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Mittwoch, 11. Juni 2014

Die Ankünfte in Pozzallo

Gestern Nachmittag gegen 15:30 Uhr lief ein maltesischer Öltanker im Hafen von Pozzallo ein: An Bord waren 208 Migranten, ausschließlich Männer, zum Teil aus Gambia und Mali. Alle Männer waren trotz der vielen Stunden auf hoher See bei guter Gesundheit. Die Migranten wurden von einem Frachtschiff gerettet und in der Nähe der Ölplattform Vega der Firma Edison, etwa 12 Meilen vor dem Hafen von Pozzallo, auf das Frachtschiff umgeschifft.
Nach dem die Migranten an Bord medizinisch untersucht wurden, wurden sie auf der Mole als Flüchtlinge registriert und ihnen wurde ein Identifizierungs-Armband umgelegt, sie wurden in einem Sanitätszelt erneut untersucht und von der Polizei durchsucht. Die Migranten wurden in das Aufnahmezentrum in Comiso und das CPSA (Zentrum zur Ersten Hilfe und Erstaufnahme) nach Pozzallo, wo jetzt schon 500 Migranten untergebracht sind, verteilt. Weitere 100 Personen sind gegen 19:30 Uhr im Hafen von Pozzallo auf einem panamaischen Frachtschiff (Evicement III) angekommen.

Auf dem Hafenkai herrschte die übliche Show: Vier Fernsender, davon ein russischer, waren vertreten, um die Anlandung und die polizeiliche Durchsuchung zu filmen. Die Reporter trugen alle einen Mundschutz und schienen nicht gut informiert zu sein über die Dynamiken und den gewohnten Ablauf der Anlandungen. Nichtsdestotrotz filmten sie und interviewten die zuständigen Behörden. Eine sehr nette, russische Journalistin versicherte mir, dass im Erstaufnahmezentrum in Pozzallo alles in bester Ordnung, sauber und ordentlich sei. Die Migranten seien froh, endlich in Pozzallo angekommen zu sein, nach all dem was sie bereits erlebt hätten. Für sie sei jeder Ort besser als der, den sie gerade verlassen haben. Pozzallo sei das Gegenteil von Mineo, das sei nämlich die Hölle auf Erden. Es fällt mir nicht schwer ihr zu glauben.
Obwohl ich erleichtert bin zu hören, dass die Situation im Zentrum für erste Hilfe und Erstaufnahme in Pozzallo für die Flüchtlinge menschenwürdig und angenehm ist, weiß ich, dass die Organisation des Zentrums genau wie in anderen Zentren auch kompliziert ist. Laut der Vereinbarung zwischen der Präfektur und dem Betreiber des Zentrums hat die Einrichtung 80 Angestellte, von denen nur zwei Sozialarbeiter und einer Kulturmittler sind. Die anderen Mitarbeiter wenden sich auch oft Aufgaben wie psychologischer Beratung oder kultureller Mediation zu, obwohl sie dafür nicht die geeignete Ausbildung haben und laut Vertrag als normale Sozialpflegehelfer arbeiten.

Durch das Fehlen von professionellem Personal sind die Mitarbeiter oft auf bestimmte Situationen nicht vorbereitet und können nicht entsprechend reagieren. Das führt dazu, dass sich die Aufnahme nur auf die Ausgabe von Essen sowie auf die Verteilung von materiellen Gütern wie Kleidung, Schuhen und Telefonkarten beschränkt. Wir haben schon oft gehört, sei es von den Migranten als auch von den Mitarbeitern, dass es zwischen den Nutzern der Einrichtung und den Mitarbeitern keinerlei Beziehung gibt. Gründe dafür sind erstes sprachliche Barrieren aber auch schlichtweg Desinteresse.
Uns wurde aber auch gesagt, dass andererseits die Personen, die in engem Kontakt mit den Migranten stehen, oft sehr gestresst sind. Vor allem die Mitarbeiter, denen bewusst ist, was ihre Rolle in den Aufnahmezentren ist und welche wichtige Funktion sie einnehmen und die dadurch die Probleme und Mängel des System begreifen, sind hohem Stress ausgesetzt. In dieser angespannten Situation ist das Risiko, dass es zu Burnout oder Mobbing kommt sehr hoch. Die Mitarbeiter werden nicht entsprechend unterstützt, es mangelt an Professionalität und die Mitarbeiter werden nicht angemessen psychologisch und technisch geschult. Das führt zu starken Stress, Motivationsverlust, Desinteresse für die Situation der Flüchtlinge, Auftreten von Nervosität und Fahrigkeit sowie Zynismus angesichts der eigenen Arbeit.
Den Mitarbeitern ist oft nicht bewusst, wie wichtig ihre Arbeit angesichts der Not der Migranten und diejenigen, die das nötige Know-How mitbringen, können trotzdem nicht professionell arbeiten und somit den Migranten helfen, weil ihnen die Unterstützung durch den Betreiber oder andere Mitarbeiter fehlt.

Angesichts des Ausnahmezustands und der häufigen Ankünfte werden die Standards der Aufnahme immer weiter runtergeschraubt. Es scheint fast schon absurd sich in diesen Tagen über die Qualität der Anlandung und Aufnahme Gedanken zu machen. Man sollte sich aber daran erinnern, dass die „Nutzer der Einrichtungen“, wie sie oft genannt werden, Menschen sind, die starke Traumata erlitten haben und die in hohem Maße vulnerabel sind. Diese Menschen müssen früher oder später außerhalb der Aufnahmezentren leben, eine Arbeit finden und sich in unserer Gesellschaft zu Recht finden. Die Mitarbeiter in den Aufnahmeeinrichtungen haben eine große Verantwortung, weil sie die Schlüsselfiguren der ersten Aufnahme und damit der erste Stein für die Integration sind.

Die Redaktion von Borderline Sicilia

Aus dem Italienischen von Lisa Groß