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Dienstag, 24. April 2012

Der Freiheitsentzug auf Lampedusa hat wieder begonnen

Am vergangenen 2. April wurden 48 Menschen 60 Meilen vor der Küste Lampedusas gerettet. Sie befanden sich auf einem Schiff, das in Libyen abgelegt hatte. Zehn von ihnen (4 Eritreer und 6 Somalier) sind während der Überfahrt gestorben. Die Staatsanwaltschaft in Agrigent hat eine Untersuchung zur Überprüfung der Wahrhaftigkeit der Erzählung der Überlebenden angeordnet. Seit fast drei Wochen sind die 24 Somalier (20 Männer und 4 Frauen, von denen eine schwanger ist) nun auf der Insel in einer Touristenresidenz im Ort Cala Creta untergebracht, die von der Präfektur in Agrigent zur „temporären Aufnahme“ der ersten jahreszeitbedingten Ankünfte der Immigranten genutzt wird. In der Einrichtung ist kein Ansprechpartner präsent. Nur jemand, der für das Putzen zuständig ist und ein Mitglied des Projekts Präsidium (in Begleitung eines Arabisch sprechenden Mediators) haben Zugang zum „Residenz-Gefängnis“, das nur mit der Autorisation der Präfektur in Agrigent verlassen werden darf und natürlich ist das Verlassen für die dort Inhaftierten nicht vorgesehen.  

Man benötigt ebenfalls eine Autorisation, um einen Arzt aufzusuchen, wenn man über gesundheitliche Beschwerden klagt. In diesem Fall müssen die Polizeikräfte dem Verantwortlichen des Migrationsbüros der Insel Bescheid geben, der dann bei der Präfektur um Erlaubnis fragt, um den Immigranten von der Einrichtung in die Ambulanz zu bringen. Kleine Fieber werden mit entzündungshemmenden Mitteln behandelt, die von der Polizei ausgegeben werden. Am letzten Wochenende hat die Präfektur einen Vorrat an Medikamenten geschickt, die an die Somalier verteilt werden sollten. Die Vertreter der öffentlichen Sicherheit haben sich geweigert, die Verantwortung für die Ausgabe der Medikamente zu übernehmen, die an das Putzpersonal der Einrichtung übertragen wurde.   
Aufgrund der effizienten Kontrolle durch die Polizeikräfte (eine Patrouille ist 24 Stunden in der Einrichtung vor Ort) konnte die italienische Regierung während der ersten Woche glauben machen, dass sich kein Migrant mehr auf der Insel befindet. Lediglich in den letzten Wochen kam die Wahrheit durch die Präsenz von Somaliern in den Straßen des Zentrums von Lampedusa ans Licht (sie hatten sich heimlich von der Einrichtung entfernt). Seit 22 Tagen befinden sich die Somalier im Freiheitsentzug und in prekären Zuständen. Letzte Woche, nach Tage andauernden Protesten, die im Hungerstreik mündeten, haben die Migranten Unterwäsche zum Wechseln erhalten (sie hatten seit Tagen, d.h. seit der Überfahrt die gleiche Kleidung an und einige Stücke, die ihnen bei ihrer Ankunft von dem Betreiber der Aufnahmezentren „Lampedusa Accoglienza“ gegeben wurden) zudem haben sie  ein eigenes Mini-Hygiene-Set ausgehändigt bekommen (das zweite seit ihrer Ankunft). Die Proteste konnten zudem durch die Verteilung einiger Telefonkarten beruhigt werden. Viele der Migranten laufen jedoch weiterhin barfuss. Die am letzten Donnerstag abgeschlossenen Identifizierungsprozeduren, durchgeführt vom Polizeipräsidium in Agrigent, haben einige Zeit in Anspruch genommen, da sich die Migranten Klebstoff auf die Fingerkuppen geschmiert hatten. Es handelt sich dabei um eine Taktik, die oft von Migranten angewendet wird, in der Hoffnung, bei ihrer Durchreise in Italien keine Spuren zu hinterlassen und somit andere nordeuropäische Länder erreichen zu können, ohne das Risiko einzugehen, zu einem „Dublin Fall“ zu werden.

Die 24 Somalier sind alles potentielle Asylantragssteller, jedoch können sie die Anfrage nicht auf der Insel formalisieren. Es fehlen die Module C3.
Ihr andauernder Aufenthalt auf der Insel liegt am Fehlen freier Plätze in den sizilianischen Aufnahmezentren für Asylsuchende (CARA), aber auch an der Lücke im Verlegungssystem, das bis zum jetzigen Zeitpunkt vom Zivilschutz verwaltet wurde. Man munkelt, dass für die weitere Aufrechterhaltung des so genannten „Notstands Nordafrika“, der von der Regierung bis zum 31.12.2012 vorgesehen wurde, kein Geld mehr zur Verfügung steht. Alles steht still, wobei die Konsequenzen für diese irrationale und unmenschliche Verwaltung wie immer von den Migranten getragen werden müssen und eine Verletzung ihrer Menschenrechte bedeutet. Die Staatsanwaltschaft müsste auch diese widrigen Zustände untersuchen.

Währenddessen gehen die Arbeiten im Aufnahmezentrum Contrada Imbriacola weiter (das Zentrum wurde im letzten Jahr bei den Revolten teilweise durch Brände zerstört). Bis zum Ende des Monats soll es mit einer Kapazität von 250 Plätzen wieder eröffnet werden. Eine viel zu geringe Anzahl von Plätzen, im Hinblick auf die Zahl der Migranten, die normalerweise im Sommer übers Meer ankommen. Zudem sind die sizilianischen Aufnahmezentren völlig überfüllt, aufgrund der nicht endenden Wartezeiten durch die territorialen Kommissionen von Siracusa und Trapani sowie der Handhabungen der Betreiber im Inneren der Zentren, die eine längere Verweildauer der Migranten anordnen, um die tägliche Aufwandsentschädigung zu erhalten.
Das x-te Versagen der italienischen Verwaltungssysteme steht bereits vor der Tür.   

Germana Graceffo
Borderline Sicilia
 
Aus dem Italienischen von Kathrin Neusser