siciliamigranti.blogspot.com ist ein italienischsprachiges Monitoringprojekt zur Situation der Flüchtlinge in Sizilien, dort finden Sie die Original-Berichte, hier finden Sie die deutschen Übersetzungen. Klicken Sie auf die auf die Namen der Schlagworte (keywords), wenn Sie bestimmte Themen suchen.

Montag, 28. September 2015

Messina, Polemik bzgl. der Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und des Zeltlagers von Pala Nebiolo

In diesen Tagen gibt es zahlreiche Artikel über die Debatte zwischen dem Bürgermeister von Messina, Renato Accorinti, und dem Präfekten, Stefano Trotta, die das Thema unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (umF) betreffen. 
Zwei Monate vor Ablauf der Vergabe der Verwaltung der Einrichtung für umF an die Kooperative Ahmed in den Räumlichkeiten des  ehemaligen Ipab* “Scandurra Conservatori Riuniti”, wirft die Präfektur der kommunalen Verwaltung erneut vor, absolut desinteressiert gegenüber der Situation der Aufnahme der Minderjährigen zu sein.

Die Einrichtung Ahmed ist durch Beschluss des Präfekten im vergangenen Oktober, in einer Ausnahmesituation aufgrund des Mangels an genügenden Plätzen, für die Aufnahme der angekommenen Jugendlichen eröffnet worden. 
In der Zwischenzeit ist die Verwaltung aber nicht ihrer Aufgabe nachgekommen, für geeignete Unterkünfte zur Aufnahme von umF zu sorgen. Im Hinblick auf den Ablauf des derzeitigen Vergabezeitraums fordert der Präfekt, dass man an die geeignete Unterbringung für 200 in der Einrichtung befindlichen Jugendlichen denken soll. Aber die Einrichtung Ahmed ist nicht die einzige Struktur, die als Ausnahmeeinrichtung in der Stadt errichtet wurde.
Seit November 2013 verfügt Messina über ein Zeltlager, bestehend aus 32 Zelten für maximal 250 Personen. Hierbei sollte es sich um eine provisorische Lösung handeln, um der wachsenden Anzahl der über das Meer ankommendem Migranten zu begegnen.
Dieser sog. "Notfall" liegt in Italien seit dem Ende der Neunzigerjahre vor, wird aber wie eine plötzliche Notsituation behandelt, der eine langfristige Planung mit geeigneten Orten für die Aufnahme der Personen gänzlich fehlt. Diese kommen jährlich auf der Suche nach Hilfe und Schutz an, nachdem sie auf einer langen und gefährlichen Reise ihr Leben riskiert haben.

Foto Giulia Freddi
 Zu Beginn des zweiten Jahres des Bestehens des Zeltlagers von Pala Nebiolo und mit der wachsenden Anzahl der Ankünfte, die dieses Jahr insbesondere die Stadt betrifft, hat manch einer begonnen, sich über die widrige Aufnahme durch die Stadt Messina und unrechtmäßige Situation zu empören. Der Winter nähert sich. Die Kälte und der Regen sind auch in Sizilien auf dem Anmarsch und manch einer wird gezwungen sein, die nächsten Monate in einem Zelt zu verbringen, was die Gefahr der Überschwemmung in sich birgt (so wurde das Lager infolge eines starken Regens im Dezember 2013 evakuiert).
Das Zeltlager befindet sich innerhalb des V. Kreisbezirks der Gemeinde Messina. Paolo Barbera, Kreisrat des Kreisbezirks, ist seit fast einem Jahr Stimmträger gegen die prekäre Situation, in der sich die Migranten befinden. Im Mai diesen Jahres ist eine erste Anfrage beim Bürgermeister und beim Präfekten erfolgt, um die ehrenamtliche Tätigkeit der Asylbewerber zu fördern. Barbera ist der Meinung, dass eine derartige Tätigkeit die Migranten stimulieren könnte, da sie oft überhaupt keiner Tätigkeit nachkommen. Außerdem sei es eine Möglichkeit, die Stadtbewohner kennenzulernen und damit fremdenfeindliche Gefühle zu reduzieren. Diese seien auf Misstrauen und Angst zurückzuführen, die wiederum auf Ignoranz basieren. Es ist ihm im Anschluss daran gelungen, den gesamten Kreisbezirk zu einem weiteren Beschluss zu bewegen, der eine zweite Anfrage an den Bürgermeister und den Präfekten betrifft, mit der Forderung der Schließung und einem alternativen Vorschlag zur Organisation der Aufnahme der Migranten. Indem zahlreiche Kritiken an der Verwaltung der Aufnahme in Messina dargelegt werden, wendet er sich an die Autoritäten, in der Hoffnung, dass "Zeltlager beziehungsweise die Konzentration von hunderten von Personen in einer einzigen und prekären Einrichtung durch eine verbreitete, verteilte Aufnahme in bewohnten Zentren ersetzt werden".  

Paolo Barbera erklärt, wie eine verbreitete Aufnahme, d.h. die Unterbringung von Kleingruppen von Personen in kleinen Einrichtungen, möglich und wünschenswert in menschlicher Hinsicht wären. 
In Messina gebe es viele unvermietete und unbewohnte Wohnungen. Diese, einmal ordnungsgemäß ausgestattet, seien absolut geeignet, um würdevoll zu leben. Orte, die kleiner als die großen Zentren seien, verteilt innerhalb des sozialen Netzes einer Stadt, bieten denjenigen, die dort leben, eine höhere Lebensqualität, was die persönlichen Beziehungen und die Privatsphäre eines jeden anbelange. Darüber hinaus werde der direkte Kontakt zu den Bewohnern eines Viertels gefördert, und das Risiko des sozialen Ausschlusses reduziert.

In Bezug auf die Vorteile, die die Stadt dadurch erlangen würde, würde man in wirtschaftlicher Hinsicht für das Bewohnen der Häuser die derzeit leer stehen, einen entsprechenden Mietzins entrichten und in ästhetischer Hinsicht würde die Stadt eine Verbesserung durch das Wiederbeleben der verlassenen Orte widerfahren. 
Die positiven Seiten sind evident, die sich bei der Ausführung des Vorschlags des V. Kreisbezirks zu Gunsten aller ergeben würden, insbesondere der Migranten, aber auch der Einwohner der Stadt und der Stadt selbst.

Es sei aber unerlässlich, die Spekulationen und Kundenbeziehungen, die von unserem Aufnahmesystem derzeit profitieren, Abstand zu nehmen, und Ideen den Vorrang zu geben, die auf der Beachtung der Rechte basieren.
Aufgrund der kommunalen Satzung ist der Bürgermeister aufgrund des Anfragebeschlusses verpflichtet, innerhalb von 30 Tagen Stellung zu nehmen. Der V. Kreisbezirk ist aber davon überzeugt, wie bereits in vorhergehenden, ähnlichen Fällen, keine Mitteilung zu erhalten. In diesem Fall habe er vor, weiterhin Druck auszuüben, bis man bezüglich des Zeltlagers von Pala Nebiolo interveniert, denn dies stelle kein Aufnahme dar, zu der Messina in der Lage sei.

Giulia Freddi
Borderline Sicilia

*IPAB - Istituto pubblico di assistenza e benessere, italienische öffentliche Einrichtung der Wohlfahrt und Unterstützung

Aus dem Italienischen von Lan Gatti