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Donnerstag, 2. Mai 2013

Flüchtlinge, Kinder und Vergessene

L’Espresso – Ohne warmes Wasser und bisweilen ohne Bett. Wohl 111 Minderjährige sind im Zentrum für Erste Hilfe und Aufnahme von Lampedusa eingesperrt. Nach dem Gesetz sollten sie nur 48 Stunden verbleiben, aber einige verbringen dort Wochen.
Gut 111 Minderjährige, Tag um Tag im Zentrum von Lampedusa vergessen, ohne warmes Wasser und bisweilen nicht einmal ein Bett, in dem sie schlafen können. So die Printausgabe vom L’Espresso in seiner Ausgabe vom 3. Mai: Dem Berichterstatter der Wochenzeitung ist es gelungen, die Einrichtung der Insel, in der die  Jugendlichen, zusammen eingesperrt mit Erwachsenen, untergebracht sind , zu besuchen. 701 Personen in den Räumen, die höchstens 300 aufnehmen sollten. Jeder der Flüchtlinge hat eine Odyssee hinter sich.
Wie Aman: Sieben Jahre der Wanderschaft, Demütigungen, Fluchten, Prügel, Knast, um auf Lampedusa anzukommen. Er ist 17 Jahre alt. Als er 9 Jahre alt war, ist er aus Eritrea, traumatisiert vom Krieg und der Diktatur, geflohen und hat alles und alle hinter sich gelassen: „In Äthiopien habe ich 20 Monate in einem Flüchtlingslager der UNHCR verbracht, dann bin ich mit anderen Jugendlichen in den Sudan gezogen, Menschenhändler haben uns entführt und in die Wüste gebracht; sie wollten uns verkaufen: Stückweise, ein Organ nach dem anderen. Aber einer stirbt nicht, wenn es nicht seine Zeit ist.“ Er flieht aufs Neue, in Ägypten wird er inhaftiert, ein Jahr im Knast. Noch schlimmer wird es, als er nach Libyen weiterzieht, von einem Gefängnis in das nächste, gequält von Polizisten, beleidigt von der Bevölkerung, bedroht selbst von Kindern.“ Auf dem Boot nach Italien klauen sie ihm auch das letzte Geld, das er noch hat, auf der Überfahrt sieht er zwei Personen sterben, die werden ins Meer geworfen. Er ist seit 14 Tagen hier, weiß nicht, wo er hingehen wird. Fragt nach einer zusätzlichen Decke, weil es nachts kalt ist, einer zusätzlichen Telefonkarte, um die Seinen anzurufen und, falls er Italien nicht verlassen kann, „bringt mich bitte wenigstens an einen Ort, der besser ist als dieser.“ Wer im Zentrum von Lampedusa kein Bett hat, einige Minderjährige gehören dazu, schläft auf der Matratze auf dem Boden, unter den Vordächern der Wohnblöcke oder unter denen, die hinter dem Tor, hinter dem die Erwachsenen leben, die zwei Fertigbaulöcke von den anderen trennt, sie brannten bei dem Aufstand vor zwei Jahren ab, als infolge der Aufstände in Nordafrika das Zentrum und die Insel von siebentausend Migranten überschwemmt wurden, ein menschlicher Teppich, ein Alptraum, der 55 Tage dauerte. Kein warmes Wasser, so ist es seit einigen Tagen, Probleme der Instandhaltung, hier wäscht man sich, wie es gerade geht. Der Espresso hat den offiziellen Besuch des Beauftragten für Kindheit und Jugend, Vincenzo Spadafora, begleitet. Der Großteil dieser Jugendlichen sind Minderjährige auf Durchreise: „Sie denken wirklich nicht daran, in Italien zu bleiben, möchten nur zu ihren Brüdern, Verwandten oder Landsleuten in Nordeuropa, wo sie auch eine Möglichkeit zur Arbeit hätten, aber wir haben es verboten, weil sich auf der Grundlage der europäischen Vereinbarungen das Land der Erstaufnahme ihrer annehmen muss. Es ist der reine Wahnwitz, in der nächsten Versammlung der Beauftragten für Kindheit und Jugend von ganz Europawerde ich diese Frage stellen.“ Nach dem Gesetz sollen die Minderjährigen nicht länger als 48 Stunden im Lager bleiben, aber zwei Somalis haben sie vor 14 Tagen gerettet, auf einem Kahn mit 129 Personen nach 16 Stunden in den Wellen: Ein Glück, dass die italienische Marine sie gesichtet hat, kaum dass sie internationale Gewässer erreicht hatten. Siebzehnjährige, einer aus Mogadishu und der andere aus Kisimaio; auch sie hatten fast zwei Jahre in Libyen verbracht, geschlagen, ohne Nahrung und Medizin, unter Gaddafi wie unter der provisorischen Regierung; wie soll sich in einem krisengeschüttelten Land etwas für Leute wie sie ändern. Alle anderen stehen in Gruppen zusammen oder sitzen auf einem kleinen, freien Platz, schweigend oder redend. Viele kommen zurzeit aus Mali, aus dem Bürgerkrieg oder aus den Massakern der Islamisten. Wie Kamadi und Djallou, Sechzehnjährige ohne Vater. Mütter, die ihnen gesagt haben, dass sie weggehen sollen, weit weg vom Elend, auf dem Weg in die Schweiz oder nach Norwegen, wo sie Verwandte haben. Für den Moment schlafen sie hier im Freien. Die Mädchen sind anders. Du weißt nichts, sie erzählen dir nicht was durchgemacht haben, nur Nasrà rutscht es raus und sie sagt, dass der Vater von der Idee, dass sie allein weggeht, in Schrecken versetzt worden sei, und von Ucped (17jährige Somalierin wie die Freundin), dass die Familie sie mit einem Mann verheiraten wollte, den sie nicht wünschte. Aber sie sind gepflegt, lächeln und sagen: „Von Italien habe ich seit der Kindheit geträumt, hier ist das Leben gut, vor allem sicher, es  ist ein gerader Weg jetzt, verstehst Du? Wir schlafen zu zwölft in einem Zimmer, eine klebt an der anderen. Aber wir haben ein Bett.“

Aus dem Italienischen von Rainer Grüber