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Freitag, 3. April 2015

Besuch im neuen ausserordentlichen Aufnahmezentrum CAS* in Cava D’aliga

Seit dem 7. Februar 2015 gibt es auch in Cava D’aliga, im Ortsteil frazione marittima von Scicli in der Provinz Ragusa, ein neues „ausserordentliches Aufnahmezentrum“ (CAS).
Es wird von der Kooperative „La Sorgente“ betrieben, die bereits in den Gemeinden Modica und Chiaramonte Gulfi 2 Zentren für insgesamt 72 Gäste unterhält.
Wie das Zentrum Chiaramonte in den Gebäuden des Unternehmens für Agritourismus „le Mole“ (http://siciliamigranti.blogspot.it/2014/09/il-tempo-e-lo-spazio-che-non-aiutano.html#more,) ist auch das neue Zentrum Cava D’aliga in einer Tourismuseinrichtung untergebracht, dem früheren B&B „Il Borghetto“, das bis vor ein paar Wochen Touristen empfing. 

Auch in diesem Fall ist die Einrichtung leider weit entfernt vom Zentrum des Dorfes Cava D’aliga. Auf einem Hügel gelegen, ist sie nur über eine nicht asphaltierte Strasse zu erreichen, die nicht besonders ermutigend auf jemanden wirkt, der sich entschliesst den langen Fussmarsch auf sich zu nehmen um in das Dorf zu gelangen. Ich komme am späten Morgen im Zentrum an, zu einem Besuch, den ich mit der Verantwortlichen der Kooperative, Frau Vera Ventura, am vorhergehenden Nachmittag vereinbart hatte.
Eine Gruppe junger Pakistaner, die am Eingang sitzen, führen mich in den Empfangsraum, wo ich von einem der Betreiber und dem Sozialarbeiter empfangen werde, die sofort bereit sind mir die Organisation des Betriebes zu erläutern.
Es ist auch die frühere Betreiberin des B&B anwesend, die mir die Einrichtung sofort zeigen will. Es ist ein zweistöckiges Haus und der Teil, der nun als CAS gebraucht wird, besteht aus 7 Zimmern mit je drei Betten, einem Gemeinschaftsraum und einigen Einzelzimmern. 
Während die Besitzerin des Anwesens  mir den Komfort des Hauses erläutert (wifi, Balkon, Badezimmer zu jedem Zimmer), fällt mir auf, dass an den zwar geräumigen Zimmern die Möblierung des B&B Betriebes beibehalten wurde. Das bedeutet, dass pro Zimmer ein Doppel- und ein Einzelbett vorhanden sind, was die Migranten folglich dazu zwingt, sich die Räume auf absurde Weise und absolut teilen zu müssen.
„Am Anfang war ich etwas besorgt, weil in unserem Dorf noch nie Ausländer lebten. Aber diese jungen Leute aus Pakistan sind wirklich rechtschaffen“ meint die Besitzerin, „und hier haben sie Glück, denn der Ort  ist wirklich schön, sie können sich nicht beklagen.“
Zurzeit befinden sich 19 Migranten aus Pakistan und einer aus Afghanistan im CAS, alle kamen aus dem CSPA* in Pozzallo, nachdem sie außerdem monatelang in Pian del Lago untergebracht waren.
Die Kooperative « La Sorgente » bekam die Betreibung der Institution, die bis 22 Personen aufnehmen kann, durch eine amtliche Verfügung zugesprochen.
„Für sie war die Ankunft hier ein wichtiger Schritt auf dem Weg ihrer Aufnahmeverfahren“ erklärt mir der Erzieher, „in den Monaten, die sie in Pian del Lago verbrachten, wurde nichts unternommen für die internationale Anerkennung ihres Flüchtlingsstatus. Hier aber haben sie bereits im ersten Monat das Formular C3 ausgefüllt, ihre Identität wurde namentlich registriert und mehr als die Hälfte haben sogar bereits eine Krankenversicherungskarte.“ 
Während unseres Gespräches ist tatsächlich die Verteilung von Medikamenten an die Jugendlichen durch zwei Angestellte im Gange. „Wir legen grossen Wert auf ihr gesundheitliches Wohlergehen“ fügt der Sozialarbeiter hinzu. „Wir wenden uns an „Ärzte ohne Grenzen“ sowohl für die medizinische wie für die psychologische Versorgung. Es finden wöchentliche Sitzungen mit der Psychologin von „Ärzte ohne Grenzen“ statt. Sie behandelt schon mehrere Jugendliche, wovon zwei in kritischem Zustand und für sie denken wir gerade über einen Transfer in eine geeignete Institution nach.“
Vor Monaten haben „Ärzte ohne Grenzen“ mit den Gesundheitsbehörden der Provinzen eine Vereinbarung unterzeichnet, um in verschiedenen Aufnahmezentren arbeiten zu können. Man hofft, dass eine solche Kooperation neben der besseren Versorgung der Migranten, zu einer Bündelung der Kräfte im Feld führt. 
„Was die juristische Begleitung betrifft“, fährt die Betreiberin fort, „nutzen wir die Beratung der Anwälte, die schon lange mit uns zusammenarbeiten und die Jugendlichen vor der Kommission schon begleiten, aber vor allem im Fall der Ablehnung ihres Gesuches einen Widerspruch einreichen können. Bei uns stammen die meisten Migranten aus dem Punjab. Wir hoffen auf eine gute Vorbereitung der Anhörungen, denn die Gesuche der pakistanischen Migranten werden oft summarisch abgelehnt mit ihnen unverständlichen Begründungen zuzüglich des Umstandes, dass sie den Verhandlungen schon so nicht folgen können. Die Migranten bekommen ein wöchentliches Taschengeld von  2,50 Euro pro Tag. Ihre Mahlzeiten werden durch ein Catering geliefert. Obwohl auch in der Diskussion steht, dass die Migranten sich selbst um die Küche kümmern könnten.“
Im Gemeinschaftsraum, wo wir uns befinden, gibt es tatsächlich eine Küche, neben einen Fernseher und einem Bereich mit Tischen und Stühlen, die für den Sprachunterricht genutzt werden.
„Wir haben kürzlich mit den ersten Kursen Italienischunterricht begonnen“, sagt die Sozialarbeiterin: „und die Jungs folgen wirklich mit großer Aufmerksamkeit. Sie würden sogar stundenlang weitermachen wollen, aber wir haben wenig Kapazität, wir sind nur drei Angestellte und erst am Anfang dieser Erfahrung“ fährt die Betreuerin fort.
Die Migranten sprechen fast alle englisch, unter sich neben urdu und farsi. Die Kommunikation mit den Betreibern scheint kein Problem zu sein, aber ausserhalb des Zentrums wird es zum Hindernis kein italienisch zu können.
„Wir sind uns bewusst, wie wichtig es ist Aktivitäten vorzuschlagen und zu veruschen die  Migranten in das hiesige Leben zu integrieren. Darum haben wir Fussballturniere organisiert, die nicht auf Begeisterung der Pakistaner gestossen sind, denn die spielen lieber Cricket. Fast täglich fahren wir mit ihnen ins Dorf oder nach Scicli für einen Spaziergang oder um Einkäufe zu tätigen. Das Problem sind immer die fehlenden Mittel. Darum sind wir offen für Vorschläge von Bewohnern, die etwas zur Animation hier beitragen wollen.“

Die Migranten sitzen in kleinen Gruppen im Eingangstor. Sie sind sichtlich gelangweilt, aber neugierig geworden durch die Anwesenheit einer „externen“ Person. 
Als erstes fragen sie mich – nach der gegenseitigen Vorstellung: „Wann kommen endlich ein paar Leute an diesen Ort?“. 
W., ein Ingenieur aus Pakistan, spricht perfekt englisch und auch schon ein paar Worte italienisch, das er in den 5 Monaten, die er in Caltanissetta war, gelernt hat.
Mit seiner Übersetzungshilfe kann ich auch ein wenig mit den andern reden. Er erklärt mir, wie frustrierend es sei, nichts anderes zu tun, als zu warten, zu essen, zu schlafen und nachzudenken.

„Es geht mir gut hier, mit den Leitern des Zentrums verstehe ich mich gut, sie sind verfügbar, aber an diesem Ort lernt man niemand anderen kennen. Das Problem ist nicht nur das Dorf zu erreichen, auch wenn die Entfernung nicht kurz ist und wir somit nicht sehr autonom sind, uns dort hin zu begeben, wann es uns passt. Hier ist es wie ausgestorben und ich hoffe, dass die Touristen bald kommen. In Caltanissetta hatte ich wenigstens einige Freunde und konnte mich in einer Stadt bewegen und so das Leben in Italien kennenlernen.“
Die Wartezeit ist noch schwieriger, wenn man in Ungewissheit und ohne Tätigkeit ist. Es scheint einmal mehr unterschätzt zu werden, dass die langen Wartezeiten und unbekannten Fristen für die Migranten eine grosse Belastung darstellen. 
„Ich bin sicher, dass keiner von uns erwartet, in einem Hotel untergebracht zu werden“, führt W. fort: „Im Gegenteil, bei Leuten, die keine Ahnung davon haben, wie die Dinge laufen, könnte das sogar als Privileg erscheinen und Polemiken verursachen. Aber natürlich wollen wir alle wieder unsere Zukunft in die Hand nehmen können.“

Es bräuchte wenig, kommt da in den Sinn, beginnend mit der Anerkennung der Geflüchteten als Personen, statt als Kriminelle und arme Leute, die unter vielen Rechten und Pflichten auch jenes Recht haben, Teil unserer Gesellschaft zu werden, ,

Lucia Borghi-Borderline Sicilia Onlus

Aus dem Italienischen von Susanne Tassé

*CAS - Centro di Accoglienza Straordinaria: ausserordentliches Aufnahmezentrum
*CSPA - Centro di Soccorso e Prima Accoglienza: Erstaufnahmezentrum gedacht für max. 72 Stunden