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Freitag, 29. Juli 2011

Mineo, Fünf-Sterne-Hölle

von Antonio Mazzeo
Ein Bett in gut eingerichteten Häusern, Tennis- und Fußballplätze, englischer Rasen, drei reichliche Mahlzeiten pro Tag, Trinkwasser zu jeder Tages- und Nachtzeit. Bis vor sechs Monaten war es die Luxusresidenz der US-Soldaten des Stützpunktes Sigonella. Heute beherbergt das Villaggio degli aranci in Mineo (Catania) das ehrgeizigste Programm der „Solidarität“ à la Berlusconi: das Zentrum für Asylbewerber (CARA) für etwa zweitausend Asylbewerber, Frauen, Männer und Kinder, die wie durch ein Wunder den Schrecken von Kriegen und Diktaturen entkommen sind.
Die Regierung hat eine denkbar einfache Vorstellung: alle Flüchtlinge sollen in einer komfortablen Struktur untergebracht werden, nachdem sie mithilfe des Militärs aus den Unterkünften, in denen sie bislang in der Hoffnung auf die Erlangung von Asyl in Italien gelebt hatten, geholt wurden. Der Lebensstandard in Mineo ist sicherlich nicht mit dem der ehemaligen, zu Asylzentren umfunktionierten Kasernen vergleichbar, doch wenige Tage in der heißen Ebene unterhalb des Ätnas reichen aus, um sich bewusst zu werden, dass auch die Hölle fünf Sterne haben kann. Schlange stehen und darauf warten, an der Reihe zu sein, bestimmt den Tagesablauf im Zentrum: Anstehen zu den Mahlzeiten, um zu telefonieren (nur drei Minuten pro Monat), um ins Internet zu gehen (fünf Minuten), um hinauszugehen (erst nach 8 Uhr morgens) und zurückzukommen (nicht nach 20 Uhr) – durch die Tore, die die Grenze zwischen der Oase des Asylzentrums und der schier endlosen Sand- und Steinwüste markieren. Die nächstgelegene Ortschaft ist Mineo (11 km), und weiter entfernt Caltagirone (25 km). Wer dorthin wollte, musste zu Fuß gehen; jetzt sind Shuttlebusse eingesetzt worden, doch die Fahrt kostet 2 Euro hin und zurück nach Mineo und 4,5 Euro nach Caltagirone, und die Asylbewerber erhalten keinerlei finanzielle Unterstützung, im Gegensatz zu allen anderen Zentren für Asylbewerber (CARA) in Italien, und auch die Telefonkarten für die Gespräche mit ihren Verwandten müssen sie selbst kaufen. Die Verwaltung des Zentrums ist durch eine Privatverhandlung an das italienische Rote Kreuz übertragen worden. Ab dem 1. August soll sie vielleicht durch den Zivilschutz übernommen werden und Dienstleistungen an lokale Kooperativen und NGOs übergeben werden. Bleibt zu hoffen, dass sich nicht wiederholt, was im April geschehen ist, als ein enger Verbundener des lokalen Mafiabosses, Rosario di Dio, kurzzeitig mit dem Verkauf von Zigaretten und Telefonkarten im Asylzentrum beauftragt wurde. „Mineo ist ein Segregationszentrum, dort werden neue Haftpolitiken für Migranten ausprobiert“, beklagt der Verein Rete Antirazzista Catanese, der eine Kampagne für die sofortige Schließung des Zentrums gestartet hat. „Das Gebiet ist extrem militarisiert, es ist doppelt eingezäunt, es gibt Überwachungskameras, etwa Hundert Carabinieri, Polizisten und Soldaten führen einengende Kontrollen durch und Missbräuche bleiben nicht aus. Es gibt jedoch nur wenige Kulturvermittler, keine Zeitungen und kein Fernsehen, keine Freizeit- oder kulturellen Aktivitäten. Das Essen schmeckt nicht und obwohl die Unterkünfte über funktionierende Küchen verfügen, ist die Zubereitung von Speisen verboten“. Die Untragbarkeit des Modells Mineo wird auch in einer nationalen Untersuchung über das Asylsystem angeprangert, die vom Verein für juristische Studien zur Immigration ASGI (Associazione Studi Giuridici Immigrazione) in Zusammenarbeit mit dem Centro Studi Politica Internazionale, Caritas, Consorzio Communitas und Associazione Italiana für den europäischen Rat der Gemeinden und Regionen Europas durchgeführt wurde. „Aufgrund seiner Lage und der Tatsache, dass es sich als Fremdkörper in einem bereits brüchigen sozio-ökonomischen Kontext befindet, ist das Zentrum Mineo – wie es in der Untersuchung heißt – eine Struktur, die stark gefährdet ist, sich zu einem vollkommen von der Umgebung isolierten Ghetto, einer eigenen Realität, zu entwickeln, in der sich schnell schwerwiegende Phänomene der Ausgrenzung und des sozialen Verfalls einstellen können.“ Trotz der Bemühungen der Regierung fehlt im Zentrum jegliche Planung von Dienstleistungen, es gibt keinerlei Anbindung an die lokalen Behörden. „Die lokale Gesundheitsbehörde ASL, die über keine zusätzlichen Ressourcen verfügt, ist kaum in der Lage, ihrer institutionellen Aufgabe des Gesundheitsschutzes wirksam nachzukommen“, fügen die Forscher hinzu. „Es ist auch keine Verstärkung des Schuldienstes vorgesehen, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden (zum 13. Mai 2011 gab es etwa 80 Minderjährige mit Familie und 40 unbegleitete ausländische Minderjährige)“. Unsicherheit und Verwahrlosung, Misstrauen, Einsamkeit und Verzweiflung sind die vorherrschenden Gefühle der „Gäste“. Die Stärksten versuchen weiterzukommen, indem sie Fluchtversuche in Richtung Frankreich oder Deutschland unternehmen. Andere begnügen sich damit, rastlos am Stacheldrahtzaun entlang zu gehen, wie Häftlinge bei ihrem Hofgang. Wieder andere setzen ihre Wut und ihren Freiheitsdrang in berechtigte Protestaktionen um: in weniger als vierzig Tagen haben etwa hundert Flüchtlinge drei Mal die Fahrbahn der Schnellstraße zwischen Catania und Gela blockiert und die Reaktion der Sicherheitskräfte herausgefordert. Am 20. Juni mussten sich zehn von ihnen wegen der durch die Schläge der Sicherheitskräfte hervorgerufenen Verletzungen in ärztliche Behandlung begeben. Viele jedoch geben nach. Die Unbestimmtheit des haftähnlichen Aufenthalts, das ewige Schweben zwischen Sein und Nichtsein, zwischen Person und Nichtperson, können auch selbstzerstörerische Folgen haben. In dem Zentrum gab es bereits sieben Selbstmordversuche von Flüchtlingen, wie die Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen bekanntgeben, die in Mineo ein Projekt für die geistige Gesundheit für die 350 Bewohner durchführen. Wegen der hohen Zahl der untergebrachten Flüchtlinge und der chronischen Ineffizienz der Institutionen, die für die Anerkennung des Flüchtlingsstatus zuständig sind, kann sich die Verbannung in die Vorhölle von Mineo bis ins Unendliche ausdehnen. Die für die Untersuchung der Asylanträge zuständige regionale Kommission hat erst am 19. Mai mit den Anhörungen begonnen und kann nur zwei Personen pro Tag treffen, und dies höchstens zwei Mal wöchentlich. Bei diesem Rhythmus wird die Bearbeitung der zweitausend Anträge mindestens drei Jahre in Anspruch nehmen. Außerdem sind bereits zahlreiche Anträge abgelehnt worden und die Anträge für eine ganze Gemeinschaft, die Pakistaner aus Punjab, sind en bloc zurückgewiesen worden.
Herkunftsländer der Asylbewerber im Zentrum Mineo (Stand: 18. Juli 2011):
Afghanistan 160, Bangladesch 24, Burkina Faso 47, Tschad 18, Elfenbeinküste 133, Eritrea 116, Äthiopien 49, Georgien 1, Ghana 136, Guinea 17, Iran 24, Irak 11, Kenia 1, Libyen 8, Mali 136, Niger 14, Nigeria 328, Pakistan 317, Senegal 54, Syrien 1, Somalia 5, Sudan 36, Tunesien 6, Türkei 20, Kamerun 7, Gabon 2, Liberia 5, Marokko 1, Mauretanien 3, Guinea-Bissau 2, Togo 37, Gambia 32, Sierra Leone 12, Benin 4, Kongo 12, Ägypten 2, Palästina 1.

Dieser Artikel wurde in der Zeitschrift Avvenimenti, Nr. 30 vom 29. Juli 2011 veröffentlicht.

Übersetzung aus dem Italienischen: Renate Albrecht