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Mittwoch, 2. November 2011

Die Insel, die es nicht gibt

Wir finden die Insel ganz ruhig vor, aber es herrscht eine beunruhigende Stille. Auf der einen Seite ist es Herbst geworden – es sind nur noch äußerst wenige Touristen am verlängerten Allerheiligen-Feiertag-Wochenende zum 1.November gekommen - , auf der anderen Seite sind die Spuren, welche die schlechte Sommersaison hinterlassen hat, offensichtlich. Die Insel scheint nicht nur ruhig, sondern verlassen zu sein: überall stehen Häuser, Geschäfte und Restaurants zum Verkauf.
Die Bewohner von Lampedusa bestätigen, dass sich diese Situation im letzten Monat auch wegen des Aufstands des Tunesier/Maghrebiner und des Brandes im Zentrum des Hauptauffanglagers im Imbriacola-Tal verschlechtert hat. Einige äußern Bedenken über den Umgang des Staates mit den Vorfällen. Auch die Schließungen der Lokale über den Sommer und die massiven Kontrollen durch die Polizeigewalt scheinen für viele Bewohner von Lampedusa Machtspiele zwischen verschiedenen politischen und institutionellen Kräften zu sein, deren Spielfiguren eben diese Inselbewohner selbst waren. Zur gleichen Zeit reagiert man sich damit ab, die Medien dafür zu beschuldigen, den Einbruch in der Touristensaison verursacht zu haben. „Jetzt ist alles ruhig, aber wenn die Journalisten noch einmal zurückkommen, könnte ich sie umbringen. Es ist alles ihre Schuld. Sie waren bestrebt, nur die Bilder zu zeigen und zu verkaufen, die Tod und Verzweiflung/Hoffnungslosigkeit zeigen.“ Das bestätigt ein anderer Herr: „Sie fragten mich, wo sie hingehen könnten, um Tote zu fotografieren. Meine Freunde aus Norditalien haben sich aufgrund der veröffentlichten Bilder entschieden, nicht mehr her zu kommen. Aber wir haben nicht einen einzigen Migranten auf den Straßen gesehen, außer während des Vorfalls im Frühling und dem Aufstand im vergangenen September im Hafen.“ Der Septemberaufstand im Hafen von Lampedusa hat starke Spuren hinterlassen. Einige Bewohner von Lampedusa, die stolz darauf sind, gastfreundlich gewesen zu sein und den angekommenen Migranten geholfen zu haben, geben zu, Angst gehabt und Momente größter Anspannung durchlebt zu haben, als einige Maghrebiner damit gedroht hatten, Gasflaschen in der Nähe von Benzintanks explodieren zu lassen. Wir verstehen die Gründe des Aufstandes, aber verdammen nicht die gewalttätigen Reaktionen einiger Mitbürger, welche nicht nur die Maghrebiner, sondern auch diejenigen angegriffen haben, die versucht haben, zu vermitteln. (Sicherlich ist nicht zu verstehen, wie sich alle diese Gasflaschen griffbereit in der Gegenwart der Polizeigewalt befunden haben können.) Die Situation in der Nähe der Zentren des Hauptauffanglagers in Imbriacola und der Ex Nato-Basis Loran ist surreal. Orte, die erst nicht zugänglich waren, sind jetzt verlassen. Das Zentrum ist geleert und geschlossen worden. Es gibt keine Spuren von laufenden Renovierungsarbeiten, auch wenn einige Bewohner von Lampedusa überzeugt davon sind, dass die Ausschiffungen von Libyen bald wieder aufgenommen werden. Berichte unserer Freunde von der sozialen Organisation Askavusa: die Arbeiten am Museum für Immigration schreiten voran und als antirassistisches Forum haben wir volle Bereitschaft zugesagt, das Projekt zu unterstützen. (http://www.mariotrave.com/projects/civilians/2011/10/16/askavusa-lampedusa/)
Roberta Priori e Judith Gleitze, Forum Antirazzista di Palermo