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Dienstag, 1. April 2014

Polemik über die Impfungen im CARA von Mineo

Borsellino: „Es handelt sich um Vorsorgemaßnahmen“
Mazzeo: „Nein zu Migranten als Versuchskaninchen“

Sette e Mezzo Magazine: Es entzündet sich eine bittere Polemik über tausende Typhusimpfungsdosen und tausende von Tuberkulosetests, die dem Roten Kreuz Sizilien von Sanofi Pasteur Msd gespendet wurden, Betreiber des Gesundheitswesens des CARA von Mineo (Centro di accoglienza per richiedenti asilo – Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber).
Die Vereinbarung wurde am vergangenen 20.März zwischen dem Gesundheitsreferat – Rotes Kreuz – Sanofi am Sitz des regionalen Gesundheitsreferats unterzeichnet, anwesend waren die Beigeordnete Lucia Borsellino, die Geschäftsführerin von Sanofi Pasteur Nicoletta Luppi sowie der Präsident des regionalen Roten Kreuzes Italien Rosario Valastro.
Sanofi Pasteur Msd hält seit 14 Jahren das Monopol der Produktion und des Vertriebs von Impfmitteln, da es das einzige europäische Unternehmen ist, das sich diesem Bereich vollständig auf dem Kontinent gewidmet hat. Das Unternehmen zählt ca. 13.000 Mitarbeiter (über 50% davon im Industriesektor) und 13 Produktions- und Forschungsstätten. In Europa ist Sanofi Pasteur anwesend mit Sanofi Pasteur MSD, ein Joint Venture zu je 50% Sanofi und Merck.
Das Unternehmen hat am 23. Oktober 2013 die Bereitschaft erklärt, zu humanitären Zwecken 4.000 Dosen des Impfmittels TYPHIM VI als Injektionslösung mit Verfallsdatum am 31.12.2015 sowie tausend Dosen an Tuberkulosetests als Injektionslösung mit Verfallsdatum am 31.03.2016 zu spenden - zur Verwendung für Migranten, die im CARA von Mineo untergebracht sind. Gemäß der schriftlichen Vereinbarung, dient die Typhus-Impfung zur Vorsorge von Personen, die erhöht zu Risiken von Komplikationen neigen, während der Tuberkulosetest im Bereich Kontrolle der Kontakte von Tuberkulosefällen verabreicht wird. Die Vorgehensweise in der Anwendung der Pharmaka wird in enger Zusammenarbeit mit dem Service Epidemiologie und Prophylaxe des staatlichen Gesundheitsamts der Provinz Catania ausgearbeitet.

«Es ist eine positive Nachricht hinsichtlich der Vorsorge, – kommentiert die Beigeordnete Borsellino – eine Handlung, die unsere Präsenz und Aufmerksamkeit gegenüber der Gesundheit von Migranten im CARA aufzeigt.
In dem Szenarium der Gesundheitspolitik bezüglich der Immigration stellt es einen konkreten Beitrag zur Ausübung der Vorsorge und der Überwachung dar, sei es in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht, um dem europäischen Standard von wesentlichen Gesundheitsdienstleistungen für Migranten, die auf dem Gebiet Siziliens präsent sind, zu kennzeichnen und zu fördern ».

Laut Nicoletta Luppi beabsichtigt das Unternehmen auf diese Weise, «zum
Gesundheitsnotstand beizutragen, der seit vielen Jahren von der Region Sizilien wirksam bekämpft wird, die aufgrund ihres Standorts im Mittelmeer das Tor in Richtung Europa für Tausende von Migranten gewesen ist, die aus den ärmsten Ländern Afrikas kommen und aus Orten, in denen Bürgerkriege geführt werden wie Syrien».

Antonio Mazzeo, Journalist und Essayist, bekannt für seinen Kampf No Muos, der sich mehrfach mit der Aufnahmeeinrichtung von Mineo beschäftigt hat, drückt hingegen sein «Befremden und Unmut» aus. Mazzeo, der für die Europawahl 2014 im Wahlkreis Sardinien-Sizilien für die Liste “L’Altra Europa con Tsipras” (übersetzt: Das andere Europa mit Tsipras) kandidiert, kommentiert trocken in aller Klarheit und Deutlichkeit: «Diese Nachricht ist einfach grauenhaft ». Mazzeo hebt den Verdacht, dass hinter dem Alibi der humanitären Absicht der Versuch der Durchsetzung einer wahllosen Massenimpfung steckt, indem Migranten als Versuchskaninchen benutzt
werden. «Das Prinzip der wahllosen Massenimpfung– schreibt er im Web – ist hochgradig schädlich auch aus wissenschaftlicher Sicht, insofern, dass jeder Organismus auf den gleichen Wirkstoff immer unterschiedlich reagiert. Man kann nicht einfach wahllos Männer und Frauen, Alte und Kinder, jeder mit seiner spezifischen Veranlagung oder Resistenz, impfen».

Außerdem gebe es laut dem Journalisten einen grundlegenden Widerspruch: «Die Logik des gesamten Eingriffs hält von Anfang an einer Überprüfung nicht Stand: Wenn dasCARA von Mineo vor der Gefahr einer Typhusepidemie steht oder die Möglichkeit einer solchen befürchtet wird, ist dies ein zusätzlicher Grund für die sofortige Schließung der Einrichtung und sicherlich kein Grund für eine Massenimpfung an denjenigen, die allerdings dort wohnen».

Mazzeo präzisiert außerdem, dass bezüglich des Tuberkulosetests «ein mögliches positives Ergebnis nur indiziert, dass die Person in der Vergangenheit in Kontakt mit dem Tuberkulosebazillus gewesen ist, aber nicht, dass sich diese in diesem Moment in einem Krankheitszustand befindet » und « Mit der wahllosen Anwendung von tausend Tests auf Personen, die gezwungen sind, in einer Gemeinschaft unter hygienisch–sanitären Bedingungen zu leben, die mehr als heikel sind, riskiert man also in der Bevölkerung, die in der Nähe der CARA von Mineo leben, nutzlose
soziale Bedenken zu schaffen und medienwirksam Handlungen der Intoleranz und Diskriminierung zu schüren». «Es würden sich das Gerede über die neuen Überträger von Krankheiten unter der dort ansässigen Bevölkerung und der Mitarbeiter der Einrichtung verbreiten», warnt besorgt Mazzeo, indem er einen bekannten Text von Gesualdo Bufalino zitiert.
Das, was im CARA passiert, ist laut Mazzeo unakzeptabel: Man wohnt dem „weiteren Beispiel der Entpersönlichung der Migranten bei, die wie Fleisch benutzt werden, das für Tests und Experimente benutzt wird, zum alleinigen Zweck der Gesundheitsprophylaxe, so ähnlich wie die Schädlingsbekämpfung in der CDA (Centro di accoglienza- Aufnahmeeinrichtung) von Lampedusa». Mazzeo geht auf traurige Spuke der Vergangenheit ein und spricht von dem «kulturellen Erbgut einer Biopolitik des Ende des 19 Jh., das dieselbe heutige Wissenschaft aufgegeben hat».
Es handelt sich, so Mazzeo abschließend, um einen „perversen Mechanismus, der das stets zur Verfügung stehende Alibi der humanitären Gründe benutzt, damit jegliche Verweigerung von Rechten „zu gutem Zweck“ und zum Schutz der per se schwachen Person ausgeübt wird: eine beschnittene Freiheit des Individuums, der Entzug der Selbständigkeit, sich Mahlzeiten zuzubereiten und schließlich die Unterwerfung einer invasiven ärztlichen Versorgung».

Aus dem Italienischen von Thanh Lan Nguyen-Gatti