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Montag, 14. September 2015

Im Alter von 12 Jahren das Meer überqueren. Hunderte von Minderjährige haben die Küsten Siziliens erreicht

Die Zahl der unbegleiteten Minderjährigen die über das Meer nach Sizilien kommen, steigt deutlich und ständig. Bei fast jeder Anlandung werden Dutzende, wenn nicht sogar Hunderte von Jugendlichen registriert, die alleine in einem immer jüngeren Alter die Überfahrt auf sich nehmen, wie z. B. die 154 ägyptischen Minderjährigen, die am 4. September Augusta erreicht haben.
Während die Festung Europa weiterhin auf die oberflächliche und gefährliche Klassifizierung in wirtschaftliche Migranten und potentielle Asylbewerber beharrt, Maßnahmen zur Identifizierung und anschließenden Abschiebung immer mehr verbessert, fordert eine Masse an kleinen Menschen jeden Tag den Tod heraus und zeigt uns somit wie opportunistisch, durchlässig und diskriminierend diese Aufteilungen sind.

Da fragt man sich noch einmal mehr, mit welcher Courage Europa Hunderte von Marokkaner, Tunesier und Ägypter ablehnt, die eine beträchtliche Anzahl an Arbeitskräften darstellen, die seit Jahrzehnten die schwersten und demütigsten Arbeiten ausüben und in allen Ländern der Union in einem Regime der Ausbeutung leben. Aber die Scheinheiligkeit scheint immer mehr Hand in Hand mit dem Sichtbarkeitswahn und wirtschaftlichen sowie politischen Konstruktionen zu gehen, die wir bald besser verstehen werden. Man fragt sich nämlich nicht, was Hunderte von noch fast Kindern dazu führt ihr Land zu verlassen oder was in Ägypten  passiert, sondern zieht es vor, über ihre Ankunft zu berichten und somit wieder einmal die Notwendigkeit von Militarisierungsmaßnahmen und Kontrolle als einzige Mittel für die Bekämpfung vom Menschenhandel zu nennen. Vielleicht reicht es nicht mal dafür, sondern man bleibt bei den pietistischen Kommentaren von denjenigen, die die Rhetorik des guten Herzens und des Mitleids verwenden, um nicht von den unerträglichen Lebensbedingungen in den Ursprungsländern oder den Geschäften berichten zu müssen, die viele auf der Haut dieser Jugendlichen machen. Von der organisierten Netzwerken der Ausnutzung und des organisierten Menschenhandels bis zum Business einiger Akteure der sogenannten Aufnahme, die in der Leitung von Projekten für Jugendlichen leider die Möglichkeit einer höheren Erstattungssumme durch den Staat sehen. Es sind viele die Angelegenheiten über die man Klarheit schaffen müsste, die Panikmache des Moments und die allgegenwärtige instrumentalisierte Ausrede des Notfalls überwindend.

Was erwartet also die in Sizilien angekommenen Minderjährigen? Die 154 ägyptischen Jugendlichen, die am vergangenen Freitag zusammen mit weiteren 74 Migranten in Augusta an Land gegangen sind, wurden ins Erstaufnahmezentrum Umberto I in Siracusa gebracht, in dem sich die meisten von ihnen heute immer noch befinden. Eine recht unglückliche Unterbringung, da das Gesetz die Verlegung in für Minderjährige angebrachte Einrichtungen vorsieht. Das Umberto I ist nicht der Ort, an dem die Jugendlichen sein sollten, auch wenn diese Einrichtung speziell für Minderjährige vorgesehen ist. Save the Children begleitet die Jugendlichen seit ihrer Ankunft und berichtet über die ersten Verlegungen nach Kampanien, Latien und in weitere sizilianische Zentren und der ständigen Suche einer geeigneten Unterbringung für die 95, die sich aktuell noch im Umberto I befinden. In Sizilien scheinen keine Plätze mehr verfügbar zu sein. Das durchschnittliche Alter ist sehr jung, einige geben an zwölf Jahre alt zu sein, auch wenn sie viel jünger aussehen. Ihr Gesundheitszustand ist relativ gut. Einige Jugendlichen haben sich autonom vom Zentrum entfernt und gestern sprachen einige Aktivisten von circa zehn ägyptischen Jugendlichen, die sich am Bahnhof von Catania niedergelassen haben um auf Busse nach Rom zu warten. Ein sehr ernstes Ereignis, das sich aufgrund der prekären Aufnahmebedingungen wahrscheinlich wiederholen wird.
Zahlreiche Minderjährige aus Ägypten wurden in letzter Zeit auch aus dem CPSA* von Pozzallo verlegt, in dem sie hoffentlich nur für kürzeste Zeit untergebracht waren. Einige von ihnen befinden sich jetzt im Aufnahmezentrum, welches von Mediterranean Hope in Scicli geleitet wird, wo sie anfangen mit der Außenwelt in Kontakt zu treten und die Gewissheit haben können, sich an einem sicheren Ort zu befinden. Was wird aber in der Zwischenzeit mit all den anderen Jugendlichen passieren und denen, die in der Zukunft ankommen werden?

Am heutigen Vormittag, Samstag dem 12. September, sind weitere 140 Migranten im Hafen von Ibleo angekommen. Unter ihnen auch 55 unbegleitete Minderjährige aus Ägypten und der Subsahara-Afrika, welche derzeit alle ins CPSA gebracht wurden. Die Aufnahme muss so vorbereitet werden wie die Gesetze es vorsehen, man muss aktiv werden um Unterbringungen innerhalb ganz Italiens zu ermöglichen und den notwendigen Schutz zu garantieren, Stellung nehmen zu den Gründen, die Hunderte von Jugendlichen dazu bewegen ihr Leben im Meer zu riskieren. Viele Menschen sind bereit schöne Fotos zu verbreiten, die mit den Jugendlichen bei ihrer Ankunft im Hafen geschossen wurden und die Bilder mit den jungen Gesichtern für ihre Spendenkampagnen zu nutzen. Aber noch viel zu wenige hinterfragen die Ursachen die diese Jugendlichen bis hierhin gebracht haben und viel zu wenige versuchen ihnen die Möglichkeit einer Zukunft zu geben, die diesem Wort Ehre macht.

Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus

*CPSA: Zentrum zur Ersten Hilfe und Erstaufnahme.

Aus dem Italienischen von Linde Nadiani