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Mittwoch, 12. August 2015

Soviel Heuchelei und Verwirrung, eine einzige Gewissheit: Der Tod – Trapani

Unsere Reise führt weiter nach Trapani, wo die Verwirrung und Heuchelei nicht kleiner sind. Der Präfekt des Hauptortes wiederholt, dass kleine Zentren mit wenigen Bewohnern optimal wären. Aber nach der Schliessung des Aufnahmezentrums in Salinagrande vor zwei Monaten, hat er trotzdem veranlasst, dass ein außerordentliches Aufnahmezentrum mit 200 Plätzen jenen Betreibern übergeben wurde, die in Trapani bereits das Monopol in der Flüchtlingsaufnahme haben. Es ist die Kooperative Badiagrande mit Ablegern in Palermo in der Zusammenarbeit mit Sviluppo Solidale und Opera Don Calabria.
Zurzeit betreibt Badiagrande das neue außerordentliche Aufnahmezentrum im ehemaligen Hotel Sant’Andrea in Valderice, verschiedene Aufnahmestrukturen für Asylbewerber und Füchtlinge und kürzlich wurde ihnen auch der Betrieb des neuen „Hotspots“ in Milo übertragen, der eröffnet werden kann, sobald die 15 Personen des dortigen Abschiebezentrums verlegt worden sind. Milo wird 400 Personen aufnehmen können. Die einzige Gewissheit hier ist der physische Tod und der Tod der Seele. Die Bilder und Zeichnungen der Inhaftierten im Eingang des Abschiebezentrums in Milo zeigen das eindrücklich.

Was die erwünschten Zahlen des Präfektes betrifft (natürlich sind auch sie nur eine Zurechtbiegung der Regeln wegen des “Notstandes”) verlangen wir, dass uns jemand die operativen Grundsätze des Hotspots von Milo erklärt. Denn die in der Provinz anwesenden Personen warten inzwischen seit 15 – 18 Monaten auf ihre Anhörung vor der territorialen Kommission.
Die Einrichtung der territorialen Kommissionen ist ein Fehlschlag weil die Erhöhung der Anzahl der einzelnen Kommissionen in Sizilien nur eine formale auf dem Papier ist, weil Sektionen aufgeteilt wurden. Die Regierung hat (obwohl mehr als 2 Millionen Euro ausgegeben wurden) jenen, die seit jeher in diesem Bereich arbeiten, kein Gehör geschenkt. Das Ergebnis? Die langen Anhörungszeiten wurden beibehalten, aber im Gegenzug – man will ja nicht zu human sein - wurden teilweise ganze Familien abgeschoben, um Platz zu machen in den neuen Zentrum. Die Disfunktionalität dieser gescheiterten Politik zeigt sich auf verschiedene Weise. Hier ein Beispiel aus Agrigento, das zur Sektion der Kommission von Trapani gehört: Es stehen bereits 1400 Fälle zur  Bearbeitung an, die Kommission ist aber nur an 2 Tagen der Woche tätig; deren Präsidentin hat noch 5 weitere bedeutende institutionelle Aufgaben; die Präfektur beklagt die zu kleinen personellen Mittel; die Angestellten der Präfektur haben wenig zeitliche Verfügbarkeit für die wöchentlichen Sitzungen; zudem sind die Mitglieder des UNHCR, des Uno Hochkommissariats für Flüchtlinge, neu hier und ohne jede Erfahrung.
Die Territorialkommission von Trapani muss eine grosse Zahl von Fällen bewältigen: 1800 Asylanträge und über 1000 offene Folgeanträge und das in Zusammenarbeit mit Vertretern des UNO-Hochkommissariates für Flüchtlinge, die zum ersten Mal im Einsatz sind. Sie arbeiten zusammen mit oft abwesenden Behördemitgliedern, weil sie gleichzeitig andere behördliche Aufgaben zu erfüllen haben. Zu diesen Schwierigkeiten kommt dazu, dass die Polizeibehörde von Trapani wegen Personalmangels die Termine zur Anhörung aus Personalmangel nicht öffentlich publiziert. Dieses Problem versuchen die Kommissionsmitglieder zu lösen, indem sie die Aufnahmezentren direkt kontaktieren, um ihnen die Daten und Zeiten der Anhörungen mitzuteilen! In der Tat, es sollten 32 Anhörungen pro Tag stattfinden, wie vom Ministerium vorgesehen. Aber mit dieser Anzahl ist eine aufrichtige Anhörung, ein korrektes, genaues Erfassen des persönlichen Berichtes des Asylbewerbers, die garantierte Einhaltung der Gesetze (eben all das, was international im Recht auf Schutz und Anerkennung des Flüchtlingsstatus festgeschrieben ist) nicht möglich.
Und so wird die Verwirrung immer grösser, angesichts eines Systems das auf der einen Seite eine Aufstockung der Kommissionen vorsieht (die vielleicht funktionieren oder vielleicht nicht, oder nicht speditiv genug und das aus organisatorischen Problemen) und das anderseits mit der schwindelerregenden Zunahme von Anträgen konfrontiert ist. Die Asylanträge sollten seriös und gründlich geprüft werden, stehen doch mit ihnen die Zukunft und auch das Leben der international Schutzbedürftigen auf dem Spiel.

Soviel Verwirrung in der sich deren Profiteure suhlen, soviel Heuchelei, in der die Politiker mit Menschenleben spielen und Regeln aufstellen, die einzig zu ihrem eigenen Vorteil erstellt werden. Aber täglich finden Migranten den Tod, das ist gewiss – die einzige Gewissheit!

Alberto Biondo
Borderline Sicilia Onlus


Übersetzung aus dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé Tagne