siciliamigranti.blogspot.com ist ein italienischsprachiges Monitoringprojekt zur Situation der Flüchtlinge in Sizilien, dort finden Sie die Original-Berichte, hier finden Sie die deutschen Übersetzungen. Klicken Sie auf die auf die Namen der Schlagworte (keywords), wenn Sie bestimmte Themen suchen.

Mittwoch, 5. März 2014

Caltanissetta: Razzia in Pian del Lago 2

“Razzia”, “Meister Proper-Einsatz”, “geheimer, aber effizienter Einsatz”: Dies sind die Ausdrücke, die die lokalen Zeitungen von Caltanissetta verwenden, um über die Räumung des Lagers der Flüchtlinge zu berichten, die gezwungen sind dort im Freien zu hausen, während sie darauf warten, dass ihnen ihre Rechte zu erkannt werden Operazione "Mastro Lindo", Sgombero di "Pian del lago 2" Caltanissetta: Blitz a sorpresa).
Man stelle sich vor, wie schwierig es wohl gewesen sein muss, in ein Lager von 40 hilflosen Flüchtlingen einzudringen, um ihnen mitzuteilen, dass sie sich darauf vorbereiten müssen, in ein Aufnahmezentrum zu gehen. Das war eine gefährliche Aufgabe, die gestern Morgen von der städtischen Polizei, begleitet von dem Vize- Präfekten von Caltanissetta, ausgeführt wurde. Eine so komplizierte Aktion, dass ihre Planung laut Bürgermeister der Stadt ganze 8 Monate gedauert hat.
Dieser ist gestern Morgen interviewt worden, während im Hintergrund die Bagger die Matratzen und alle Einrichtungsgegenstände wegbrachten, mit denen sich hunderte Asylbewerber selbst beholfen haben. Sie waren gezwungen, Monate bis zur Identifizierung und Aufnahme zu warten. Natürlich lautet die Botschaft dieses Einsatzes, auf die die Befürworter bestehen, nicht unbedingt, dass diesen Personen endlich das Recht auf Aufnahme gewährt worden ist. Vielmehr heißt es, dass die Sportanlage, die aufgrund eines Feuers im August 2012 nur teilweise nutzbar war, endlich wieder der Stadt zurückgegeben worden ist. Und so ist nun ein 24-Stunden-Überwachungsdienst seitens der städtischen Polizei eingerichtet worden, um zu gewährleisten, dass der Dreck nach der "Meister Proper-Aktion" nicht zurückkehrt. Eine teure Investition, um die Sicherheit der Sportanlage zu gewährleisten.

Wenn man dies hochrechnet, kommt spontan die Frage auf, ob es möglich gewesen wäre, das gleiche Geld für das Einrichten einer Nachtunterkunft für diejenigen, die darauf warten, identifiziert und aufgenommen zu werden, aufzuwenden. Wer träumt schon davon,  im Freien zu schlafen, indem er sich in Sportanlagen einschleicht, selbst wenn es eine der schönsten Sommernächte ist, wenn er an einem sicheren Ort mit 4 Wänden schlafen könnte?
Diesbezüglich fragen wir uns, ob der Bürgermeister und Vertreter der Bezirksregierung mit der Umsetzung dieses Einsatzes auch vorgesehen hat, auf Bezirksebene, ein System zur Aufnahme zu strukturieren, um die unverzügliche Identifizierung und Aufnahme denjenigen zuteilwerden zu lassen, die weiterhin ankommen werden.

Tatsächlich sind schon einige Stunden nach der Räumung die ersten Zweifel zu diesem Punkt aufgetaucht. Schon gestern ist ein kleines Lager in der schlammigen Zone in der Nähe einer Brücke entstanden, in dem ca. 10 obdachlose Flüchtlinge Schutz gesucht haben. Und wiederum fragen wir uns: Was haben die zuständigen Behörden veranlasst, um endgültig die Situation der Asylbewerber zu lösen, die seit Monaten außerhalb der staatlichen Einrichtung in Erwartung der Anerkennung ihrer Rechte hausen?
Vielleicht der Bericht des TG 2 (Telegiornale-Nachrichtensendung), der Mitte Januar gesendet wurde und die schwierige Lage meldete? Oder der Besuch der Behausungen durch den EU-Parlamentarier Salvatore Jacolino, der empört über die Situation (eines Aufnahmesystems, das die Politik der Koalition unter Führung seiner Partei im vollsten Maße ausdrückt), die Räumung des Zeltlagers und kürzere Wartezeiten für die Asylbewerber gefordert hat? Oder vielleicht die Besuchsrunden der verschiedenen Politiker, die in den Lagern angesichts der Wahl im Juni erfolgt sind?
Es ist beruhigend, dass ein Vertreter Europas derselben Partei, die das Gesetz Bossi-Fini, den Straftatbestand der illegalen Einwanderung und des gesamten Sicherheitspakets, mit dem die Europäische Rückführungsrichtlinie auf die schlimmste Art und Weise umgesetzt wurde, indem die Untersuchungshaft bis auf 18 Monate verlängert wurde, nun einen größeren Schutz der Migranten fordert ... wenn auch stets im Hinblick auf die Sicherheit und der Rechte der Bürger, die Sportanlage ihrer Stadt zu benutzen. In jedem Fall können wir bestätigen, dass eine Veränderung schon seit geraumer Zeit zugange gewesen ist. Tatsächlich ist seit einigen Wochen die Anzahl der Personen, die in den Behausungen gelebt haben, plötzlich von 160 auf 40 geschrumpft. Außerdem haben wir von einigen Jugendlichen erfahren, dass das Polizeipräsidium seit einigen Tagen die illegale Praxis aufgegeben hat, die Namen der Ankommenden auf eine informale „Warteliste“ zu vermerken, und dass die Identifizierung den Asylbewerbern direkt bei der Ankunft bei der Einwanderungsbehörde des Polizeipräsidiums gewährleistet wurde.
Der empfindliche Rückgang der Anzahl der Personen in den Behausungen würde von diversen Faktoren abhängen: Als erstes von dem Rückgang der Ankünfte während dieser Wochen, was vielleicht auf die zahlreichen Zurückweisungen der Kommission zurückzuführen ist, daher schreckten die Migranten davon zurück, nach Caltanissetta zu kommen; oder vielleicht von der Wirksamkeit der Abschiebungen, die von der Türkei und Griechenland, das durch die britische Regierung zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung unterstützt wird, umgesetzt werden. Ein weiterer erwähnenswerter Umstand, der zur plötzlichen Veränderung der Situation der Behausungen beigetragen hat, ist die ebenfalls in den letzten Monaten in der Provinz erfolgte Erweiterung um ca. 70 Plätze in den schon bestehenden Notaufnahmeeinrichtungen. Denn 70 neue Plätze wurden in der Ipab-Einrichtung, einem Ex-Altersheim in San Catalado, das erst kürzlich zur Aufnahme von Migranten umgewandelt, gefunden, und dort wurden gerade diejenigen untergebracht, die gestern zwangsgeräumt wurden (in der totalen Panikmache der Bevölkerung, die es nicht als geeignet erachtet, die Migranten in einer Einrichtung nahe des Stadtzentrums in der Nähe einer Grundschule unterzubringen). Weitere 70 Plätze sind auf mysteriöse Weise in Notstandseinrichtungen geschaffen worden, die von der Präfektur nach der im letzten Dezember stattgefundenen Ausschreibung abgesegnet wurden.

So auch die Unterkunft im Hotel Alessi von Mazzarino, das dazu übergegangen ist, von anfänglich 30 nunmehr 50 Personen unterzubringen. Die Kapazität des Zentrums Madre Speranza, das schon 70 Personen untergebracht hat, ist um eine Anzahl von 10 Gästen angestiegen . Und außerdem hat sich die Anzahl der Personen, die in den Unterkünften, die von der Kooperative Petix di Montedoro verwaltet werden und bei der sich die Aufnahme von 12 auf 27 Personen erhöht hat, mehr als verdoppelt. Die Anzahl der Plätze in der von Montesolidale verwalteten Einrichtung,auch in Montedoro gelegen, hat sich von 8 auf 12 erhöht. Auch das Zentrum PROCIVIS in Gela, das wir Ende Dezember besucht und bei der wir die absolute Ungeeignetheit der Einrichtung und der Verwaltung festgestellt haben ("Le strutture d'emergenza") , ist um einige Plätze erweitert worden. Trotz der schwerwiegenden Unstimmigkeiten zwischen dem Betreiber und acht Migranten, die in das CARA (Centro di accoglienza di richiedenti asilo-Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber) in Pian del Lago verlegt wurden, nachdem sie die entwürdigende Behandlung und die absolute Nachlässigkeit der gesundheitlichen Probleme angezeigt hatten, sind gut weitere 15 Personen in die diesbezügliche Einrichtung erbracht worden.

Was kann man noch zum CARA in Pian del Lago sagen? Es beherbergt 490 Personen, ca. 40 Personen mehr als dessen tatsächliche Aufnahmekapazität. Es ist leicht, zu ahnen, wie dieser Überschuss verwaltet wird: Mit der Überbelegung der Zimmer, der Container und der wenigen Gemeinschaftsräume; zum Nachteil der Bewohner und zum wirtschaftlichen Vorteil des Betreibers. Man riskiert, sich zu wiederholen, wenn man, aufgrund der Tatsache, dass bestimmte Dinge sich niemals ändern, noch einmal über das Innenleben im Zentrum Bilanz zieht. Die Bewohner beschweren sich, dass man bei gesundheitlichen Problemen jeglicher Art von der Krankenstation, an die man sich wende, lediglich eine Paracetamoltablette erhalte, und dass bei ernsthaften Problemen keine Untersuchungen durch Spezialisten und auch keine Behandlung in den Räumen der Poliklink erfolgen. Trotz der Vereinbarung, durch die Auxilium die Ausschreibung zum Betreiben der staatlichen Einrichtung gewonnen hat, die mehr als 6.000.000 Euro zur Instandhaltung der Einrichtung (über den 18.000.000 Euro zum Betreiben der Einrichtung hinaus) vorsieht, ist noch keine Instandhaltungsmaßnahme in Angriff genommen worden, und die Situation des Gesundheitswesens verschlechtert sich täglich. Es verbleibt auch das Problem des Taschengeldes, das durch das Aufladen des elektronischen Schlüssels, benutzbar nur für die in der Einrichtung vorhandenen Getränke- und Zigarettenautomaten,gewährt wird, so dass die Asylbewerber nicht einmal über den lächerlichen, für sie bestimmten Betrag verfügen können.

Eine positive Nachricht ist, dass scheinbar endlich ein kontinuierlicher Italienischkurs organisiert worden ist, und dass regelmäßig Produkte zur Körperpflege verteilt werden. Die Wartezeiten zur Anhörung und somit die Aufenthaltszeiten in der Einrichtung betragen noch 12 Monate, aber die Präfektur hat die Zusage der Kommission versichert, 70 Anträge im Monat überprüfen zu wollen. Dies würde die derzeitigen Wartzeiten halbieren und die gesetzlich vorgeschriebene Frist von MAXIMAL sechs Monaten garantieren.

Giovanna Vaccaro
Redaktion borderline-europe

Aus dem Italienischen von Thanh Lan Nguyen-Gatti