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Donnerstag, 10. Oktober 2013

Krokodilstränen

In diesen Tagen sind die Scheinwerfer alle auf Lampedusa gerichtet, wo sich zurzeit italienische und europäische Politiker ein Stelldichein geben um kundzutun, dass eine solche Tragödie nicht noch einmal passieren darf.

Eine Tragödie, die sich täglich im Mittelmeer wiederholt... aber die Politiker konnten diesmal nicht so tun als ob nichts passiert wäre und haben deshalb die Heuchelei, die nur sie, die professionellen Heuchler die den Menschen das Gegenteil von dem was sie glauben, verkaufen und in die Tat umsetzen, in Szene gesetzt als wären sie Oskar prämierte Schauspieler.

Aber wir fragen uns:

Wer hat die Dublin 3 Verordnung erlassen?
Wer hat für das Einwanderungsgesetz Bossi – Fini gestimmt?
Wer hat die CIE (Centro di Immigrazione ed Espulsione) institutionalisiert?
Wer hat sich die „Indemnitätserteilung“ (nachträgliche Legitimierung der illegalen Anwesenheit in Italien), die zu zahlreichen Betrugsfällen geführt hat, ausgedacht?

Und wir könnten noch weiteres aufzählen, aber die Liste wäre zu lang; zum Glück haben viele Menschen heute die Augen geöffnet und glauben nicht mehr den Krokodilstränen.

Die Realität ist, dass sehr viele Brüder und Schwestern der Ausweglosigkeit preisgegeben werden und dass es kein Mitleid, nicht einmal nach dem größten von den europäischen Staaten verübten Mord der letzten Jahre, gibt.
Wie soll man die Präsenz von 84 Eritreern und Somaliern, die auf der Insel am 17. September gelandet sind, in der Zeltstadt von Porto Empedocle totschweigen? Aber waren diese 84, an jenem 17. September, nicht in Wirklichkeit 290 Eritreer und Somalier (und circa 20 Syrer)?

Was ist mit den circa 200 Flüchtlingen passiert, die bei der Zählung gefehlt haben?

Es ist einfach eins und eins zusammen zu zählen: ungefähr 20 sind überstellt worden (vielleicht nach Catania – es wurde uns aufgrund des „Staatsgeheimnisses“ der Transfers nicht mitgeteilt) Circa 30 Flüchtlinge (sechs oder sieben Familien) mit Familien sind in Folge in einige SPRAR Lager gebracht worden.
Wenn wir uns bei den Berechnungen nicht irren, dann fehlen circa 156 Flüchtlinge, die offensichtlich aus der Zeltstadt geflohen sind; in Porto Empedocle, wie in Milo oder in anderen Orten des „Nichtwillkommenseins“ sind die Fluchten, auf die wir mehrmals hingewiesen haben, täglich geworden.

Auch die Präfektur von Agrigento (wie andere Präfekturen unterschreiben sie keine Vereinbarung in den Zeltstätten oder den Sporthallen) hat sich nicht um die Einrichtung gekümmert, aber es ist der Zivilschutz und die Freiwilligen, die sich um den Beistand kümmern; zwar ohne jegliches Fachwissen aber mit viel Herz!
Aber nach fast einem Monat reicht das Herz nicht aus und es wäre die Anwesenheit von Vermittlern, Psychologen und Ärzten angebracht...

In Porto Empedocle sieht man keinen Arzt (die Notärzte und Psychologen des ASP werden bei Notsituationen gerufen, also dann wenn eine Ordnungskraft oder ein Freiwilliger – die nicht in der Erkennung von Symptomen geschult sind - auf den schlechten Gesundheitszustand des Flüchtlings aufmerksam wird;Vermittler sieht man nur nach den Fluchten und Unruhen und es sind Vermittler, die von den Ordnungskräften gerufen wurden um die Leute ruhig zu stellen; es versteht sich von selbst, dass von Psychologen nicht einmal der Hauch einer Spur zu sehen ist, obwohl sie fundamental wichtig wären; und das in Anbetracht dessen, das die „Gäste“(man besitzt immer noch die Unverschämtheit, sie so zu nennen) alle unter einem Dach auf Latexmatratzen ohne jegliche Privatsphäre, Frauen und Männer gemischt (darunter circa 20 Frauen).
Bis heute hat niemand der 84 verbliebenen einen Asylantrag gestellt! (wann werden sie die Möglichkeit dazu haben?)

Heute hat eine Kommission der Weltgesundheitsorganisation eine Inspektion in der Zeltstadt, die immer noch die Spuren der Massenflucht der vergangenen Wochen aufweist, gemacht, und in der Tat sind die Eingangstore immer noch aus den Angeln gerissen und der Außenzaun der mit dem Hafen abschließt ist eingerissen....

Wir warten den Ausgang der Inspektion ab, ohne einen Zweifel, dass diese Schwester und Brüder unter den menschenverachtenden Gesetzen und Vereinbarungen auf europäischer Ebene leiden, welche das Nichtwillkommensein nicht nur in Italien möglich machen... aber inzwischen hat man erklärt, dass nicht zugelassen wird das sich so etwas wiederholt.

In Porto Empedocle, so wie in anderen sizilianischen und italienischen Städten stirbt man nicht auf dem Grund des Meeres, man stirbt am Inneren der Seele.


Alberto Biondo

Borderline Sicilia Onlus

(Aus dem Italienischen von Alessandro Pastore)