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Samstag, 4. Mai 2013

Erlass zur Illegalisierung von Straßenhändlern in Palermo

Auf Erlass vom 3. Mai 2013 durch Leoluca Orlando, dem Bürgermeister von Palermo, wurde in den Hauptstraßen der Innenstadt und dem angrenzenden Außenbezirk Mondello der Straßenhandel verboten. Diese Maßnahme stellt eine indirekte Diskriminierung der Straßenhändler dar, die zum Großteil Einwanderer mit Aufenthaltsgenehmigung und angemeldetem Gewerbe sind und sich in Zukunft an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert fühlen. Zudem sehen sie sich verstärkt der Ermessensfreiheit der Schutzpolizisten ausgeliefert. Viele der Straßenhändler befinden sich damit in einer Situation, vergleichbar mit der des legal aus Marokko eingewanderten Noureddine Adnanes. Durch wiederholte Kontrollen war ihm die Ausübung seiner Tätigkeit als Straßenhändler unmöglich gemacht worden, bis er sich gezwungen sah, sich selbst zu anzuzünden. So machte er auf seine und die Situation aller Straßenhändler aufmerksam.

Die von Orlando erlassene Verordnung weist eindeutig unzulässige Konturen auf. Sicher wendet das Verbot sich nicht, wie von einigen Journalisten behauptet, die wohl beabsichtigten den diskriminierenden Unterton abzuschwächen, gegen die Verkäufer der lokalen Spezialität „pani ca‘ meusa“, eine palermitanische Spezilität, zu Deutsch: „Milz im Brot“. Betrachtet man die Liste der Straßen, in denen der Erlass Anwendung finden soll, werden die Adressaten deutlich. Betroffen sind eindeutig die Einwanderer, die einem Gewerbe als „fliegende Händler“ nachgehen.

In Anbetracht der realen Notwendigkeit die Zufahrt zu den großen Plätzen der Stadt zu garantieren, wird eine Einschränkung des Straßenhandels seit längerem gefordert. Den Anstoß für den Erlass gab die Anzeige einiger Bürger, die wegen den zahlreichen Straßenhändlern in der Via Cavour, Via Spinuzza und Via Volturno einen exzessiven Anstieg des Handels im öffentlichen Raum gemeldet hatten. Die Verordnung wurde dann ohne Anhörung der betroffenen Parteien und ohne weitere Begründung auch auf andere Straßen in der Stadt und den Vorort Mondello ausgeweitet. Die Begründungen bleiben entweder unausgesprochen oder sehr allgemein und stammen vielleicht auch aus dem Stab der Schutzpolizei von Palermo, die wohl auch für die Auflistung der Straßen zuständig war, für die das Verbot eingeführt wurde.

Dass die Verordnung sich nicht direkt an die eingewanderten Händler wendet und einen haltlosen Zusammenhang zwischen Straßenhandel und schlechter Lebensqualität und mangelnder Sicherheit in den ausgewiesenen Gebieten herstellt, macht sie zum perfekten Beispiel für indirekte Diskriminierung. So sei „die Einschränkung des Bereichs für Fußgänger Taschendiebstählen und Raubüberfällen zuträglich und fördere das Übertreten der Bürgersteige“. Als seien nicht gerade die Straßenhändler häufig Opfer von Übergriffen durch Gruppen junger Palermitaner und als würden die Straßenhändler die Kleinkriminalität fördern. In einer Stadt wie Palermo, in der die Plätze, vor allem Ballarò, Kalsa und Vucciria, auf denen täglich Märkte abgehalten werden, so stark der Kontrolle der organisierten Kriminalität unterliegen, dass sich nicht einmal Polizisten oder Carabinieri (um gar nicht erst von den Schutzleuten zu sprechen) trauen über die regulären Kontrollgänge hinaus aktiv zu werden, wirkt diese Aussage geradezu lächerlich.

Im Ausschuss sind bereits Unstimmigkeiten zu vernehmen und es scheint, als würde der Erlass noch verändert werden. Sollte die aktuelle Form jedoch beibehalten werden, gibt es sicherlich die nötigen Instrumente und zeitlichen Vorgaben, um die Verordnung anzufechten. Ebenso ist es unbedingt notwendig die Wogen zu glätten, um allen Beteiligten ihre Sicherheit und Arbeit zu erhalten. Dazu ist es nötig endlich den Ermessensspielraum, mit dem die Schutzpolizisten ihre Kontrollen durchführen, einzuschränken. Sowohl für die Schutzleute, als für die Straßenhändlern, als auch für alle anderen Bürger muss Klarheit geschaffen werden.

Vor allem glauben wir, dass die Bürger von Palermo, auch abseits von gesetzlichen Regelungen, Widerstand gegen einen diskriminierenden Erlass leisten müssen, der nicht für mehr Ordnung sorgt, sondern die Zahl der Übergriffe und Gewalttaten gegen die Straßenhändler erhöhen wird und sie in ihrem Recht auf Arbeit einschränkt. Mit der Durchsetzung des Verbots werden eine steigende Anzahl von illegalisierten Händlern und der mögliche Missbrauch von Gewerberäumen einhergehen. Sollte sich hier tatsächlich ein Interessenkonflikt auftun, werden darunter nicht nur die italienischen sondern auch die eingewanderten Händler leiden. 

Fest steht: Palermo darf nicht diskriminieren!

Observatorium gegen Diskriminierung “Noureddine Adnane”, Palermo 
  
(Aus dem Italienischen von Svenja Laufhütte)