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Freitag, 4. November 2016

Von der Schwierigkeit, Menschen aufzunehmen: Lampedusa

Es befinden sich ganze 850 Menschen im Hotspot von Contrada Imbriacola auf Lampedusa, einer Einrichtung (in teilweise unbenutzbaren Zustand), die nur auf 250, maximal 300 Menschen ausgelegt ist. Das hat zur Folge, dass den Menschen hier täglich Unmenschliches widerfährt. Auf Lampedusa sind Misshandlungen nur möglich, weil die Insel weit weg von Augen und Herzen der Öffentlichkeit liegt. Hier wird Minderjährigen, Frauen und anderen Menschen, die besonderen Schutz brauchen Leid angetan, das wider das Gesetz ist. Hier werden Menschen festgehalten, ohne sie nach dem Geschlecht zu trennen, ohne dass mehrere Monate etwas passiert. Hier können sie vor der Öffentlichkeit und vor humanitärer Hilfe verwahrt werden, in einem Hotspot, der off-limits ist und den Zugriff erschwert.


Es gibt bereits seit längerer Zeit berechtige Anfragen auf Auskunft über die tagtäglichen Zustände innerhalb des Hotspots. Sie richten sich an die politisch Verantwortlichen, an die Institutionen, die sie betreiben und bewachen. Die Anfragen kommen auch von der Inselbevölkerung. Es geht darum, sicherzustellen, ob den dortigen Menschen überhaupt eine menschenwürdige Aufnahme geboten wird oder zumindest angestrebt wird. Bisher jedoch wurden solchen Anfragen nicht beantwortet. Über den vergangenen Sommer hinweg haben die Presseorgane über die fortwährenden Ankünfte in Lampedusa kein Wort verloren. Eine Motivation dafür mag gewesen sein, die Unzufriedenheit der Tourismusbetriebe zu dämmen. Diese nämlich beklagen sich seit Jahren über Verluste und Imageschäden, obwohl sie auch im Sommer 2016 vollständig ausgebucht waren.

Man schweigt gerne über die Tatsache, dass täglich hochschwangere Frauen, Kleinkinder und Schwerkranke auf die Insel gelangen und nach einer ersten Untersuchung im Krankenhaus sofort nach Palermo geflogen werden. In den vergangenen Tagen ist eine junge Frau den Verletzungen erlegen, die sie bei der Überfahrt über die Straße von Sizilien erlitten hatte. Sie ist ein weiteres Opfer in einem System, das tötet und niemanden verschont. Sie wird weder einen Namen auf ihrem Grabstein erhalten, noch in der offiziellen Statistik über die Tote auf dem Meer auftauchen.




Am Samstag, den 29. Oktober um 08.30 Uhr morgens ist ein Schiff im Hafen angekommen, das von Patrouillenbooten Klasse 300 der Küstenwache begleitet wurde. Auf dem Schiff befanden sich 425 Menschen. Sie sind am Tag zuvor gerettet worden. Ihre Überfahrt von Afrika war durch starken Regen und Wind geprägt. Sie wurden am Pier Favaloro empfangen, wo Ehrenamtliche des Vereins Forum Lampedusa Solidale ihnen Wasser, Säfte, süße Snacks und Thermodecken gegeben haben. Unter den Ankommmenden waren circa 40 junge Frauen, manche in Begleitung von Kindern, die aus Nigeria stammen. Andere wiederum kamen aus dem Senegal und dem Kongo, manche aus Guinea, Togo und Bangladesch. Ein Passagier kam aus Syrien. Ihr Zustand war gezeichnet von der Überfahrt, aber verhältnismäßig stabil.

Nach einer langen Wartezeit am Pier sind sie zum Hotspot verlegt wurden, wo sie dem unmenschlichen Identifizierungsverfahren ausgesetzt worden sind. Vor ihnen sind bereits 850 Menschen gezwungen gewesen, in gemischt geschlechtlichen kleinen Räumen zu leben oder sogar auf Luftmatratzen im Hof zu schlafen.

Eine besondere Behandlung erhalten die Menschen aus den Maghreb-Staaten, die sofort nach ihrer Ankunft erkennungsdienstlich behandelt und in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Es werden dabei oft diejenigen besonders zügig abgeschoben, die sich über die Zustände in den Lagern beschwert haben. Sie haben das Flugzeug, das sie nach Tunis bringen sollte, mit Kabelbindern am Handgelenk betreten, als seien sie verurteilte Straftäter*innen. In Palermo steigen sie um, wo sie von Polizist*innen bewacht werden, die eine mögliche Flucht verhindern und sicherstellen sollen, dass der Empfänger die „Pakete“ erhält.



Die anderen Marokkaner*innen und Algerier*innen, jeweils 26 respektive 3, die am selben Tag Sizilien erreicht haben, sind über das Polizeipräsidium Agrigento nach Porto Empedocle mit der Fähre geschickt worden.



Währenddessen wird das x-te verheerende Schiffsunglück vor der libyschen Küste bekannt, bei denen nur 29 Menschen überlebt haben. In Tripolis waren zwei Schiffe mit circa 300 Menschen gestartet. Es sind wahrscheinlich circa 239 Menschen auf See verschwunden/gestorben, 12 leblose Körper hat man bereits geborgen. Unter den Überlebenden sind überwiegend Menschen aus Guinea. Eine von ihnen musste dringend aufgrund schwerer Verletzungen ins Krankenhaus überwiesen werden. Die anderen hatten keine Kraft mehr zu stehen und sahen schwer verstört und von der Überfahrt traumatisiert aus. Es sind unzählige Tote, die Lampedusa erreichen. Die, die überleben, können vom Unterzeichner auch nur schwer getröstet werden.

Alberto Biondo
Borderline Sicilia
Übersetzt aus dem Italienischen von Alma Maggiore