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Dienstag, 29. September 2015

Besuch der Zentren für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge von San Giovanni La Punta und S. Agata Li Battaiti

„Airone Onlus“ ist ein Verein, der sich seit vielen Jahren um Jugendliche kümmert. Die erste Gemeinde entstand zu Beginn der achtziger Jahre für die Aufnahme italienischer Jugendlicher, aber bereits in den frühen Neunziger Jahren begann man auch unbegleitete  minderjährige Flüchtlinge zu beherbergen.
Zur Zeit verwaltet der Verein drei Jugendgemeinden in denen sowohl italienische als auch ausländische Jugendliche beherbergt werden; alle drei sind vertraglich an die Region gebunden und voneinander unabhängig. Das verschafft ihnen einen Handlungsspielraum, welchen ich als sehr wichtig empfinde, um verschiedene Situationen, welche sich zwischen den einzelnen Kommunen und Gemeinden unterscheiden, besser handhaben zu können.

Wir haben nur zwei der drei Gemeinden kennenlernen können und trotz der gegenseitigen Unabhängigkeit, weisen sie viele Ähnlichkeiten auf. Beide sind für die Aufnahme von zehn Gästen ausgerichtet, für männliche Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren, wovon zwei Plätze für vorbestrafte Jugendliche reserviert sind. Die beiden Wohnungen sind sehr gepflegt und sauber, mit großen einladenden Räumen und leicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Auch das Team, welches in den beiden Zentren arbeitet, ähnelt sich in der Aufstellung: Vier Erzieher, von denen einer die Rolle des Koordinators innehat, ein Part-time Erzieher und ein zusätzlicher Helfer, welcher sich um die Essenversorgung und die Reinigungsarbeiten kümmert. Die Angestellten, mit denen ich gesprochen habe, arbeiten bereits seit mehreren Jahren in der Gemeinde und haben folglich bereits viel praktische Erfahrung sammeln können.
Die Gemeinde von San Giovanni La Punta beherbergt zur Zeit sechs Jugendliche, drei Italiener und drei Ausländer: Einer von ihnen ist gerade volljährig geworden und stammt aus Gambia, sowie zwei Ägypter, ein Voll- und ein Minderjähriger.
Die Tutoren werden von den Gerichten einen Monat nach der Anfrage zugeteilt, ein zu langer Zeitraum,  im Angesicht der Tatsache, dass keinerlei Handlung vor der Ernennung möglich ist. Was die ärztliche Versorgung betrifft, hat es keinerlei Probleme gegeben.
Alle Jugendlichen in der Gemeinde erhalten ein Taschengeld von täglich 1,55 Euro. Das Geld dient den Jugendlichen, zur individuellen Erfüllung von Wünschen, wobei Kleidung, Essen und Transportkosten von der Gemeinde übernommen werden.
Was das Erlernen der italienischen Sprache betrifft, besuchen die Jugendlichen einen Alphabetisierungskurs des Centro Asalli. Ab dem 16. Lebensjahr werden sie an das Centro EDA weitervermittelt. Zum Zeitpunkt unseres Besuches erlernt keiner der jungen Gäste die Sprache: Der aus Gambia stammende Jugendliche, in Italien seit 2014, hat einen Alphabetisierungskurs besucht, welchen er aber nach wenigen Monaten abgebrochen hat; der 14-jährige Ägypter, welcher Italien vor zwei Jahren erreicht hat, hat einen Alphabetisierungskurs begonnen, den er nur einmal unterbrochen hat. Einer der Angestellten hat versucht ihn an eine Schule zu vermitteln, hat dabei jedoch Schwierigkeiten gehabt und hofft nun, ihn in einem EDA-Kurs unterzubringen. Der kürzlich volljährig gewordene Ägypter hat vor einigen Monaten die Mittelschule abgeschlossen.  
Die Angestellten sind der Auffassung, dass es sehr wichtig für die Jugendlichen ist, sich sportlich zu betätigen und haben aus diesem Grund eine Abmachung mit dem Fitnessstudio getroffen, sowie mit dem städtischen Schwimmbad, welches jedoch seit einigen Jahren wegen Renovierung geschlossen ist. Außerdem werden Ausflüge ans Meer und Fußballspiele organisiert.
Zur Zeit befindet man sich in einer Umbruchsphase. Der Jugendliche aus Gambia hat im April mit den Behörden gesprochen und wartet noch auf das Ergebnis, welches für Oktober erwartet wird. Sobald er die notwendige Genehmigung hat, möchte er gern Richtung Norden weiterziehen. Der kürzlich volljährig gewordene ägyptische Jugendliche, für den eine Aufenthaltsverlängerung in der Gemeinde beantragt  und genehmigt wurde, hat die Hoffnung einen Arbeitsvertrag in einer der örtlichen Bars zu erhalten; was seinen minderjährigen Landsmann betrifft, so scheint es, als habe dieser einen Cousin in Mailand, welcher bereit ist ihn aufzunehmen. Zusammen mit einem Sozialarbeiter der Gemeinde werden nun die Vorbereitungen für die Wiedervereinigung getroffen.
Den Betreibern des Zentrums offenbaren sich eine Vielzahl von Schwierigkeiten, vor allem im Hinblick auf die finanzielle Unterstützung der Region, welche stets mit großer Verspätung ankommt. Das erschwert die Planung von Aktivitäten, insbesondere weil man sich parallel um die italienischen Jugendliche kümmern muss, die andere Bedürfnisse haben, sowie um die vorbestraften Minderjährigen.
Die Gemeinde von Sant’Agata, ist zum Zeitpunkt unseres Besuchs komplett und die vier ausländischen Besucher stammen aus Mali, Bangladesch und Ägypten. Leider hatte ich keine Gelegenheit mit ihnen zu sprechen, da sie nicht Zuhause waren.
Was die Verantwortlichen innerhalb der Gemeinde betrifft, arbeiten dort neben der vorhin aufgeführten Personen, auch ein Psychologe, ein Sozialarbeiter und ein Krankenpfleger, der bei Bedarf gerufen wird. Außerdem gibt es eine weitere externe Hilfskraft, die auch eine erzieherische Rolle innehat und aufgrund dessen von den Jugendlichen als Bezugsperson wahrgenommen wird, auch weil es sich um die einzig weibliche Person in der Gemeinde handelt.
Zu diesem Zeitpunkt sind alle der ausländischen Gäste volljährig und es wurde für jeden von ihnen eine Aufenthaltsverlängerung beantragt. Die Jugendlichen aus Mali und Bangladesch haben zusätzlichen humanitären Schutz beantragt, während die zwei Ägypter über eine Aufenthaltserlaubnis für Minderjährige verfügen, welche sie jetzt aufgrund ihrer Volljährigkeit in eine Arbeitserlaubnis umwandeln wollen. Alle Jugendlichen haben eine Arbeitserlaubnis mit Ausnahme eines der ägyptischen Jugendlichen, welcher vorbestraft ist und aufgrund bürokratischer Verzögerungen noch nicht mal einen offiziellen Wohnsitz hat. Was die medizinische Versorgung betrifft, verfügt er über eine Krankenkarte für irregulär aufhältige Ausländer*innen (STP), während die anderen eine normale Krankenkassenkarte haben. Auch hier erhalten die Jugendlichen 1,55 Euro Taschengeld am Tag.
Neben möglichen sportlichen Aktivitäten, welche den Jugendlichen nahe gelegt und ermöglich werden, versuchen sich alle in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Insbesondere der Jugendliche aus Bangladesch, so scheint es, wird in naher Zukunft einen Lehrstellenvertrag erhalten und der Jugendliche aus Mali arbeitet gelegentlich als Mediator. Aufgrund seines Mittelschulabschlusses, hätte er gern weiter die Schule und anschließend eine Universität besucht, aber die Angestellten haben es als sinnvoller erachtet, sich zuerst auf die Arbeitssuche zu konzentrieren, um die notwendige Selbstständigkeit zu erlangen, um die Gemeinschaft verlassen und sich in die Umgebung eingliedern zu können. (Ich weiß nicht, ob dieser Satz klar ist, auch er war sehr ungenau diesbezüglich, weil sie zuvor schwarz gearbeitet haben. Aber die Jugendlichen drängen nun darauf, legal arbeiten zu können.) Wie auch er, kommen viele Jugendliche mit der Hoffnung nach Europa, nicht nur Arbeit zu finden und ihre Familie zu unterhalten, sondern auch studieren und ihr persönliches Potenzial ausschöpfen zu können.
In beiden Gemeinden fehlen zwei Figuren, welche oftmals unterschätzt werden, aber dringend notwendig für die Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen sind: ein kultureller Mediator und ein Anwalt. Die Angestellten selbst haben diese Lücke erkannt, aber es wird uns erklärt, dass diese Figuren vertraglich nicht vorgesehen sind und folglich entsprechende Finanzierungsmöglichkeiten fehlen.
Das zeigt uns, dass man nach wie vor stets Orte sucht, an denen Jugendliche untergebracht werden können, ohne sich jedoch um die Angemessenheit der Anlagen zu kümmern und sie eventuell neuen Bedürfnissen anzupassen. So sind die Angestellten im Notfall dazu gezwungen, das Personal mit Angeboten aus dem Freiwilligensektor (wie z.B. dem Centro Astalli) zu besetzen oder Freunde und Jugendliche, welche in der Vergangenheit in der Gemeinde gelebt haben und nun selbstständig und in der Region integriert sind, um Hilfe zu bitten.

Giulia Freddi
Borderline Sicilia                   

Aus dem Italienischen übersetzt von Giulia Coda