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Donnerstag, 2. August 2012

Lampedusa wieder ein Ziel für Flüchtlinge?


Lampedusa/Palermo
Nach langer Zeit kommen plötzlich wieder Flüchtlingsboote in Lampedusa an. Am 28. Und 29.7. erreichen insgesamt 3 Boote die Insel, eines fährt sogar bis fast an den Strand.
41 Männer aus Tunesien, Marokko und Algerien werden in das am 3.7. wieder eröffnete Auffanglager Contrada Imbriacola gebacht. Ein Widerspruch in sich – Lampedusa gilt immer noch als nicht sicherer Hafen, das Zentrum für die Erstankünfte wurde jedoch wieder eröffnet.
Dazu auch Damiano Sferlazzo seit knapp drei Monaten stellvertretender Bürgermeister auf Lampedusa in einem Interview vom 27.7.2012 (http://siciliamigranti.blogspot.it/2012/07/intervista-damiano-sferlazzo.html, in Kürze auch auf deutsch). Zu den Flüchtlingen konnten wir keinen Kontakt herstellen, da das Lager nicht zugänglich ist. Der Direktor, der das Lager für die Kooperativen Sisifo/Bluecoop auch schon zuvor im Namen der „Lampedusa Accoglienza“ leitet, spricht nur vor dem Tor mit uns, für drinnen bräuche man eine Genehmigung des Innenministeriums. 40 der Flüchtlinge werden noch am selben Tag mit der Fähre nach Sizilien gebracht, ein Mann mit gesundheitlichen Problemen verbleibt und soll dann mit den nachfolgenden Angekommenen verlegt werden.

Am Abend erreicht ein weiteres Boot mit 19 Tunesiern die Insel. Am darauffolgenden Sonntag kommt dann ein Boot mit ca. 75 Somaliern und Eritreern an. Gerettet von Küstenwache werden auch sie in das Lager gebracht. Unter ihnen ca. 24 Frauen, alle in verhältnismäßig gutem Gesundheistzustand. Es ist uns unmöglich, vor Ort an Informationen zu gelangen, da die Flüchtlinge an der sicheren Mole, die für Außenstehende gesperrt ist, an Land gebracht und dann nach und nach abtransportiert werden. Als Kollegen Fotos machen werden sofort die Fotoapparate kontrolliert, die anwesenden Carabiniere entschuldigen sich, sie seien hier in Zivil, man dürfe sie nicht fotografieren. Inzwischen ist diese Mole zum Militärgelände ernannt worden – also jegliches Fotografieren etc. verboten. Man möchte keine Öffentlichkeit, die Touristen sollen nicht gestört werden. Ein österreichisches Filmteam, das kein Wort Italienisch versteht, wird von Lampedusanern angesprochen, doch bitte nicht wieder so viel Negativ-Werbung zu machen, ich übersetze es ihnen. Sie erwidern nur, sie machten weder positiv- noch Negativ-Werbung. Daraufhin fühlt sich ein weiterer Lampedusaner bemüßigt, genau unter der Filmkamera mit dem Wasserschlauch den Kai zu säubern.  
Inzwischen befinden sich also ca. 95 Flüchtlinge in dem für 300 Menschen fassenden, renovierten Lager. Am Montag, so hören wir, sollen die ersten mit der regulären Fähre nach Sizilien gebracht werden. 

Sonntag, 29.7.2012. Während wir gegen 20 Uhr den Sonnenuntergang an der Porta d’Europa, an der auch der Auftakt des Filmfestivals und der Abschluss von boats4people stattgefunden hat, anschauen, fällt uns ein italienisches Fischerboot mit einem Zollboot im Gefolge auf. Kurz darauf erkennt man, dass sich viele dunkelhäutige Menschen an Bord des Fischerbootes befinden. Wir eilen zum Hafen, dieses Mal legt es am direkt am Fähranleger an, so dass wir nach kurzer Diskussion mit der Polizei Zugang erhalten.
„Giovanni Vincenzo“ aus Mazara del Vallo, dem Hafen der größten Fischfanflotte in Sizilien, legt an, an Bord 94 Flüchtlinge aus verschiedenen schwarzafrikanischen Staaten, hauptsächlich Nigeria.
Die Küstenwache und die Carabinieri verweigern jegliche Aussage, aber der Kapitän der „Giovanni Vincenzo“, Pietro Vincenzo, berichtet uns gern, was passiert ist.
Die Küstenwache hatte ihn gegen 13.30 desselben Tages informiert, dass sich ein Boot in Seenot befinde und er sich dort hinbegeben solle. Er erreicht die angegebenen Koordinaten, ca. 55 Seemeilen südlich von Lampedusa,  und findet ein  hölzernes Flüchtlingsboot von ca. 20 Meter Länge mit 131 Menschen an Bord vor. Die See sei sehr rau gewesen, ca. 4-5 Windstärken, und das Boot drohte zu sinken. Inzwischen sei auch die Küstenwache angekommen und man habe gemeinsam versucht, die Flüchtlinge an Bord zu nehmen. „Die Küstenwache hat keine geeigneten Boote und nicht die Erfahrung für solche Operationen, wenn das Wetter schlecht ist. Sie rufen häufig uns Mazaresen. Ihr eigenes Boot war genau so lang wie das der Flüchtlinge. Also haben wir die meisten an Bord genommen. Das war nicht einfach, denn die Wellen waren ziemlich hoch.“ Dennoch gelingt ihnen die Rettung der 106 Männer, 24 Frauen und des Kindes. Gemeinsam schirmen sie das Flüchtlingsboot gegen die Wellen ab und übernehmen 94 Personen.
Sie seien am Vortag gegen morgen in Libyen losgefahren, haben die Flüchtlinge berichtet. Die Meisten seien wohl aus Nigeria, aber auch aus Togo und Benin sowie anderen Staaten, berichtet Vincenzo. Gegen 20 Uhr erreichen sie den Hafen von Lampedusa, das Boot der Küstenwache mit den restlichen 37 Personen sehen wir nicht, vielleicht ist es früher angekommen. Die Flüchtlinge sind in sehr gemischtem gesundheitlichen Zustand. Während es den Frauen anscheinend recht gut geht und das Kind uns fröhlich anlacht, geht es einigen der Männer sehr schlecht, sie wälzen sich mit Schmerzen auf dem Boden, einige können nicht laufen. Mehrmals muss der Krankenwagen hin und herfahren, doch auf Lampedusa gibt es kein Krankenhaus, nur ein so genanntes Poliambulatorium, sollte es sich um schwerwiegendere Fälle handeln, müssen diese ausgeflogen werden.
Die Flüchtlinge werden nach und nach ins Lager gebracht. Vincenzo berichtet, dass er dieses Jahr schon einmal retten musste, 19 Personen am 19. März diesen Jahres. Auch vor Lampedusa.
Das Flüchtlingsboot hat die Küstenwache draußen auf See gelassen. Vincenzo erbost das, denn in Kürze wird es sinken und wieder die Netze der Schleppnetzfischer kaputt machen. „Sie lassen sie einfach draußen, wenn die Rettung nicht direkt vor Lampedusa erfolgt. Und wir haben dann den Schaden an den Netzen.“ Er habe bisher keine großen Probleme bei Rettungen gehabt, wie die meisten Mazaresen. Es sei nur nicht immer einfach, den Behörden klarzumachen, dass für die Fischer Zeit Geld ist, doch das sei den Behörden oft egal und man lasse sie lange warten, bis alle Formalitäten erledigt seien. Das Boot hat Lampedusa noch am gleichen Abend verlassen, um die Fang fortzusetzen.
Diese Ankunft ist die erste seit vielen Monaten, bei der nicht nur Maghrebiner aus Tunesien oder Eritreer/Somalier aus Libyen Lampedusa erreichen. Dieses Mal konnten Angehörige vieler verschiedener Nationalitäten Libyen verlassen. Das deutet auf eine Veränderung der Lage vor Ort vor. Bisher hieß es, dass der UNCHR in Libyen sich vor allem um Flüchtlinge vom Horn von Afrika kümmere und diese nicht in Migranten-Lager eingesperrt werden wie Angehörige anderer Nationalitäten. Es muss also nun abgewartet werden, ob sich weitere Migranten auf den Weg machen können. 

Bei der gestrigen Rückfahrt  von Lampedusa nach Sizilien waren auch ca. 20 der angekommenen Flüchtlinge der letzten Tage auf der Fähre. Sie wurden in einen extra-Salon geführt und dort von 3,4 Carabinieri bewacht. Mehr als ein Zuwinken war uns nicht möglich. Bei der Einschiffung war jedoch ein Mitarbeiter von Save the Children an der Mole, was darauf schließen lässt, dass sich Minderjährige unter den Flüchtlingen befanden, einige sahen auch sehr jung aus. Bisher konnten wir noch nicht in Erfahrung bringen, in welche Zentren man sie gebracht hat. Es waren auch einige Männer unter ihnen, die eher ein nordafrikanisches Aussehen hatten (also von den Ankünften am Samstag. Es ist damit zu rechnen, dass diese sofort in die Abschiebungshaft nach Trapani (Sizilien) gebracht werden.
 

Judith Gleitze, Borderline Sicilia/borderline-europe