlicher Hoffnung überfließt.

Von Jacopo Storni

(Aus dem Italienischen von Rainer Grüber)