siciliamigranti.blogspot.com ist ein italienischsprachiges Monitoringprojekt zur Situation der Flüchtlinge in Sizilien, dort finden Sie die Original-Berichte, hier finden Sie die deutschen Übersetzungen. Klicken Sie auf die auf die Namen der Schlagworte (keywords), wenn Sie bestimmte Themen suchen.

Sonntag, 14. Dezember 2014

Das CARA von Mineo und Mafia Capitale: Verweigerte Rechte, sicheres Geld.

meltingpot- Interview mit Alfonso Di Stefano und Barbara Crivelli von der Rete Antirazzista Catanese (Antirassistisches Netzwerk Catania). Genau vor einem Jahr, am 14. Dezember 2014, erhängte sich ein 21 jähriger eritreischer Jugendlicher, Mulue Ghirmay, im CARA von Mineo. Ein paar Tage später, am 19. Dezember, fingen die im CARA marginalisierten Asylsuchenden an,  gegen die schlechten Lebensbedingungen im Zentrum  in der Region von Caltagirone zu protestieren, doch die Polizei schlug heftig zu . Ein Jahr ist seit diesen Ereignissen  vergangen, aber nichts hat sich im CARA verändert.
Und wenn sich etwas verändert hat, dann nur zum Schlechten: extrem überfüllt (mehr als 4000 Migranten, das Doppelte dessen, was für das Zentrum eigentlich vorgesehen ist), unglaublich lange Wartelisten für die Asylkommission, die dafür zuständig ist,  die Asylanträge zu überprüfen, und die Lebensbedingungen bleiben inakzeptabel.  All dies spielt sich in einem perfekten politisch-ökonomischen System ab , dessen Ziel es ist, Geld und Macht zwischen den Institutionen, Politikern, Verbänden und Genossenschaften auf nationaler und lokaler Ebene zu teilen.
Dies ist, was sizilianische Aktivisten seit der Eröffnung im Jahr 2011 des größten Zentrums für Asylsuchende in Europa anklagen.  Aber mit dem Ausbruchs des Skandals "Mafia Capitale" scheint es, dass ganz Italien  zum ersten Mal aufmerksam geworden ist  auf das größte nationale Mafiageschäft, das klug auf den Migranten und der Verweigerung ihrer Rechte aufgebaut worden ist. Die Untersuchung hat die Existenz eines Mafia-Systems  ergeben,  das  Institutionen, Politiker und Personen aus dem Bereich des ehrenamtlichen Dienstes mit einer  signifikanten  Beteiligung von rechtsextremistischen Gruppen und kirchlichen Bewegungen,  die man der katholischen Welt zurückrechnen  kann (die Bewegung „Comunione e Liberazione“ in erster Linie) umfasst. Im Rahmen dieser Untersuchung spielt das berüchtigte „Odevaine System“ eine führende  Rolle als riesige Geld- und Macht- Maschine, die in der Lage ist, sowohl das Geld, welches für Migranten vorgesehen ist, als auch den Aufenthalt von Migranten in den CARAs und deren Verschiebung von einem Zentrum zum anderen in einer Art von verbrecherischem Monopol zu steuern,  in dem jeder eine eigene Aufgabe hat und sicheinen eigenen Teil der „Vergütung“ sichert.
So geschrieben in  einem Artikel des „Ilsettemezzomagazine“– wo die Einzelheiten der Ergebnisse der Ermittlung „Mafia Capitale“ geschildert wurden  - "Gestärkt von der privilegierten Lage, mit einem Fuß in der Tür bei der nationalen Koordinierung der Einwanderung, wo die Entscheidungen getroffen werden, und ansonsten fest* verankert im CARA von Mineo, das als menschlicher Geldschrank benutzt wird, um an das „schwarze Gold der Migranten“ zu kommen, hat Odevaine nach Ansichten der Ermittler drei Jahre lang ungestört Profit mit dem Notfall Einwanderung gemacht.“
Wir haben die Aktivisten der „Rete Antirazzista Catanese“ Alfonso Di Stefano und Barbara Crivelli zu den neuesten Ereignissen befragt, die seit Jahren den Migranten Unterstützung anbieten und die Schande des CARA von Mineo an prangern.


- Wer sind die Hauptverantwortlichen für das, was geschehen ist und noch geschieht und wie konnte man das  überhaupt verheimlichen?
- Die Hauptschuldigen sind die Politiker und Verwalter, die schon in der Wahl des Ortes gegen alle Logik private Interessen begünstigt haben, ohne Rücksicht auf die Lebensbedingungen der Asylsuchenden zu nehmen. Das Verheimlichen wurde dadurch ermöglicht, dass die antirassistischen Vereinigungen Schwierigkeiten hatten,  die Geschehnisse aus der  Nähe zu überwachen. Diese Schwierigkeiten wurden im letzten  Jahr, durch den Zerfall der eh schon labilen Selbstorganisation von Asylsuchenden verschärft.
 

- Über das "System Odevaine",  was ist Ihre Meinung über Odevaine‘s Interessenkonflikt und über die konstante  Verwendung von Migranten und deren  Leben mit dem einzigen Ziel von Geld- und Machtverteilung?
- Das System Odevaine hatte leichtes Spiel in der Realität der Provinz Caltagirone, wo es eine hohe Arbeitslosigkeitsrate gibt und eine wirksame linke Opposition fehlt;  um das Bild von Mineo und der Umgebung abzuschließen, breiten sich immer mehr fremdfeindliche Realitäten aus, die sich  unsere Beschwerden und unsere Ziele zu Eigen machen, um das System CARA  von rechts anzugreifen.
 

- Befragt nach den Ereignissen von Mafia Capitale und das „Odevaine System“ haben die Schlüsselfiguren, die an das CARA von Mineo (Castiglione, Ragusa und Aloisi) gebunden sind, sofort auf Odevaine den Finger gerichtet. Auch wenn dies deutlich zeigt, dass  die Anschuldigungen gegen Odevaine fundiert sind und absolut plausibel klingeln, ist jedoch die proklamierte „Naivität“ der Personen,  die in erster Linie an  der Verwaltung des CARA von Mineo beteiligt sind (und damit verbundene Verträge und Nominierungen) sehr erstaunlich: sie erklären sich den Ereignissen gegenüber  völlig fremd und fragen „Wie hätten wir das wissen können?“
- Wie hätten Verwalter die Geschäfte und die Korruption rund um das  CARA ignorieren können? In Mineo hat der gegenwärtige Bürgermeister den Wahlkampf gewonnen  dank des CARA-Systems  und während des letzten Wahlkampfes für Kommunalwahlen in der Region wurde das CARA als einzige Gelegenheit für Entwicklung und Arbeit  dargestellt.
 

- Heute, am 14. Dezember, ist der erste Jahrestag des Selbstmords von Mulue Ghirmay , dem dann einer der größten  Proteste von Migranten, die im CARA weggesperrt sind, folgte. Was hat sich ein Jahr nach dem Tod von Mulue innerhalb des CARAs verändert? Wie sind die Lebensbedingungen derer, die dort leben? Warum wurden im vergangenen Jahr keine weitere Veranstaltungen von den Migranten organisiert?
- Innerhalb des CARAs herrscht eine Atmosphäre der Spaltung und Argwohn  unter den Migranten selbst, die zum Misstrauen in der Entwicklung einer gemeinsamen Antwort auf die Verweigerung ihrer Rechte geführt hat. Ein weiterer Grund ist die Erpressung durch die Willkür bei der Wahl der Kriterien für die Prüfung des Asylantrags:  einige Gruppen haben sich bestraft gefühlt, sowohl auf Grund der Wartezeiten, als auch bei den Ergebnissen der Anträge, und nach und nach hat sich die Überzeugung breit gemacht, dass es einen Zusammenhang zwischen den Protesten, die verlängerte Prüfungszeiten der Anträge und die Ablehnungen gab. Die Isolierung der Migranten hat auch dazu beigetragen, dass deren Proteste nicht nur von den Institutionen, sondern auch von den Medien ignoriert worden sind; die Medien haben in den letzten Monaten Scheinkampagnen den Vorrang gegeben, wie Berichte über die Fußballmannschaft und den Film „Ich bin ich und du bist du.“ Jetzt will jeder die Asylsuchenden befragen, aber das Klima der Einschüchterung dient sicherlich nicht der Kommunikation.
Inzwischen gab es eine klare Anweisung vom Koordinierungsausschuss der Landräte der Region, der die Annullierung des Ausschreibungswettbewerbs und die Leerung und Schließung des CARA von Mineo beantragt hat. Und vor genau zwei Tagen wurde von der Staatsanwaltschaft von Caltagirone ein Ermittlungsverfahren über die Verbindungen zwischen der römischen „Mittelwelt“ und dem Business des CARA Mineo eingeleitet, wie es in diesen Artikeln von livesicilia.it und repubblica.it zu lesen ist.
 

Einige Videos über das CARA und die Proteste von Migranten:

Arrivo delle "carovane migranti al CARA di Mineo - novembre 2014
Ankunft der „Migranten-Karawane“ am CARA von Mineo - November 2014
Manifestazione per la chiusura del CARA di Mineo - 16 febbraio 2014

Demonstration für die Schließung des CARA von Mineo - 16. Februar 2014
Manifestazione di protesta dei migranti - 19 dicembre 2013

Migranten Protest - 19. Dezember 2013
Inchiesta RAI "Presa diretta"

Ermittlung RAI „Presa diretta“


Aus dem Italienischen von Giovanna Fioravanti