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Mittwoch, 6. Februar 2013

Mein Traum ist die Gegenwart – Ein Interview mit Yvan Sagnet

Yvan Sagnet kommt aus Kamerun. 2007 kommt er nach Italien um zu studieren und schreibt sich am Polytechnikum in Turin ein. Im Sommer 2011 arbeitet er in Nardò in Apulien, auf dem Gut Boncuri um sich das Studium zu finanzieren; dort werden Arbeiter für die Tomatenernte eingestellt. Und dort wird er sich der unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen zu denen die „Vorarbeiter“ die Hilfsarbeiter zwingen, bewusst und erfährt über den ersten autonomen Streik der Hilfsarbeiter in Italien. Wir haben Yvan in Vittoria, anlässlich einer Diskussion über das Thema „Territorium und Rechte“, organisiert von der CGIL FLAI (italienische Landwirtschaftsgewerkschaft) und der Sozialen Kooperative Proxima, getroffen.

Yvan, du bist die treibende Kraft des Protestes von Nardò gewesen. Ein weiteres Ereignis von dem die Medien berichteten – und von dem man im Zusammenhang über das Problem des „Vorarbeiten“ gesprochen hat – ist der Aufstand von Rosarno gewesen. Was sind deiner Meinung nach die beiden Unterschiede und Analogien zwischen diesen beiden Typen von Protesten?


Yvan: In Rosarno ist der Protest aus einer Auseinandersetzung zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer entstanden, und dann hat die ganze Welt gesehen was für ein Ausmaß an Ausbeutung, Sklaverei und krimineller Infiltration dahinter steht. In Nardò ist der Wiederstand aus den Arbeitsbedingungen, aus der Geschlossenheit der Arbeitnehmer entstanden. Eine Gruppe von Arbeitern, die sich zusammengetan haben um ihre Rechte einzufordern. Es waren nicht einzelne Personen, wie in Rosarno. Daher gibt es einen bedeutenden Unterschied, auch in den Resultaten die die beiden Streiks erzielt haben. In Nardo haben wir bessere Ergebnisse erzielt, auch weil die Arbeiter geeint waren. Wir haben das Gesetz über das Vorarbeiten, die Verhaftungen der Unternehmer und der Vorarbeiter erreicht. Was haben wir hingegen in Rosarno, zwei oder drei Jahre nach der Revolte, abgesehen davon dass man darüber gesprochen hat, erreicht?

Die Einführung des Straftatbestands des „Vorarbeitens“ ist eine Errungenschaft des Jahres 2011. Wie haben sich die Dinge in Folge der wichtigen legislativen Neuigkeit verändert?

Yvan: Es ist ein wichtiges Ergebnis, da nach mehr als einhundert Jahren des „Vorarbeitens“ in diesem Land die Revolte von Nardo zur Einführung dieses Straftatbestandes, der die Arbeiter schädigt, geführt hat.
Man muss jedoch dieses Gesetz, das im Moment nur die Vorarbeiter bestraft, vervollständigen. Man müsste es erweitern um auch die Arbeitgeber, welche die hauptsächlichen Verantwortlichen dieser Plage sind, zu bestrafen. Wir wussten, dass wir keine konkreten Ergebnisse nach nur einem Jahr erzielen konnten, da das „Vorarbeiten“ eine komplexes Phänomen und stark im Territorium verwurzelt ist. Es ist nicht so, dass wir mit der Einführung des Straftatbestandes und einem Jahr des Kampfes alle Rechte erhalten könnten. Nein, es ist täglicher Kampf des Einsatzes, der Anzeigen; man muss den Arbeiter ansprechen, ihn unterstützen und zur Anzeige ermutigen und ihn in seinen Beschwerden zur Seite stehen.

Es ist Basisarbeit, die viel Einsatz abverlangt. Und innerhalb eines Jahres ist es schwierig alles zu organisieren. Es fehlen noch viele Schritte bis die Umsetzung des Gesetzes wirksam wird.
Welche Vorstellung hast du dir von den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Landarbeiter in den Feldern Ragusas gemacht?
Die Bedingungen sind die selben wie in anderen Teilen Italiens. Es ändert sich sehr wenig an den Umständen der Arbeiter in Apulien, in Rosarno, in der Gegend von Siracusa oder Ragusa. Sie sind für alle gleich. Sie sind unter bezahlt. Sie schlafen in den verlassenen Gehöften. Ihre Rechte werden nicht respektiert. Daher muss die Schlacht weitergehen.

In dieser Phase einer schweren Wirtschaftskrise ist der einfachste Einwand, den man bei der Thematik der Einwanderung machen kann, derjenige dass, „wenn es schon keine Arbeit für die Italiener gibt, wie soll es dann welche für die Ausländer geben“. Wie würdest du, der diese Situation der Einschränkung der Rechte, an der eigenen Haut gespürt hat, antworten?

Yvan: An die Krise, vor allem in der Landwirtschaft, glaubt man nicht besonders. Weil es die Nachfrage gibt. Wir verbrauchen alle Tage, also gibt es den Markt der landwirtschaftlichen Produkte und auch die Nachfrage. Nur das es in diesem für das Land besonders wichtigen wirtschaftlichen Sektor zu einem Mangel an Regeln von Seiten des Staats gekommen ist, was dazu geführt hat das sich eine Profitkultur gebildet hat. Es ist unmöglich dass ein Kilo Orangen oder Tomaten aus Pachino beim Hersteller für sieben Cent gekauft und in einem Supermarkt in Norditalien zu 3,50 Euro verkauft wird. Darüber sollte man nachdenken. Andererseits teile ich nicht die Auffassung, dass weil es die Krise gibt, die Menschen keine Rechte haben sollten. Man sollte in die Zukunft dieses Landes schauen, welche von italienischen und ausländischen Bürgern gebaut werden wird. Man sollte versuchen eine Gesellschaft zu bauen, die auf dem Respekt der Rechte aller Bürger, ungeachtet ihrer Herkunft aufbaut. Was auf dem Spiel steht, ist die Zukunft unseres Landes.

Du hast vor kurzem ein Buch mit dem Titel „Liebe deinen Traum“ veröffentlicht, in dem du von der Erfahrung von Nardò erzählst. Was ist jetzt dein Traum?

Yvan: Mein Traum war es nach Italien zu kommen, in dieses Land in das ich mich wegen der Fußballspieler, die ich verfolgte und verehrte, verliebt habe als ich klein war. Mit einer besseren Gegenwart werden wir sicherlich eine bessere Zukunft haben. Eine Zukunft die unseren Träumen entspricht.

- Von Daniela Sammito, aus: Il Clandestino, Januar 2013 -

Vom Italienischen ins Deutsche von Alessandro Pastore.