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Mittwoch, 11. Januar 2012

Lob der PD für die Modell-Lager von Lampedusa

von Antonio Mazzeo
Auf Lampedusa stehen die beiden baufälligen Zentren “für Unterstützung und Erste Hilfe” für Migranten seit dem 28. September 2011 leer, seitdem die letzten gefangen genommenen “Gäste” durch das Militär nach Tunesien deportiert oder in andere italienische Abschiebzentren gebracht wurden. Ein unwürdiges Modell der Aufnahme, bestehend aus täglichen Gewalttätigkeiten und wissenschaftlicher Deprivation der Identität sowie Einseitigkeit, welches die Abgeordneten der Demokratischen Partei (PD) jetzt wieder in Kraft setzen wollen, indem sie die Ghetto-Strukturen wieder eröffnen wollen und die Leitung der gleichen Verwaltung wie zuvor übertragen wollen, der Blume am Knopfloch der Liga der Kooperativen in Sizilien (Lega Coop).
In einer kleinen Anfrage an den Innenminister behaupten sieben sizilianische Abgeordnete der PD (erster Unterzeichner Angelo Capodicasa, ehemaliger Präsident der Region und Ex-Vizeminister für Infrastruktur der letzten Regierung Prodi), dass eine Schließung des Zentrums “auch ein internationales Problem verursachen könnte angesichts weiterer Ankünfte, welche für die pelagische Insel von Interesse sein könnten.” “Lampedusa “ – so fügen die sieben hinzu, “ ist tatächlich - auch aufgrund der Opferbereitschaft und Sensibilität seiner Bewohner und indem es die nicht unwesentlichen sozialen und Image-bezogenen Lasten erträgt - zu einem Gebiet der ersten Aufnahme geworden, bereit, die zigtausend von Verzweifelten aufzunehmen, welche den Kanal von Sizilien durchqueren”. Sie sei eine Struktur für den Notfall (CSPA), die “vortrefflich” und ununterbrochen von der “LampedusAccoglienza” geführt worden sei, einer Gesellschaft, die dem Konsortium der sizilianischen Kooperativen “Sisifo” zur Verfügung stehe.

In der Anfrage werden einige gravierende Berichte über Einschüchterungen aufgeführt, die sich kürzlich auf Lampedusa zum Schaden des Aufnahmezentrums sowie der Verwaltungsanstalt zugetragen hätten. “Am 20. September 2011, als auf der Insel schon seit geraumer Zeit wegen ausbleibender Umsiedlungen von Migranten eine schwere Luft herrschte, wurde ein Gebäudeteil des Lagers in Brand gesetzt, während dort über 1.500 “Gäste” lebten. Doch auch die Zerstörung hat der Abwicklung der Aktivitäten keinen Abbruch getan, insofern die Lokalitäten lediglich gesichert und eingezäunt wurden. Die unerklärliche Unterbrechung der Arbeiten hat den, wenn auch nur 440 Aufnahmeplätzen, geschadet.” Drei Tage darauf wurde der Wagen des zuständigen Verwalters von LampedusAccoglienza, Cono Galipò, in Brand gesetzt. Zwischen dem 11. und dem 13. November wurde Feuer an einen Transporter und einen Bus der Gesellschaft gelegt, während am 2. Dezember ein Lager von über 500 qm zerstört wurde, in dem LampedusAccoglienza “Kleidungsstücke und Küchenutensilien in einem geschätzten Wert von ungefähr 300.000 € zusammen gepfercht hatte”. Am 18. Dezember schließlich wurde der Wagen des Direktors des Zentrums beschädigt. “Die Situation hinsichtlich der öffentlichen Ordnung auf Lampedusa ist ernst”, schreiben die Parlamentarier und verlangen eine Intervention der Regierung, “um die ungestörte Abwicklung der Aktivitäten jener zu garantieren, die mit Anstrengung und Hingabe die eigene Arbeit verrichten,manchmal unter hinderlichen Bedingungen und im ausschließlichen Interesse des italienischen Volkes”.

Attentate rassistischen Musters, zurückzuführen auf ein Klima der Jagd auf den Migranten und “sozialer Säuberung” entfesselt zur Genugtuung der xenophoben Unternehmer und Politiker, benutzt aber von der sizilianischen PD, um ein Leitungsmodell der “Aufnahme” zu loben, das von vielen Seiten stigmatisiert wird für seine Unmenschlichkeit, seine restriktiven Charakteristiken und seine unhaltbaren humanen und fiinanziellen “Kosten”. “In der Anfrage ist jedoch nicht die Rede von der schweren und öffentlichen Verantwortung des Bürgermeisters De Rubeis, der verfolgt werden müsste wegen Anstiftung zum Rassenhass durch die Militärstreifen und die Aggressionen gegen die Migranten”, kommentiert Alfonso di Stefano vom antirassistischen Netzwerk Siziliens. “Noch schlimmer ist die Verantwortung des Ex-Ministers Maroni, der vorsätzlich im letzten Februar den Notstand Lampedusas konstruiert hat, indem er die öffentliche Meinung mit seinen Äußerungen über eine Invasion von 1.500.000 Migranten alarmiert hat, während innerhalb von sechs Monaten lediglich 50.000 ankamen. Wenn eine Anfrage nötig wäre, dann eine, um die irreführende Entscheidung der letzten Regierung zu widerrufen, welche die Insel zu einem “nicht sicheren Hafen“ erklärte, oder um die schändlichen Bedingungen der Segregation anzuklagen, unter denen die Asylsuchenden in dem großen Aufnahmezentrum in Mineo leben, das von demselben Konsortium von Kooperativen geleitet wird, das auch am Megabusiness von Lampedusa interessiert ist.”

“Der Hauptzweck des CSPA (Centro di Soccorso e Prima Accogienza, Erstaufnahmezentrum) bestand darin, gerade angekommenen Menschen Hilfe zu leisten und sie innerhalb von 48 Stunden auf italienisches Staatsgebiet zu verlegen“, erinnern sich die Freiwilligen des ARCI (italienische Vereinigung für Erholung und Kultur), die das Lager Lampedusa erst nach dem Juni betreten konnten. “Tatsächlich war es eine Haftanstalt, die man nicht frei betreten oder verlassen konnte. Die Migranten konnten sich nicht frei bewegen, sie waren Verbannte und wohnten umgeben von Eisengittern, Gittertüren und Stacheldraht. Die Polizeikräfte bewegten sich im Innern bewaffnet und in Fällen von auftretender Spannung mit Anti-Aufruhr-Schutzanzügen. Die Verlegungen in andere Zentren erfolgten nur langsam und zwangen die Migranten zu einer langen Aufenthaltsdauer, bei Erwachsenen zwischen 15 Tagen und einem Monat, bei Minderjährigen auch länger, bis zu anderthalb Monaten.”

Der Entzug der persönlichen Freiheit in diesem Zentrum für Identifikation und Abschiebung – denn das war es tatsächlich – war weder durch gerichtliche Anordnung legitimiert noch durch eine Notsituation zu rechtfertigen. “Diejenigen, die seit dem 6. April festgehalten und später nach Tunesien abgeschoben wurden, hatten – wie vielen Zeugenaussagen und Pressemeldungen zu entnehmen ist – zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit, einen Anwalt oder Richter zu kontaktieren oder gar mit einem Mitglied der Kommission für die Asylanerkennung von Flüchtlingen zu sprechen. Zudem wurden sie über die Gründe oder den Zeitraum ihres Festhaltens ebenso wenig schriftlich aufgeklärt wie über die Möglichkeiten der Verteidigung oder Ausübung ihrer Persönlichkeitsrechte informiert,” erklärte Prof. Fulvio Vassallo Paleologo von der Gesellschaft für juristische Studien über die Immigration (ASGI).

“Auf Lampedusa hat die Regierung gegen Art. 13 der italienischen Verfassung und Artikel 5 der Europäischen Konvention über die Menschenrechte verstoßen,” drängt die Anwältin Carmen Cordaro, Referentin vom ARCI. “Es handelt sich um massive Verletzungen des Grundrechts auf persönliche Freiheit. Tatsächlich wurde das Recht auf Hilfe durch einen Rechtsbeistand und generell das Recht auf Verteidigung gemäß Artikel 24 der Verfassung nicht gewährt.” Und ein Bericht von drei freiwilligen Rechtsexperten der Organisation, Francesca Cacellaro, Luca Masera und Stefano Zirulia, beschreibt die inhumanen Lebensbedingungen im Innern des Zentrums in Ortsteil Imbriacola auf Lampedusa. “Dort, wo die Käfige stehen, in denen die erwachsenen Migranten gehalten werden, sind die Temperaturen extrem hoch. Die Räume sind vollgestopft mit Stockbetten und synthetischen Schaumstoff-Matratzen, die Luft zum Schneiden vom frühen Morgen an, entweder wegen der hohen Konzentration von Menschen oder wegen der Bauweise oder wegen fehlender Klimaanlagen.” Extrem hoch dementsprechend auch der psychologische Stress, dem die “Gäste” ausgesetzt waren. “Zig junge Leute zwischen 20 und 30 Jahren sind gezwungen, endlos lange und trockene Tage damit zu verbringen, bewegungslos und zusammengekauert auf schmalen Streifen von Schatten zu verbringen,“ fährt der Bericht fort. “Es ist den Migranten unmöglich, irgendetwas zu tun, als einzige zugestandene Art der Beschäftigung gilt das Fußballspielen und manchmal Spielkarten. Weder Radio noch Fernsehen sind zugelassen. Telefongespräche werden kontingentiert insofern, als jeder alle 10 Tage eine Telefonkarte bekommt, die 6 Minuten Gespräch ermöglicht. Außerdem ist Papier verboten – und damit auch Bücher und Zeitungen – wegen der Brandgefahr, dazu Stifte wegen der Gefahr von Selbstverletzungen. “Trotzdem hat es auf Lampedusa alles gegeben: Einige haben Stücke der Neonröhren oder Rasierklingen geschluckt oder sich mit Schnitten an den Armen verletzt, andere haben damit gedroht, sich von der Treppe oder vom Dach zu stürzen oder haben versucht, sich zu erhängen.”

Gesundheitsschädliche Hygiene- und Sanitärbedingungen: Es gab zu wenig Toiletten und sie waren schmutzig. Der Müll wurde überall hingeworfen und erst nach mehreren Tagen fortgebracht. “Vielen Migranten mit gesundheitlichen Problemen wurde der direkte Zutritt zur Sanitätsstation verweigert“, berichten Freiwillige vom ARCI, “es gab zu wenige Betten dort und keine Krankenfleger, die nach den Kameraden sahen. Man konnte dort Migranten sehen, die Landsleute in die Sanitätsstation oder zum Krankenwagen schleppten. Es gab einen systematischen Mangel an medizinischem Material und an Medikamenten. Einem Migranten wurde der Arm mit Binden und einem Stück Pappe geschient, statt mit einer festen Schiene.”

Von minderwertigster Qualität war das Essen, das verteilt wurde. “Normalerweise gab es mittags Nudeln und abends Reis mit etwas Dosenkost gemischt. Als zweiten Gang Frikadellen oder gebratene Schnitzel. Manchmal hartgekochte Eier. Dazu Kartoffeln oder Hülsenfrüchte. Wir haben nie frisches Gemüse der Saison gesehen. An Obst gab es entweder einen Apfel oder einen Fruchtsaft. Es wurde vorgekochtes Essen oder Dosenware verwendet. Obwohl die meisten Personen Moslems waren, ist uns nicht bekannt, dass das Fleisch ”Halal” war.”

Noch dramatischer waren die Bedingungen unter denen Kinder und heranwachsende Ausländer leben mussten. (Ende August waren das auf Lampedusa insgesamt 225, 111 davon waren im CSPA von Imbriacola untergebracht, 114 in Loran, einer ehemaligen Basis der US-Küstenwache).”Ihr Aufenthalt auf der Insel war ein Kreuzweg“, erklärt die Sozialarbeiterin Maria Billè. “Die Minderjährigen wurden wochenlang allein gelassen, ohne das Zentrum verlassen zu können oder Besuch empfangen zu dürfen, außer von den Hilfsorganisationen, die vom Ministerium oder vom Präfekten autorisiert waren. Für keinen von ihnen wurde ein Vormund benannt, wie das italienische Gesetz es verlangt, noch wurde irgendeine Form der Pflegschaft eingerichtet. Es ist nicht festzustellen, dass entsprechende Meldungen gemacht worden wären an den Vormundschaftsrichter oder das zuständige Jugendgericht, um rasch entsprechende Maßnahmen ergreifen zu können zu Schutz und Hilfe. Diese Minderjährigen hatten alle dramatische und risikoreiche Überfahrten hinter sich und zeigten vielfach deutliche Anzeichen von psychischem Leid und Unbehagen.

“Ich hatte die Gelegenheit festzustellen, wie unzulänglich und schändlich die hygienischen und sanitären Bedingungen waren, unter denen die unbegleiteten Minderjährigen in der Ex-Basis Loran lebten,” erzählte Giuseppina Cassarà (Nationales Institut für die Förderung der Gesundheit in der Population der Migranten – INMP), Internistin , die sich vom  vom 22. bis 28. August 2011 auf Lampedusa befand. “Das Gebäude ist baufällig und absolut nicht dazu geeignet eine würdevolle Aufnahme für Minderjährige zu gewährleisten, die einen sozialen, gesundheitlichen und juristischen Schutz benötigen,” fügte Frau Dr. Cassarà hinzu. “In den unteren Räumen, die für die Aufnahme der Mädchen vorgesehen sind, dreckige und übel zugerichtete Schaumgummi-Matratzen, auf den Boden geworfen ohne Matratzenschoner oder Bettlaken, es sei denn solche aus Papier, die aber nicht täglich, sondern nur ab und an gewechselt wurden.” In dem Gebäude gab es weder fließend Wasser noch Telefonkabinen und die Jugendlichen konnten nur telefonieren, “wenn sie in langen Schlangen anstanden, um die Handys zu benutzen, welche LampedusAccoglienza zur Verfügung stellte.”

In dem überfüllten Zentrum in Imbriacola dagegen waren die Minderjährigen gezwungen den Raum mit den Erwachsenen zu teilen – im Gegensatz zu dem, was im Gesetz und in den Regelungen vorgesehen ist. “Während des illegitimen Aufenthalts im CSPA wurden die Kinder und jugendlichen Migranten täglich der Gewalt ausgesetzt, die der Gereiztheit der über 500 Personen geschuldet war, welche eingesperrt waren und stetig auf ihre Verlegung warteten,“ klagte Federica Giannnotta an, die Verantwortliche des Projektes FARO von Terre des Hommes für die Rechtshilfe für Minderjährige auf Lampedusa. “Wir haben den zuständigen Autoritäten wiederholt den Zustand der Promiskuität gemdelt, in dem sich Minderjährige, Familien mit Kindern und andere besonders vulnerable Gruppen befanden, wie Menschen mit Behinderung, Kranke und Asylbewerber. Statt in extra Bereichen, in denen sie ihren Bedürfnissen entsprechend leben können, sind diese Personen häufig in geschlossenen Zonen der Zentren untergebracht, zu denen humanitäre Organiationen keinen Zutritt erhalten.

Die entsetzlichen Leiden, denen die minderjährigen Ausländer auf Lampedusa ausgesetzt wurden, waren Gegenstand einer Anfrage, die am 14. Juli 2011 von Anna Maria Serafini und weiteren 38 PD-Senatoren gestellt wurde. “Der psychologische und emotionale Zustand der Minderjährigen, die in den beiden Zentren festgehalten werden, hat sich entschieden verschlechtert”, schrieben die Parlamentarier. “Die verlängerte und unbegreifbare Haft, die Unmöglichkeit, mit der Außenwelt zu kommunizieren, das Fehlen von Räumen und Beschäftigungsmöglichkeiten, der Stress der durchlebten Erfahrungen – ohne psychologische und medizinische Hilfe – bilden in den Kindern einen starken Zustand der Verbitterung und Depression heraus. Dieser emotionale Zustand ist der Grund für die kürzlichen Demonstrationen und Proteste und das selbstverletzende Verhalten, zu dem es in beiden Zentren gekommen ist.”

“Wenn neue Gruppen ankommen, werden ganze Gruppen von Minderjährigen gezwungen, die ihnen zugewiesenen Räume zu verlassen, um Platz für die Neuankömmlinge zu machen, und müssen auf dem Boden schlafen, in der Kälte und zwischen Wespen und Mücken”, fügten die Senatoren hinzu. Die schlechten und inakzeptablen hygienisch-sanitären Bedingungen beunruhigen immer mehr: Schmutzige und unzugängliche Toiletten, dunkle und dreckige Räume ohne Fenster  mit schmutzigen und löchrigen Matrazen, die mit einem Plastiklaken überzogen sind. Das Essen ist nicht gut und stinkt und die Kinder weigern sich es zu sich zu nehmen.” Die Zentren wurden so als ”inadäquat” für eine erste Aufnahme abgestempelt und in der Konsequenz wurden Berlusconi und Maroni aufgefordert, “den Minderjährigen eine minimale Aufenthaltsdauer auf der Insel zu garantieren, beschränkt auf die Erste Hilfe, und ihre  Verlegung in die italienischen Zentren innerhalb von maximal 48 Stunden”. Heute denken die Vettern PD Abgeordneten anders darüber: Die Zentren auf Lampedusa waren ein Paradies und sollen wieder eröffnet werden. Und die Schlüssel sollen wieder den “roten” Koooperativen des Migrantenbusiness Spa" - der Migranten-Geschäftermacheri-Aktiengesellschaft,  übergeben werden.


(aus dem Italienischen von Alexandra Harloff)