siciliamigranti.blogspot.com ist ein italienischsprachiges Monitoringprojekt zur Situation der Flüchtlinge in Sizilien, dort finden Sie die Original-Berichte, hier finden Sie die deutschen Übersetzungen. Klicken Sie auf die auf die Namen der Schlagworte (keywords), wenn Sie bestimmte Themen suchen.

Donnerstag, 20. September 2012

„Fermiamo La Strage Nel Mediterraneo“

Von Alexa Magsaam

„Beenden wir das Blutbad im Mittelmeer“, so der Slogan der Demonstration am 19. September 2012 in Palermo, initiiert vom ‚Forum Antirazzista di Palermo’. Ein schwarzer Trauerzug zog Donnerstagnachmittag vom Hafen bis zum Piazza Ruggero Settimo, direkt vor das Teatro Politeam im Zentrum Palermos.
  
„Lieber möchte ich meinen Bruder beerdigen, als dass er vermisst bleibt.“

Imed Kamoun hat seinen Bruder verloren.
 Der Anlass der Demonstration war das Bootsunglück vom 6. September vor Lampione, einer kleinen Insel circa 20 Kilometer von Lampedusa entfernt. 136 Flüchtlinge aus Tunesien erlitten Schiffsbruch, 56 konnten lebend gerettet werden, 80 weitere Flüchtlinge werden seitdem vermisst. Nur vier von den ihnen konnten bisher tot aus dem Wasser geborgen werden. Von dem Schiff und den restlichen 76 Menschen fehlt bisher jede Spur. Imed Kamoun ist auch Tunesier. Er lebt seit sieben Jahren in Hamburg und ist extra nach Palermo gekommen. Imed hat seinen Bruder bei dem Schiffsunglück in der Nacht vom 6. auf den 7. September 2012 verloren. Er möchte Gewissheit haben, was mit seinem Bruder geschehen ist. Warum mussten die Menschen auf diesem Schiff sterben? Was ist passiert in dieser Nacht? Bis jetzt stehen diese Fragen noch offen.

Heute, dem 20. September 2012, fährt Imed Kamoun nach Agrigento, Südsizilien. Dort spricht er mit der Staatsanwaltschaft, die eine Untersuchung zu dem Schiffbruch eingeleitet hat. Er fordert, dass auch weiterhin nach den noch verschwundenen Leichen gesucht wird. Er wird eine Aussage machen und mit seinen Informationen die Ermittlungen der Polizei unterstützen. Er möchte Gewissheit: „Lieber möchte ich meinen Bruder beerdigen, als dass er vermisst bleibt.“

30 Menschen demonstrieren bei 28 Grad

Die Demonstration am 19. September begann um 16.00 Uhr am Hafen von Palermo. Hier trafen sich Aktivisten und Aktivistinnen des Antirassistischen Forums, einer Gruppe bestehend aus vielen Vereinen und Einzelpersonen. Auftakt war eine kurze Pressekonferenz, bei der die lokalen Fernseh- und Printmedien ebenfalls vor Ort waren. Es wurden einige Interviews geführt, Bilder gemacht, Videosequenzen gedreht und dann setzte sich der Menschenzug langsam in Bewegung Richtung Innenstadt. Trotz der circa 28 Grad protestierten mindestens 30 Menschen, in schwarz gekleidet, leise, nur mit ihrer Anwesenheit, gegen das Sterben auf Hoher See. Begleitet wurde der Menschencorso von der Polizei und den Carabinieri. Es gab keinerlei Zwischenfälle, die Demonstration verlief durchgängig friedlich.

18 535 Tote in 14 Jahren

Getrauert wurde aber nicht ausschließlich um die Opfer des Unglücks vor Lampione. Nein. Es ging um alle Opfer der europäischen Grenzpolitik. Um die 18 535 Toten, die die illegale Überquerung des Mittelmeeres von Flüchtlingen seit 1998 gefordert hat (laut Angaben von fortresseurope.blogspot.com). Alleine im Jahr 2011 mussten demnach 2 352 Menschen sterben. Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich wesentlich höher. In diesem Jahr (2012) starben bereits 464 Migranten, irgendwo draußen auf dem Mittelmeer. Menschen, die vor Hunger, Naturkatastrophen, Dürre, politischer Verfolgung, religiösen Ritualen, Elend und Not fliehen. Sie riskieren eher auf dem Meer zu sterben, als in ihrem Heimatland zu bleiben. Dabei möchte niemand freiwillig sein Land verlassen. Die Menschen wissen, was sie an Italiens, Spaniens, Maltas und Griechenlands Grenzen erwartet – an Europas Außengrenzen: Die Auffanglager. Die Asylheime und im schlimmsten Fall die Abschiebungshaft. Trotzdem kommen sie nach Europa und hoffen darauf Papiere zu bekommen, um sich ein neues Leben aufzubauen. Würde man ihnen eine legale Einreise ermöglichen, dann müssten nicht so viele Menschen sterben. 

Mehr dazu:

TG La Sicilia (Video)
TG3 G (Video)
La Repubblica Palermo (Fotostrecke)


Bilder einer Demonstration

Judith Gleitze von borderline-europe e.V. im Interview
Imed Kamoun im Interview




















Auftakt im Hafen von Palermo 






2011: 2352* Tote. Seit 1998: 18 535* Tote (*Dunkelziffer unbekannt)
Abschlusskundgebung vor dem Teatro Politeama