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Mittwoch, 10. August 2011

Wie geht es eigentlich den Lampedusanern?

Schön zu merken, dass der Tourismus auf Lampedusa wenigsten im August zurückgekehrt ist: ausgebuchte Flüge, mit Handtüchern bedeckte Strände und eine zum Bummeln einladende sehr belebte Hauptstraße, die via Roma. Alles scheint nun endlich wieder wie zuvor zu sein. Tatsächlich aber, auch für erstmalige Besucher, ist schnell klar, dass irgendetwas neu ist.
Die Flüchtlingswelle? Nein, „die Flüchtlinge sind immer hierhergekommen“, erzählt uns ein Inselbewohner. Aber was ist es dann? „Es ist der Staat“ antworten sie uns. „Wenn man wirklich Hilfe braucht, dann gibt es keine, wenn man keine Hilfe braucht, dann gibt es zu viel“. Stirnrunzelnd versuchen wir das zu verstehen. Ganz kurz fragen wir uns sogar, ob die Lampedusaner schwierig oder etwa undankbar sind? Denn schließlich haben sie sich vor kurzem noch im Stich gelassen gefühlt und mehr Polizeikräfte gefordert. Und jetzt sind es zu viele Polizeikräfte? Ein scheinbarer Wiederspruch, der sicher erst bei Betrachtung weiterer Aspekte verständlich wird: Tourismus, Wirtschaftskrise, Image. Die Begegnung mit einem Inselbewohner hilft uns etwas mehr zu verstehen:
Wir betreten einen Autoverleih und fragen nach einem Motorino. Der Besitzer, ein Mann im Alter von 30 Jahren, antwortet mit niedergeschlagenem Gesichtsausdruck: “ Ich habe das letzte Motorino weggegeben und die beiden hier haben sie mir eben für 60Tage beschlagnahmt. “ Dann erzählt er: “Die Polizei macht hier mit 5 Mann Kontrollen an den Kreuzungen und sie halten die Touristen ohne Helm an. Sie haben nicht kapiert, dass ich im ganzen Jahr nur in diesem Monat Einnahmen habe. Und das  ist die Hilfe, die sie uns geben. Aber wo waren sie im Februar? Wo waren sie, als Tausende Flüchtlinge auf den Straßen waren? Als wir (wir Lampedusaner) hier alleine waren, haben wir alles gegeben. Decken, Jacken und wir haben die Flüchtlinge in unseren Lastwagen und in unseren Lagerräumen schlafen gelassen. Der Staat hat uns im Stich gelassen. Stellt Euch vor, ich konnte nicht einmal mehr die Haustür öffnen, ohne 50 Personen vorzufinden, die etwas von mir wollten. Ich habe dann sogar eine Pistole aus Plastik bei mir getragen, nur um zu zeigen, dass ich bewaffnet bin. Wir haben Decken gegeben und die Flüchtlinge haben das Haus della fraternità in Brand gesetzt. Das waren Leute, die direkt aus der Haft in Tunesien zu uns gekommen sind.“ Abschließend fragen wir, ob die Situation jetzt etwas besser ist:  „Nein, kein bisschen. Die Politiker machen nichts, weder die Linke Partei, noch die Mitte oder die Rechte. Es wird auch immer so bleiben, auch der nächste Sommer wird so sein… .“ Mit vielen Eindrücken und Gedanken im Kopf verlassen wir das Geschäft. Wir nehmen unsere Fahrräder und während wir uns fragen, wie stark die Militarisierung auf das Inseldorf Lampedusa wirken muss, geben wir zwei großen Polizeiwagen die Vorfahrt… In den nächsten beiden Wochen werden wir versuchen, die Einstellung der Lampedusaner gegenüber der Ereignisse in den letzten Monaten – durch möglichst viele Stimmen der lokalen Bevölkerung – zu vertiefen. Darüber hinaus werden wir regelmäßig ein Update der Flüchtlingssituation machen.  In den letzten beiden Tagen sind keine weiteren Boote angekommen. Hingegen scheint sich die Arbeit einiger Organisationen (Asylverfahrensbratung) in den Aufnahmezentren erschwert zu haben – der Zugang zu den Zentren wird wohl immer strenger organisiert (hierzu hoffentlich mehr in den nächsten Tagen).
 

Julika Brandi & Giulio Montemauro, Forum Antirazzista di Palermo