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Mittwoch, 6. November 2013

Schiffbruch vom 11.10.2013: die Libyer, die von Italien mit Waffen ausgerüstet wurden, schießen auf die Flüchtlinge


Nachdem die Tränen des Schmerzes, die die Presse ein Zeit lang über das Schiffsunglück genährt hatte, versiegen und die Toten wieder in der Dunkelheit versinken, sind Presse und öffentliche Meinung wieder zum Alltag übergegangen und niemand fragt sich, was denn aus den Überlebenden geworden ist. Borderline Sicilia hatte von dem Unglück des 11. Oktober von Lampedusa aus berichtet. In den darauffolgenden Tagen trafen wir einen Syrer, nennen wir ihn Hamed. Ein Teil von ihm hat sein Leben bei diesem Schiffbruch gelassen, er hat an diesem Tag seine Frau, seine Schwiegertochter und sein Enkelkind verloren.
Alle Frauen seiner Familie sind tot oder zumindest vermisst. Die Leichen der Ehefrau und der Schwiegertochter wurden nicht gefunden. Doch er ist nicht der einzige Überlebende der Familie. Auch der Sohn, der hier seine Mutter, die Ehefrau, die Schwester und die Tochter verlor, hat überlebt. Er aber wurde von den Rettern gemeinsam mit einer Gruppe von Personen nicht nach Sizilien, sondern nach Malta gebracht. Er befindet sich immer noch dort in einem Aufnahmezentrum für Flüchtlinge. Hamed erklärt, dass das Wichtigste für ihn nun eine Familienzusammenführung sei, doch er möchte nicht in Italien bleiben. Italien, das Land, das die syrischen Flüchtlinge einfach ihrem Schicksal überlassen hat.

Obwohl die Erinnerung an diesen Tag schmerzt berichtet er uns, was passiert ist. Er und seine Familie sind eigentlich Palästinenser. Sie sind aufgrund des Krieges aus Syrien geflohen, nachdem sie erst in ein Flüchtlingslager der UNO gebracht worden waren erreichten sie dann über Ägypten Libyen. In Libyen haben sie schreckliche Erfahrungen gemacht, sie wurden ohne Unterlass angegriffen und ausgeraubt, sie hatten Angst, auf die Straße zu gehen. Am Abend des 10. Oktober konnten sie sich gegen 22 Uhr einschiffen. Nach einigen Stunden Fahrt, sie waren schon in internationalen Gewässern, näherte sich ihnen ein libysches Boot, das Soldaten an Bord hatte. Die Soldaten feuerten drei Mal auf das Boot, sie zielten auch auf die Menschen. Sie versuchten, Seile an dem Boot festzumachen, um es umzukippen. 420 Menschen haben sich darauf befunden. Die Flüchtlinge auf dem Boot flehten die Soldaten an aufzuhören. Es waren auch viele Kinder an Bord. Es gelang ihnen, auch den Motor mit den Schüssen zu zerstören, dann haben sie umgedreht. Nach einiger Zeit überflog ein Flugzeug das Boot, die Menschen auf dem Schiff sind aufgestanden, um auf sich aufmerksam zu machen, so kippte das Boot schließlich um. Dutzende sind ertrunken. Nach ca. einer Stunde sind dann die Rettungseinheiten gekommen. Einige von ihnen wurden nach Sizilien, einige nach Malta gebracht. Hamed und sein Sohn, die einzigen Überlebenden einer ganzen Familie, werden getrennt.

Trotz der Zeugenaussagen der Überlebenden, die nach Italien gebracht wurden und über den Angriff durch das libyschen Militär berichteten gab es keinerlei politische Reaktion auf diese schwerwiegende Tat. Eine Erklärung könnte in der Tatsache liegen, dass sich die Beziehungen zwischen Italien und Libyen seit einigen Monaten zu verbessern scheinen. Libyen wurde zudem erneut mit der Gründung der Agentur EUBAM von ganz Europa zum Gendarmen der Südgrenze ernannt. Deren Ziele sind die Ausbildung von Personal und die Projektierung von Programmen zur besseren Kontrolle der libyschen Grenze an Land und auf See. Italien hat seit einigen Monaten zahlreiche finanzielle Programme zur Bewaffnung und Ausbildung von libyschen Soldaten bereitgestellt, die sich in Zielen und Umsetzungen  - vor allem was Migranten betrifft - nicht so sehr von denen aus der Zeit Gaddafis zu unterscheiden scheinen. Natürlich sind da enorme stretegische und vor allem ökonomische Interessen im Spiel. Und wie immer sind die Migranten in diesem Schachspiel der als humanitäre Aktionen getarnten militärischen Operationen die Migranten nur die Spielsteine auf deren Schultern man Abkommen abschließt und auf die man schießt.

Die Redaktion von Borderline Sicilia Onlus

Aus dem Italienischen von Judith Gleitze