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Montag, 10. November 2014

Kinder Flüchtlinge? Behandelt wie Postpakete!

Aus L’Espresso
Foto: Marta Bellingreri
Allein in den letzten Monaten sind 12.000 unbegleitete Minderjährige in Italien angekommen. Sie müssten geschützt werden, aber sie sind Gefangene der Bürokratie. 4 Malier sind von einem lombardischen Bürgermeister nach Sizilien zurückgeschickt worden, dem zufolge „sie doch nicht vor dem Fernsehen zu sitzen und Geld abzugreifen haben“. Und auf der Insel gibt es viele schwierige Situationen.
Von MARTA BELLINGRERI und ANTONELLO MANGANO


Wie Postpakete von Sizilien aus in den Norden. Das ist das Schicksal einer Gruppe minderjähriger Afrikaner. Von September an bis heute waren sie unterwegs, von Catania nach Varese und zurück. Und jedes Mal wurde der Weg der Integration zunichte gemacht.
Der Bürgermeister der lombardischen Ortschaft hat sie zurückgeschickt in den tiefen Süden. „Durch die Polizei von Catania und die sozialen Dienste sind die 4 Malis hier gelandet, nach ihrer Aussage, Minderjährige“, erzählt Graziano Maffioli, erster Bürger von Casale Litta dem Espresso. „Ich bin vom Gericht zu ihrem Vormund bestimmt worden. Aber ich bin nicht in der Lage, sie zu kontrollieren.“
Sie haben das Meer überquert und von einer besseren Zukunft geträumt. In 2014 hat Italien schon 24.000 Minderjährige aufgenommen. Die Hälfte von ihnen hat keine Eltern. Sie zu unterstützen ist die größte Herausforderung. Was das Risiko mitbringt, dass die Kommunen finanziell zusammenbrechen.
Jetzt sind sie im Zentrum Astalli der sizilianischen Stadt (Catania) untergebracht. Man erklärt Dokumente und Beziehung von 4 Monaten seit ihrer Ankunft für null und nichtig. Die Vereinigung Borderline Sizilien gibt die Worte von Aturo Zitani wider, Verantwortlicher für Erziehung, dem zufolge der Bürgermeister von Casale Litta „wiederholt eine diskriminierende Haltung an den Tag gelegt habe“. Der Bürgermeister dementiert die Rassismusvorwürfe und spricht von Gesetzwidrigkeiten: „Ich habe nur dafür gesorgt, dass das Gesetz respektiert wird. Die geforderten Arbeiten am Betriebsort waren nicht vollständig; es fehlte auch ein Aufzug. Sie haben doch nicht vor dem Fernsehen zu sitzen und sich das Geld abzugreifen.“

Wir warten
Es sind nicht allein die vier Jugendlichen aus Mali. „Wir warten, wir warten, wie warten“. Das ist der Kehrreim der 115 Minderjährigen, die in der ehemaligen Schule Verdi von Augusta, Provinz Syrakus, darauf warten, ihr Schicksal kennenzulernen. „Wir warten“ Das wiederholen sie vor den Mitarbeitern, den Passanten wie auch den Journalisten der New
York Times und des Wall Street Journals. Die gehören zu den wenigen, die sich um das  
Foto: Marta Bellingreri
Ereignis kümmern. Die Situation der minderjährigen Migranten in Italien ist ein internationales Thema. Die Schule ist seit vier Jahren außer Betrieb. Die Kommune nutzt  sie, um auf die fortlaufenden Zahlen der Ankünfte in den nahen Häfen von Augusta und Catania zu reagieren. Auch dort müssen Renovierungsarbeiten auf den Weg gebracht werden. Inzwischen ist es ein Gebäude, in dem nicht mehr unterrichtet wird, man schläft dort nur. „Die Minderjährigen sind seit drei oder vier Monaten in einigen Gebäuden untergebracht, während der Nacht sich selbst überlassen“, beklagt Save the Children.
Für Mohammed und Ahmed bleibt dies dauerhaft der Schlafplatz: Dutzende von Liegen in den Klassenzimmern und auf den Korridoren, im Erdgeschoss und im ersten Stock. „Ich habe an der Elfenbeinküste die Schule besucht und eines Tages möchte ich an die Universität. Wer hilft uns, hier herauszukommen?“ In der Schule gibt es die gleichen Feldbetten mit blauem Stoff bezogen, die sich auch im Hafen in den Zelten zur ersten Identifikation befinden.

In diesem Chaos gibt etwas von allem. Mitarbeiter voll guten Willens, die ausgezeichnete Beziehungen zu den Jugendlichen herstellen. Beziehungen, die von der Bürokratie aufgerieben werden. Plötzliche Fluchten, um das Leben in die eigene Hand zu nehmen. Einer von drei Minderjährigen haut ab. Im April sind einige Jugendliche von Schleppern nach Latina gebracht worden; diese haben von Verwandten in Italien Lösegeld gefordert. Dann gibt es Grenz-Situationen. Sie nennen sie „Baby-Schleuser“. Es sind minderjährige Ägypter, die in Catania angekommen sind. Sie sind zwischen 14 und 17 Jahren alt, familiäres Umfeld: ärmste Fischerfamilien. Sie stellen sie ein, um die Schlauchboote zu steuern, denn oft haben die anderen Migranten noch nie das Meer gesehen.
Es passiert alles. In einer Einrichtung in der Nachbarschaft zur Florida „lebten im vergangenen April 35 Minderjährige und Senioren mit mentalen Problemen zusammen“. Diese Klage stammt von dem Verantwortlichen des Projektes Präsidium von „Save the children“. Das Zentrum wurde im gleichen Zeitraum berühmt für die Flucht von 20 Eritreern zwischen 12 und 16 Jahren im Schlafanzug.

Zentren im Hängezustand
„Ja! Gemeinschaft!“ Ein starker Chor erhebt sich zu den Worten „Aufnahme-Gemeinschaft“. Aber es ist eine Illusion. Die Jugendlichen aus Gambia und dem Senegal befinden sich gegenüber der Kirche des Domkapitulars, im historischen Zentrum von Pozzallo. „Wir sind im Sommer angekommen“, erzählt Ibrahim. „Sie haben uns gesagt, dass am 17. September auf Sizilien die Schule beginnt. Aber sie verschieben uns immer wieder“, von einem Notlager ins andere. Aber nie in die ersehnte Aufnahme-Gemeinschaft, wo wir ein stabiles Leben in Italien beginnen können.
Jetzt die dritte Verlegung: Von neuem in das CPSA (Zentrum für erste Hilfe und Aufnahme) von Pozzallo, das aber offiziell in dieser Woche geschlossen und leer ist. „Vorübergehend eingestellt in Erwartung neuer Übereinkünfte“ zwischen der Präfektur von Ragusa und der Kommune. Aber es sind 35 minderjährige Ägypter drin. Die Kommune kann ihre Anwesenheit nicht leugnen. „Die Minderjährigen sind hier, bis sie Plätze in der Gemeinschaft finden“. Die Tage vergehen alle gleich, es bleibt nur „ein Gang in den Supermarkt, Zigaretten kaufen und ein Partie Fußball, untermalt mit ägyptischer Musik.“
Auf Lampedusa ist Ähnliches passiert: Zentrum geschlossen, Jugendliche drin. Contrada Imbriacola hat erst am 1. Oktober nach langer Renovierung wieder geöffnet. „Dort waren viele Kinder, sogar Neugeborene“, beklagte die NGO Terre des Hommes im Sommer. Auch dort haben die unbegleiteten Jugendlichen, ungeachtet der Renovierungsarbeiten, Tage in einer Geistereinrichtung verbracht. Zusammen mit 300 weiteren Personen, die im Süden der Insel gerettet wurden. Von einem Punkt Siziliens zum anderen ist Gemeinschaft ein Blendwerk. Die Jugendlichen hoffen auf die Schulbank. Zu oft müssen sie sich mit einem Feldbett begnügen.

Aus dem Italienischen von Rainer Grüber