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Samstag, 12. September 2015

Hotspots seit dem 17. September in Betrieb: "Es werden Abschiebungshaftzentren"

Die ersten, die in Betrieb genommen werden, sind die in Pozzallo und Lampedusa.
Arci* meint: «In den "Hotspots" werden die Rechte der unrechtmäßig Inhaftierten missachtet werden». CIR* kommentiert: ”Nach unserem Kampf gegen die Abschiebungshaftzentren finden wir uns mit einer neuen Art der Inhaftierung konfrontiert”.
Redattore Sociale – Schnellere Rückführungen, "Hotspots" in den Ankunftsländern um sofort zu unterscheiden, wer Anrecht hat auf den internationalen Schutzstatus für Flüchtlinge hat und wer nicht, eine Auflistung der "sicheren Rückführungsländer" um die Asylanfragen zu reduzieren. Das ist die andere Seite der Medaille des Junckerischen Planes zur Wiederansiedelung der 160000 Flüchtlinge in den Ländern der europäischen Union. Bei der Einreise in die europäischen Länder soll eine klare Auslese und Unterscheidung erfolgen – das kritisieren die Menschenrechtsorganisationen, die sich seit jeher für den Schutz der Migranten engagieren. Denn das Risiko besteht, dass systematisch deren Rechte missachtet werden durch eine Unterscheidung in Flüchtlinge der Kategorie A und der Kategorie B.

Der umstrittenste Punkt sind die "Hotspots", die Zentren, die an den europäischen Außengrenzen eingerichtet werden und zur Identifikation der Ankommenden dienen sollen. In unserem Land sollen es fünf sein: in Pozzallo, auf Lampedusa, in Trapani, Taranto und Augusta. Die in Pozzallo und auf Lampedusa sollen als erste am 17. September 2015 ihren Betrieb aufnehmen. "Es besteht die Gefahr, dass Italien dadurch zweigeteilt wird: im Süden die geschlossenen "Hotspots" für Migranten, die abgeschoben werden sollen – im Norden die offenen "Hotspots" für Migranten, die als schutzbedürftig eingestuft werden" befürchtet Filippo Miraglia, Vizepräsident von Arci*, der sich zurzeit in Pozzallo aufhält, einer der Städte, wo am 17. September einer der vielen Barfussmärsche zur Solidarität mit den Flüchtlingen stattgefunden hat. "Wir haben uns entschlossen, hier eine Initiative zu lancieren, um gegen die bevorstehende Eröffnung des "Hotspots» in Pozzallo zu protestieren" – er unterstreicht, dass zu viele Maßnahmen im Betrieb dieser "Hotspots" fragwürdig sind. Vor allem befürchtet Filippo Miraglia, dass die Unterscheidung und Auswahl der Flüchtlinge zufällig und ungerecht gehandhabt werde.  "Bei einer Landung von 3000 – 4000 Personen, wie wir sie in diesen Tagen erleben, wie kann da eine Identifikation korrekt durchgeführt werden?", fragt er sich. "Wer sich identifizieren lässt, wird in die Zentren im Norden Italiens transferiert. Die "nicht Identifizierbaren" werden in den "Hotspots" des Südens festgehalten, was einer Gefangennahme gleichkommt. Es besteht das Risiko, dass dafür gerade jene den Preis bezahlen, die am meisten schutzbedürftig sind, die aber nicht in Italien bleiben wollen, vor allem Syrer und Eritreer. "Was ebenfalls abgeklärt werden muss, ist die Dauer der Inhaftierung. "Es ist leicht vorstellbar, dass die Flüchtlinge monatelang in den "Hotspots" bleiben müssen. Aber eine Inhaftierung ohne richterliche Anweisung ist gesetzeswidrig. Das hat eine Verurteilung unseres Landes durch den europäischen Strafgerichtshof vor kurzem wieder bestätigt. Und das bedeutet ebenfalls, dass in Zukunft die Gesetze weiterhin nicht befolgt werden, dass die Zahl der Abschiebungszentren (CIE*) erhöht wird und dass die Menschen unter unwürdigen Bedingungen festgehalten werden". Der Vizepräsident des Arci* schliesst mit den Worten: "Dieses Vorgehen lenkt ab von der Tatsache, dass die Europäische Union schweigt über die viel wichtigere Frage der Schaffung von legalen Migrationswegen. Deren Regierungen fahren fort mit ihren Diskussionen über Quoten, Identifikationen und Abschiebungen. Aber sie tun nichts, um zu verhindern, dass die Menschen ihr Leben riskieren müssen. Tatsächlich beschäftigen wir uns hier mit Überlebenden, mit denen, die es geschafft haben hier anzukommen. Dieser Gedanke ist unerträglich. Bis heute haben die Migranten keine Möglichkeit, ihre Reise ohne die Tätigkeit der Schlepper zu organisieren."
Auf der gleichen Linie liegt auch Fiorella Rathaus. Sie ist Präsidentin des Italienischen Flüchtlingsrates CIR*: "Nachdem wir so lange gekämpft haben für die Schließung der Abschiebungszentren (CIE*), sehen wir uns mit einer neuen Form der Haft konfrontiert. Wir müssen uns diesem Problem stellen. Für die Identifizierungspraxis steht unser Land seit Jahren in der Kritik. Jetzt im Lichte der geplanten Auslagerung ist die Identifizierung noch wichtiger. All das muss aber in Einhaltung bestimmter Kriterien bei den Transfers geschehen. Wir können nicht Rückschritte zulassen in Bezug auf die Wahrung der fundamentalen Rechte."

Was dem Flüchtlingsrat ebenfalls Sorgen bereitet, ist die zeitliche und örtliche Nähe einerseits des internationalen Schutzes und andererseits der Rückführungen. Dieser Punkt bereitet uns grosse Sorgen. Denn es herrscht eine grosse Verwirrung in diesem Bereich. Der Transfer durch die "Hotspots" sollte zur Abklärung dienen, wer auf internationalen Schutz pochen kann und wer nicht. Aber unserer Meinung nach ist das nicht möglich, denn an so einem Ort können keine Asylverfahren durchgeführt werden. Wir fragen uns deshalb wie eine rasche Auswahl stattfinden kann? Vielleicht mit Hilfe der Liste sicherer Drittländer? Das würde aber die Genfer Konvention missachten, das haben wir immer wieder gesagt. Wir wissen von Fällen, die dringend auf Schutz Anrecht haben – was zur Folge hat, dass anderen die Türen verschlossen werden. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, Rückschritte zu machen. Unsere Hoffnung ist es, dass die Tendenz zur Öffnung, die Europa  zeigt, Wirklichkeit wird. Das Thema "Hotspots" hat dieser Tage auch der Präfekt Mario Morcone angesprochen, anlässlich seiner Teilnahme am internationalen Kongress der Comunità di Sant Egidio in Tirana: "Einige Länder bestehen darauf, dass wir "Hotspots" einrichten. Ich befürchte, dass das ein Mittel ist, die Migrationsproblematik auf die Länder des Südens abzuwälzen, vor allem auf Italien und Griechenland. Aber eines ist sicher: wir werden immer mit Nein antworten, wenn von uns verlangt wird, eine Art Konzentrationslager für Migranten einzurichten, sei es nun in Kalabrien oder Sizilien.»(e.c.)

*L'ARCI – Associazione Ricreativa e Culturale Italiana: Vereinigung zur Förderung von Kultur, Bildung, Frieden, Menschenrechte, und Wohlfahrt
*Cir – Consiglio italiano per i rifugiati: Italienischer Flüchtlingsrat
*CIE – Centro di Identificazione ed Espulsione: Zentrum zur Identifikation und Abschiebung

Übersetzung aus dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé Tagne