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Donnerstag, 13. Februar 2014

Türen und Tore öffnen

In diesen Tagen hat das Innenministerium die Listen der SPRAR-Projekte (Servizio Protezione Richiedenti Asilo e Rifugiati, Zweitaufnahmesystem in Italien) veröffentlicht, die finanziert werden. Sizilien erwartet einen Geldregen in den Jahren 2014-2016, da circa 30% der Gesamtplätze in Italien hier genehmigt worden sind. Im Vergleich zu den letzten drei Jahren hat sich die Anzahl der Plätze  deutlich erhöht, was uns erfreut, denn seit Jahren betonen wir immer wieder, dass die Notstandspolitik von einer mittel- bis langfristigen Aufnahmepolitik ersetzt werden muss.
In diesen nun begonnen drei Jahren fällt die starke Präsenz der Caritas als Träger für SPRAR-Zentren ins Auge, es gibt direkte (also die Caritas selber) und  indirekte Trägerschaften durch Stiftungen oder "befreundete" Initiativen.
 Aber Eines nach dem Anderen. Die erste Neuigkeit ist, dass es in den nächsten drei Jahren in allen
sizilianischen Provinzen mindestens ein finanziertes Projekt geben wird. In Palermo wird ein Projekt der Kommune, einigen weiteren Trägern (Kooperativen, kommunale Einrichtungen etc.) finanziert: es wird 100 Plätze geben, von denen 12 für unbegleitete Minderjährige, 4 für besonders Schutzbedürftige und 84 für weitere Asylsuchende angelegt sind. Dafür werden ca. fünf Millionen Euro für die drei Jahre zur Verfügung gestellt.
Für die Unterbringung von unbegleiteten Minderjährigen wurden in Sizilien circa 17 Millionen Euro für 207 Plätze (von 2014-2016) zur Verfügung gestellt. 110 Plätze werden für besonders Schutzbedürftige in der ganzen Region zur Verfügung gestellt, die Kosten betragen neun Millionen Euro. Für Asylsuchende sollen 1.893 Pätze zur Verfügung gestellt werden, Kostenfaktor 90 Millionen Euro. Das bedeutet für Sizilien 2.200 Plätze und  mehr als 100 Millionen Euro. Hinzu kommen natürlich noch die Plätze in den CARA (Erstaufnahme für Asylsuchende) und in den CIE (Abschiebungshaftanstalten) sowie die ganzen Zentren, die als Notstandsunterkünfte eröffnet werden.

Wie immer erschwert das Fehlen einer klaren Planung und Struktur die aktuelle Situation. Geschäftermachereien werden Tür und Tor geöffnet. Immer die gleichen Kooperativen und Konsortien sind die Begünstigten, diejenigen, die inzwischen Restaurants, Landgasthöfe und Hotels in Aufnahmezentren verwandelt haben.
Ein weiterer offensichtlicher Fakt ist die Unfähigkeit von Kommunen und Kirche, Antworten auf die Bedürfnisse der Migranten zu geben: Wir haben zum Beispiel immer wieder auf das Problem der Aufnahmeorte der Migranten hingewiesen, die ihre Papiere verlängern lassen müssen. Ebenso betrifft dies Dublin-Fälle und diejenigen, die auf ihre erste Anhörung warten und durch Sizilien ziehen. Sie finden meist keine Unterkunft in den Zentren, sondern schlafen in Zeltlagern oder Abrisshäusern in der Nähe der Asylkommissionen wie z.B. in Caltanissetta und Trapani. Platzmangel oder andere bürokratische Hürden sind der Grund, dass sie keine (Wieder-) Aufnahme in den SPRAR-Zentren finden. Auch aus dem Krankenhaus entlassene Migranten, die sich selbst überlassen wurden oder auch die Hunderte von Migranten, die aus dem Norden Italiens zurückkehren, da sie ihre Arbeitsplätze verloren haben, befinden sich unter diesen Obdachlosen. Für all diese Probleme gibt es keine Antworten. Während in Palermo und Trapani die Caritas Obdachlosenunterkünfte schließt und SPRAR eröffnet bleibt der wahre Bedarf an Tages- und Nachtzentren, die die Migranten aufnehmen, die eben keinen SPRAR-Platz erhalten, ungehört.
Die politsche Wahl der Betreiber scheint damit eindeutig: den Gürtel enger schnallen und Verträge und Projekte machen, die von den Präfekturen refinanziert werden.

Der Fall Palermo ist emblematisch: hier hat die Caritas Diocesana ein CAS (Sonderaufnahmezentren, also Notfallzentren) mit 20 Plätzen eröffnet. Sie erhält 30 Euro pro Tag und Bewohner, während die Veträge der Mitarbeiter der Obdachlosenunterkunft Ende Februar auslaufen und diese befürchten, dass das Zentrum geschlossen wird, sollten die Verträge nicht verlängert werden. Wir glauben nicht, dass Papst Francesco in dem Reigen des business mitspielen wollte, als er sagte "öffnet die Tore der Kirche!"

Eine weitere unanfechtbare Tatsache sind die Probleme, die Migranten aufgrund der langen Wartezeiten bis zur Anhörung vor der Asylkommission und den massiven Verspätungen bei der Verlängerung der Papiere in den Ausländerbehörden auf sich nehmen müssen. Diese bürokratischen Wartezeiten ermüden und erniedrigen die Menschen, und immer häufiger kommt es daher zu Streiks und Revolten oder zu Massenfluchten aus den Zentren.
Um die Wartezeiten abzukürzen und den anderen Problemen abzuhelfen wurde am 23.01.2014 für die nächsten sechs Monate (derzeitiger Stand) eine Unterkommission der Asylkommission in Palermo eingerichtet, die über die Asylanträge aus den Provinzen Palermo und Messina entscheiden soll. Schon jetzt sind circa 700 Fälle anhängig.
Allein 450 kommen aus der Region Palermo. Hier befinden sich neun Notstandseinrichtungen (Piana degli Albanesi, Partinico, Geraci Siculo, Palazzo Adriano, Isnello und Palermo), die seit August letzten Jahres eröffnet wurden. Die anderen Asylsuchenden sind derzeit in der Pala Nebiolo in Messina untergebracht (einer anderen Notstandseinrichtung). Die Unterkommission in Palermo arbeitet noch nicht (derzeit, so die Präfektur, werde das Personal weitergebildet, welches sich jedoch auch über die massive Mehrarbeit beschwert). Wir hoffen, dass die Kommission die Arbeit sehr bald aufnimmt, um die Wartezeiten zu reduzieren, die heute durchschnittlich ein Jahr beträgt!


Alberto Biondo
Borderline Sicilia

Aus dem Italienischen von Judith Gleitze