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Dienstag, 10. September 2013

Gründe einer Flucht: Die abgewiesene Aufnahme

Flore Murard Yovanovitch - Es sind angeblich über 150 Flüchtlinge aus dem Erstaufnahmelager (CPSA) von Pozzallo, in der Provinz von Ragusa, geflohen. Entgegen einer maximalen Aufnahmekapazität von 130 Plätzen, hatte das Zentrum nach der letzten Ankunft von 208 Flüchtlingen am Samstagnachmittag mehr als 400 „untergebracht“. Gelegen in einem Hafen, in einer Freizone, erhebt sich die Zollhalle hinter einer weiteren Einzäunung, Toren und Stacheldraht. Diese Gitter habe ich letzten 3. September während eines erlaubten Besuch überschritten.

Ein glühend heißer Hof. Der Schlafsaal, ein riesiger Raum von 400 auf dem Boden ausgefransten Matratzen, ohne Bettbezug, wo Männer jeden Alters und jeder Herkunft, sogar Minderjährige zusammen schlafen, Kopf an Fuß. Nachts kommt man zwischen Getümmel, Schreien, Musik und Gewalttätigkeiten nicht zum schlafen. Ein kleiner durchsichtiger Pavillon der Polizei, sogar in dem Ruheraum und 24 Stunden Videoüberwachungsmonitor im Büro des Zentrumdirektors. Das waren die letzten Sicherheitsmaßnahmen für ein Lager das schon Krawalle in der Vergangenheit erlebt hatte.

Keine Kantine, das Mittagessen - „Makkaroni“ jeden Tag – wird sitzend auf den wenigen im Schatten stehenden Bänken eingenommen. Weder funktioniert die Wäscherei, noch der Friseurdienst, keine Privatsphäre in den Duschräumen und minimale hygienische Standards. Ein einziger Sprachmittler in arabisch für 200 Flüchtlinge, keiner für Englisch, zwei Sozialarbeiter, zwei vom Zentrum angestellte Ärzte, die im Turnus arbeiten, von denen einer auch der von der Hafenwacht, autorisierte Arzt ist, der für die sanitären Kontrollen auf den Schiffen (und daher mit den vielen Landungen beschäftigt ) zuständig ist. Aber es gibt keine psychologische und posttraumatische Betreuung für die Flüchtlinge, die Trauma erlebt haben. Die Unterkunft ist bis auf das minimalste unter allen internationalen Standards reduziert und verletzt verschiedene Artikel der Ausschreibeklausel (zur Führung des CPSA im November 2008).

Dem Zentrum in Pozzallo fehlt es vor allem dramatisch an einem rechtlichen Beistand und einer Orientierungshilfe für die Flüchtlinge und potentielle Asylantragssteller. An diesem extremen Ufer des südöstlichen Siziliens landen in der Tat nicht nur Wirtschaftsflüchtlinge aber Flüchtlinge aus den Konflikten in Äthiopien, Eritrea, Somalia und jüngst auch aus Ägypten.

Menschen die in ihren Herkunftsländern, Opfer von Verhaftung und Verfolgung wurden und die zu Fuß durch die Sahara und dann durch das Post Ghaddafi Lybien, das die Subsaharier schwarzer Hautfarbe diskriminiert und verfolgt, geflohen sind; manche die sogar Monate oder Jahre in den berüchtigten Lagern interniert wurden und flohen indem sie sich einschifften. Und hier sind sie, diese verletzbaren Subjekte, ohne rechtlichen Schutz noch richtige Information über ihren Status.

Als einziges „Dokument“: die Plastikarmbänder am Puls mit dem Identifikationskodex (der zum Essen, Wiederaufladungen und den Ausgängen dient), diese Ziffer die den Platz deines Namen und Identität eingenommen hat. „So nennen sie dich im Lager: K68“, verrät Mohammed, ein 20-jähriger Eriträer.

Die Aufenthaltszeiten sind sehr sehr lang, über die gesetzlich vorgeschriebenen hinaus. Eine Einrichtung das CPSA, wäre aufgrund der Regelung gemäß dem Immigrationsgesetz (Art.23) „zur Aufnahme der Flüchtlinge entsprechend der für ihren Transfer in andere Lager knappen, notwendigen Zeit (circa 24/48 Stunden) bestimmt“. Stattdessen sind manche Flüchtlinge seit mehreren Monaten im Lager. Sie werden wegen der Verzögerungen der Asylprozedere, der Langsamkeit der territorialen Kommission und dem Mangel an Plätzen in anderen Unterkunftseinrichtungen des SPRAR (dem Schutzsystem für die Asylantragssteller und Flüchtlinge) in dieser Einrichtung aufgehalten. Schlimmer und entschieden illegal ist die Aufenthalt von mehreren Duzend von unbegleiteten Minderjährigen, Ägyptern und Somaliern im Lager seit mehr als zwei Monaten, welche mich fragen „wo ist die Schule? Ich will italienisch lernen“ Wer weiß ob auch sie geflohen sind.

Tage des Wartens, ohne jegliche erholende Wirkung. Absolute Ungewissheit. Frauen, Somalierinnen die gramgebeugt Stunden auf den Matratzen verbringen erzählen mir: “Wir schlafen, essen, schlafen“.

Im Dunkeln über das eigene Schicksal. „Ich weiß nicht wann sie mich weiterleiten, ich bin hier seit 22 Tagen und sehe immer andere Transfers. Sie haben mir nichts von meinen Dokumenten gesagt, ich habe keinen Anwalt gesehen. Keiner der das Wort „Asyl“ ausgesprochen hätte.

Ali ein Flüchtling aus Darfur fügt hinzu, „Bekommst du essen, über das du dich beschwerst?“ sagen sie ihm hier drinnen: sie haben keine Idee, dass wir nicht nach Italien kommen um unser Leben zu verbessern, aber das wir um unsere Haut zu retten geflüchtet sind“. Andere, so wie die Eriträer hingegen wollten eigentlich kein Asyl in Italien beantragen, da sie Verwandt ein anderen europäischen Ländern haben.

Jamal: „Kaum das wir vom Boot ausgestiegen waren, haben sie uns, obwohl ich mich weigerte gewaltsam die digitalen Fingerabdrücke, abgenommen. Weil ich in die Schweiz wollte, wo ich meine Verwandten habe; ich will nicht in Italien bleiben“. Während meines Besuchs anderen Tags, wirft sich eine Frau gegen das Gitter, das sie überwindet und sich beim Herabfallen einen Knöchel verdreht während sie von der Polizei verfolgt wird, die mir später erklärt das sie minderjährig ist.

Pozzallo: Bis letzten Sonntag, ungefähr 400 Flüchtlinge und mögliche Asylantragssteller, seit Monaten in einem informellen Aufenthaltsort, der in der Tat ein Ort der Abschiebung geworden ist. Diese kollektive Flucht bezeichnet das Versagen des Unterkunftssystems, das in Sizilien von Präfekten und Quästoren verwaltete wird, die mit Gegenmethoden gegen die illegale Immigration, die über dem Recht des Flüchtlingsschutzes stehen und somit die Erpressung und die sogenannte „Klandestinität“ schüren, von der alle sagen, dass sie diese bekämpfen wollen.

Erschienen in der nationalen Ausgabe von Unità, den 10. September 2013, S.12, „Flucht aus dem Lager von Pozzallo“

(Aus dem Italienischen von Alessandro Pastore)