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Dienstag, 19. November 2013

Caltanissetta: Borderline Sicilia besucht das CARA in Pian del Lago

Einer der Eingänge des CARA
Am 8. November haben wir mit der Erlaubnis der Prefettura di Caltanissetta das staatliche Zentrum für Asylsuchende in Pian del Lago besucht. Die Struktur von Pian del Lago gleicht einem Labyrinth aus Zäunen und verschlossenen Toren und wird durch die Präsenz des Militärs und der Polizei geprägt. In seinem Innern befindet sich auch die Ausländerbehörde von Caltanissetta. Seit dem 1. Oktober wird das Zentrum von der Kooperative Auxilium verwaltet, die die fast zehnjährige Verwaltungsepoche der Kooperative Albatros abgelöst hat.

Die Container im CARA
Auch wenn es heute keinen Unterschied mehr zwischen dem CDA (Centro di Accogleinza: Aufnahmezentrum) und dem CARA (Centro di accoglienza per richiedenti asilo, Aufnahmezentrum für Asylsuchende) gibt, ist eine strukturelle Trennung zwischen den beiden Teilen geblieben, die heute zusammen das CARA bilden. Ein Teil befindet sich im im westlichen Teil des Zentrums und setzt sich aus einem aus Stein gemauerten Gebäude für die Mıgranten, einer Mensa, einem Fußballfeld und gleich daneben einem Bereich für das Gebet zusammen. Der andere Teil im Osten des CARA besteht dagegen aus Containern, die auf dem Asphaltboden aufgestelltsind. Deren Inneres konnten wir aufgrund der Vorschriften der offiziellen Stellen nicht besuchen. In diesem Gebiet leben zwischen den Containern auch sieben Kinder, darunter ein Baby und eines wird bald zur Welt kommen. Wir haben keinen Raum gesehen, der den Bedürfnissen werdender Mütter und ihrer Kinder angepasst ist, geschweige denn einen Raum, der Kindern gewidmet ist. Als wir auf diesen Mangel aufmerksam machten, sagte uns der Betreiber des CARA, dass bei der Präfektur bereits ein Antrag für die Verwendung eines Raumes der ehemaligen Krankenstation als Spielzimmer gestellt wurde. Es scheint unmöglich, dass Kinder, genau wie Erwachsene, in dieser Art von Zentren untergebracht werden können.
Die Abschiebungshaft
Die Tore des CARAs werden permanent geschlossen gehalten. Die Migranten können das Zentrum zu den Öffnungszeiten beliebig betreten und verlassen, allerdings unter der Überwachung durch einen Mitarbeiter am Eingang, der die Aufgabe hat, die Tür zu öffnen und zu schließen, sowie zu notieren, wer wann hinein und hinaus geht. Die Tore müssen aus Sicherheitsgründen geschlossen bleiben, da sich im Inneren des staatlichen Zentrums Pian del Lago auch ein CIE (ein Abschiebunghaftzentrum) befindet und die Erhebung des Ein- und Ausgehens ist notwendig, um die Anzahl der im Zentrum gemeldeten Migranten zu kontrollieren.
Die Abschiebungshaft: Unsere Autorisierung beinhaltete auch einen Besuch des CIE, aber aufgrund der starken Spannungen in der Haft in den letzten Wochen, wurde uns der Besuch aus “Gründen der öffentlichen Sicherheit”untersagt.
Insgesamt beherbergt das Zentrum laut den Betreibern im Moment 578 Menschen. Davon sind 500 Asylsuchende, die in dem Bereich des CARA wohnen, während sich 78 als Gefangene im CIE befinden. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im CARA liegt zwischen 8 und 10 Monaten (aufgrund der Verlängerung der Wartezeiten durch die Kommission), die Dauer der Inhaftierung im CIE beträgt dagegen durchschnittlich 6 Monate. Gerade dieser Inhaftierungszeitraum ist der Grund der letzten Unruhen in der CIE, da die Hafe zur Feststellung der Indentität zuvor maximal 4 Monate betrug, nun aber durch den neuen Friedensrichter von Caltanissetta auf 6 Monate verlängert wurde.

Die genaue Anzahl der Mitarbeiter des Zentrums wurde uns nicht mitgeteilt. Man bezieht sich auf 60 Mitarbeiter, wobei alle Mitarbeiter des vorherigen Betreibers übernommen wurden, samt etwa 30 Sozialarbeitern. Der Anteil der Sozialarbeiter ist im Vergleich zu dem in der Konvention vorgesehenen zu hoch, weshalb diese nun auch mit anderen Aufgaben betraut wurden (wie zum Beispiel dem Verteilen der Mahlzeiten, oder direkt als Einsatzkräfte im Catering-Service, der das Zentrum beliefert). Das Personal von Auxilium besteht aus Kulturmediatoren, Dolmetschern, Sozialarbeitern, Psychologen, Pflegekräften und Rechtsberatern. Die Mitarbeiter sprechen Englisch, Französisch, Arabisch und IrakischesArabisch.

Die Krankenstation
Bei der Ankunft der Asylsuchenden im Zentrum wird ein gesundheitliches Screening durchgeführt, das eine medizinische Untersuchung einschließt, durch welche eventuelle Erkrankungen oder Störungen, unter denen sie leiden, festgestellt werden sollen. Hämatologische Untersuchungen, Röntgenaufnahmen des Thorax und andere spezielle Untersuchungen werden nur in Verdachtsfällen schwerer Erkrankungen durchgeführt. Es ist außerdem ein sogenanntes “psychisches Screening” vorgesehen, in welchem die im Zentrum Beherbergten einige Tage nach ihrer Ankunft durch ein Gespräch mit einem Sozialarbeiter dahingehend beurteilt werden, ob eine psychologische Behandlung durch die im Zentrum arbeitenden Psychologen notwendig erscheint.
Was das Erlernen der italienischen Sprache anbelangt, werden die Beherbergten je nach ihrem Sprachniveau in eine von drei Klassen eingeteilt, nach denen der Italienischunterricht aufgeteilt ist: A0, A1, A2. Es wurde auch eine reine Frauen-Klasse eingerichtet, da einige Frauen nicht am Unterricht teilnahmen, da Männer anwesend waren.
Diese Maßnahmen sind von der Kooperative Auxilium neu eingeführt worden. Diese hat einige Veränderungen auch in Bezug auf die medizinischen Dienstleistungen im Zentrum durchgesetzt. Vor allem wurden die Bereiche der Krankenstation zusammengelegt. Dies sei aus funktionalen Gründen notwendig gewesen, sagten sie uns, da sich die Ärzte vorher ständig zwischen den vormals drei existierenden Krankenstationen auf dem Gelände hin- und herbewegen mussten.
Der medizinische Service wird von insgesamt 12 Ärzten (zwei pro Turnus) geleistet und soll 24 Stunden garantiert sein, auch wenn wir auf ein Schild am Eingang der Krankenstation aufmerksam machen wollen, das die folgenden Öffnungszeiten festhält: von 9.30 bis 11.30 Uhr, sowie von 16.00 bis 19.00 Uhr. Die Betreiber des Zentrums möchten diesbezüglich betonen, dass diese Öffnungszeiten nur für die Krankenbesuche und die Verwaltung der Therapien gelten, um die Asylsuchenden an die Öffnungszeiten zu gewöhnen. Sie versichern, dass die Krankenstation für alle anderen Fälle in Wirklichkeit immer offen und in Betrieb sei. Auch wenn die Krankenstation am Morgen unseres Besuches zunächst abgeschlossen und keine Ärzte da waren, trafen diese nach etwa zehn Minuten in der Station ein und erklärten ihre Abwesenheit durch ärztliche Besuche in der Haft. Diese Vereinheitlichung und Organisation der Krankenstation sollte funktional und eine Verbesserung des medizinischen Services des Zentrums sein. Allerdings haben uns verschiedene Migranten, mit denen wir im Laufe der letzten Wochen gesprochen haben, sowie die vor dem Zentrum protestierenden Frauen erzählt, dass diese Umstellung eine Verschlechterung des medizinischen Services mit sich gebracht hätte.
Der medizinische Leiter des Zentrums hat uns die zwei Besuchsstationen (von denen eine ziemlich in Unordnung war), die Erste-Hilfe-Ausstattung in beiden, den Raum zur Aufbewahrung von Medikamenten, sowie den kleinen medizinischen Konferenzraum gezeigt. Er hat uns außerdem die Methode der “Rückverfolgbarkeit”, die für die Verwaltung der Arzneimittel eingeführt wurde, erklärt. Mit dieser werden die Medikamente ordnungsgemäß nach ihrer Art, dem Datum und der Uhrzeit ihrer Verschreibung in einem Generalregister und in der medizinischen Akte des jeweiligen Asylsuchenden erfasst. Diese medizinische Akte, die auch alle durchgeführten Untersuchungen, die Beschreibung der eventuellen Krankheiten oder Störungen der Patienten, sowie die aktuell verordneten Therapien dokumentiert, wird dem Asylsuchenden bei Verlassen des Zentrums ausgehändigt.
Die Mensa
Die von Auxilium eingeführten Neuerungen betreffen auch die Lebensmittel. Diese liefert zwar immer noch ein externer Catering-Service, aber es ist eine neue Firma, die ITACA heißt und sich in Mazzarino befindet. Das Menü ist mit verschiedenen Vertretern der im Zentrum anwesenden ethnischen Gruppen abgesprochen worden, mit denen gemeinsam die Art der Gerichte, die Art des Fleisches (mit einer Zertifizierung der Schlachtart als hallal) und der zu nutzenden Gewürze ausgesucht wurde. Trotzdem scheint dieses empfehlenswerte Verfahren der Auswahl von Lebensmitteln nicht die Qualität der Speisen zu garantieren. Seit einigen Wochen kritisieren nämlich die Migranten die Qualität und die Quantität der Speisen als sehr schlecht. 
 
Unter den vielen eingeführten Neuerungen durch die Kooperative Auxilium befindet sich außerdem die “Operation Offene Türen”: “eine Initiative, die das Zentrum für die Bürger öffnen und den Rückzug in sich selbst aufbrechen soll,” sagte uns ein Mitarbeiter, mit dem wir sprachen. Angesichts der Isolation des Zentrums von der bürgerlichen Realität, hat das Management von Auxilium beschlossen, diverse Initiativen zu gestalten, um die Bürger miteinzubinden und zu sensibilisieren. Aus diesem Grund hat bereits ein erstes Treffen mit Schulleitern einiger Oberschulen von Caltanissetta stattgefunden, um die gemeinsamen Absichtserklärungen für die Realisierung verschiedener Projekte und Initiativen festzuhalten. Einige von ihnen haben sich bereit erklärt, den Asylsuchenden des Zentrums die Laboratorien der Schule zur Verfügung zu stellen und die Häufigkeit von Abendkursen für Menschen, die sich bereits auf einem Sprachniveau von A2 befinden, zu fördern. Außederm sind zukünftige Projekte zum Thema Multikulturalität und andere Initiativen, die den direkten Kontakt zwischen den im Zentrum Lebenden und den Schülern fördern, angedacht.
Der Besuch des Zentrums war fast beendet, als wir einige Momente der Anspannung mit dem Sicherheitsverantwortlichen durchleben mussten, der uns davon abhalten wollte, das CIE von außen zu fotografieren, und das, obwohl wir dazu die Autorisierung erhalten hatten. Dank einigen klärenden Anrufen, konnten wir letztendlich Fotos vom CIE machen, das Zentrum aber erst verlassen, nachdem wir alle von uns gemachten Fotos den Mitarbeitern von Auxilium zeigten.
So haben wir das staatliche Zentrum Pian del Lago mit einigen offenen Fragen verlassen: wir konnten uns kein Bild von den sanitären Anlagen und den Schlafräumen der Asylsuchenden machen und vom Management des Zentrums keine Informationen zu dessen Betreiberschaft erhalten. Auch wenn einige der Neuerungen, die Auxilium eingeführt hat, sehr interessant sind, ist es offensichtlich, dass ein paar dieser nicht aus Gründen der besseren Funktionalität, sondern aus ökonomischen Gründen durchgesetzt wurden, und sicher nicht im Interesse der Asylsuchenden liegen. Es ist an dieser Stelle erwähnenswert, dass Auxilium den Vertrag zur Verwaltung des Zentrums durch die Ausschreibung von einem Betrag von 25 Euro pro im Zentrum beherbergter Person pro Tag erhalten hat, das sind 10 Euro weniger pro Person pro Tag, als der vorherige Betreiber des Zentrums erhielt. Es ist deshalb nicht schwer zu glauben, dass die von den Asylsuchenden beklagten Verschlechterungen im Hinblick auf die Menge und die Qualität des Essens, die schlechte Versorgung mit Waschmitteln für die persönliche Hygiene und die eingeschränkte medizinische Versorgung, der Notwendigkeit von Einsparungen durch das Management der Kooperative und ihrem Streben nach Profit geschuldet sind.

Giovanna Vaccaro, Borderline Sicilia Onlus

Aus dem Italienischen von Philine Seydel