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Freitag, 19. August 2011

In Milazzo sogar Gebühr auf die minderjährigen Immigranten

Von Antonio Mazzeo
Zwei Euro fünfzig am Tag pro Person. So viel bringt der Kommune Milazzo (Prov. Messina) die Beteiligung am „Wettbewerb der Solidarität“, der vom Sozialministerium ausgerufen wurde, um die unbegleiteten minderjährigen Ausländer aufzunehmen, die aus den Aufnahmezentren für Migranten von Lampedusa kommen. Eine regelrechte „Aufenthaltsgebühr“ oder besser „Aufnahmegebühr“, das Doppelte, was von denen verlangt wird, die die renommierten Liparischen Inseln oder Taormina besichtigen wollen.
Seit dem 12. Juli 2011 hat das kleine sizilianische Städtchen etwa zwanzig Jugendliche aufgenommen, die wunderbarerweise dem Hunger und den Kriegen entronnen sind, welche die afrikanischen Länder unterhalb der Sahara zerreißen. Im Gegenzug  erhält es Geld und bekommt sogar noch zweifelhafte gelegentliche Arbeitsleistungen. „Wir gehören zu den wenigen Kommunen Siziliens, die sich bereit erklärt haben, sich am Evakuierungsplan der Insel Lampedusa zu beteiligen, den die Regierung vorbereitet hat, in Zusammenarbeit mit dem Zivilschutz, so bringen wir ein Bündnis mit dem Dritten Sektor voran,“ erklärt enthusiastisch der Bürgermeister von Milazzo, Carmelo Pino, der einer Verwaltung vorsteht, welche Fini-Anhänger und eine radikale Linke vereint, die durchgehen als Ex-„Forzisti“ und Autonome der ersten und letzten Stunde, Zentrums-Leute und PD. Eine Disponibilität, welche die soziale Vereinigung Utopia teuer zu stehen kommt, der die minderjährigen Immigranten anvertraut sind. Die Vereinigung hat nämlich, nachdem sie drei Wochen lang die Räume des Instituts „Königin Margherita“ genutzt hat, „um eine nützlichere und gewinnbringendere Aufnahme aus psycho-pädagogischer Sicht zu gewährleisten“, darum gebeten, ein Gebäude in kommunalem Eigentum benutzen zu können, das bereits als Amtssitz des Stadtrats für Kultur genutzt wird. Die Zustimmung erfolgte in Rekordzeit: Bürger-meister und Stadtrat haben in ihrer Sitzung vom 29. Juli die „vorübergehende Verpachtung“ zweier Wohneinheiten autorisiert mit einer überdachten Fläche von 380, 96 qm, zuzüglich 198 qm Hof und 36,98 qm Balkon und Terrasse. Zur kostenfreien Nutzung angesichts der Relevanz des Projektes? Nicht mal im Traum. Utopia, die 67 € pro Tag und Minderjährigen erhält, muss der Kommune eine Monatsmiete von 1.501,96 € zahlen, im Voraus. Multipliziert mit den 5 Monaten der Vertragsdauer (vom 1. August bis 31. Dezember 2011), wird die „Aufnahme“ der städtischen Kasse 7.502 € einbringen. Geld, um das die Aufwendungen für die Migranten gekürzt werden müssen (Nahrungsmittel, Hygiene-Ausstattungen, Bildung, etc.). Zweieinhalb Euro weniger pro Tag und Minderjährigen im Namen der „Solidarität verkehrtherum“, nicht derjenigen im Namen der moralischen Pflicht der kommunalen Einrichtungen, die Aufnahme der Flüchtlinge mit zu finanzieren, sondern derjenigen der „aufgenommenen“ Migranten, dazu beizutragen, finanzielle Defizite zu reduzieren. Antonio Isgrò, Stadtrat der Linken für Ökologie und Freiheit, stellt fest: „Ich bin der Meinung, dass es des Geistes der Aufnahmebereitschaft der Milazzesen nicht würdig ist, dass sich die Kommune dafür bezahlen  lässt, dass sie die Jugendlichen aufnimmt, statt ihnen die für ihren Aufenthalt notwendigen Strukturen kostenfrei zur Verfügung zu stellen“. „Aufgrund der Tatsache, dass der kürzlich beschlossene Plan der ökonomischen Sanierung verhindert, dass die eigenen Räume gratis zur Nutzung überlassen werden, werden wir Zeugen der ungehörigen Behandlung, welche man der Vereinigung Utopia angedeihen lässt, die sich – obwohl sie die schwierige und Anstrengungen erfordernde Aufgabe übernommen hat, für den Aufenthalt der jungen Afrikaner zu sorgen, auch noch gezwungen sieht, eine Wucher-Miete an die Kommune zu bezahlen. Ich hatte bei der Diskussion des Beschlusses einen Verbesserungsantrag eingebracht, der vorsah, die Räume zu sozialen Zwecken gratis zu überlassen. Die negativen Haltungen der Departements gehören zu den Gründen, aus denen ich mich schließlich nicht an der Abstimmung über den Plan beteiligt habe. Das soziale Netz von Milazzo kann es sich nicht erlauben, sich in schädlichen Restriktionen einzumauern, die gegen den gesunden Menschenverstand  verstoßen.“ Zu einer Überhitzung der Debatte der Verwaltungsleute um die fehlgeschlagene Solidarität für die Immigranten führt schließlich die Ankündigung „freiwilliger“ Dienste der jungen Gäste für den Gemeindeverband. Öl ins Feuer goss schließlich eine Verlautbarung, die am 2. August auf der Website der Kommune Milazzo erschien. “Großes Gebiet im Innern des großen Friedhofs urbar gemacht“, so der Titel. „Die außerplanmäßige Säuberung“, fährt die Note fort, „ wurde jedoch von den kommunalen Gärtnern und den 27 Jugendlichen durchgeführt (7 sind Gäste in S. Lucia del Mela), die aus Nordafrika kommen und sich seit einigen Wochen in der Stadt am Kap (Milazzo, d.Übers.) aufhalten. Mit Harken, Schaufeln und anderen Instrumenten zur Unkraut-Beseitigung ausgerüstet, haben sie mit großem Einsatz und großem Enthusiasmus gearbeitet, trotz der großen Hitze, und haben so dieses Gebiet wieder zu einer Zierde gemacht, das nun in diesem Zustand gehalten werden muss.“ Schließlich der Kommentar des Umwelt-Stadtrats, Maurizio Capone, „Promotor der Initiative“: „Es handelt sich um einen Moment der Öffnung unserer Stadt für diese Jugendlichen mit dem Ziel, ihre Integration zu befördern, die von den Kommunen gefordert wird, die sie aufnehmen. Es handelt sich überwiegend um Jugendliche, Waisen und in schwierigen ökonomischen Situationen, doch mit so viel Willen, etwas für die Kommune zu tun, die sie aufnimmt, und einen Beruf zu erlernen. Jetzt wollen wir weitere Initiativen unternehmen – immer gebunden an eine Verbesserung der urbanen Ausstattung und eine Zierde für Milazzo. Die Kultivierung des Friedhofs halte ich für eine Notwendigkeit, der seit Jahren nicht Rechnung getragen wurde.“ Die minderjährigen unbegleiteten Fremden wurden dann noch benutzt für das Säubern von Beeten und Treppen in der Stadt. „Es wäre vergnüglich, wenn es nicht so dramatisch traurig wäre, einmal nachzuforschen, mit wem sich unsere jugendlichen Gäste dabei denn integriert haben. Dennoch zeigen die Fakten die Leichtfertigkeit, die Oberflächlichkeit und den absoluten Mangel an Sensibilität bei unserem Ersten Bürger und seinen Brüdern,“ kommentierte der Advokat Giovanni Formica,  Präsident von DeM – Demokraten und Milazzesen – Kandidat von Mitte-links für das Bürgermeister-Amt. „Wir sind in der Überzeugung aufgewachsen, dass die Integration ein Prozess sei, der sich nährt von Austausch und Konfrontation zwischen den Kulturen, die das Wissen anreichern und zur Achtung des Anderen führen – und stattdessen erfahren wir heute, dass man sie auf einem Friedhof beim Laut von Harken und Spaten erreicht,“ fügt Formica hinzu. „Unsere Gruppe im Stadtrat hat einen Zugang zu den Akten der Kommune formalisiert, um zu verifizieren, ob unter den Aktivitäten auf Aufnahme auch solche vorgesehen sind wie die, zu denen die Minderjährigen angestellt wurden, und ob in der Konsequenz auch alle Schutzmaßnahmen sichergestellt wurden, auf die ein Anrecht hat, wer eine Arbeit für ein öffentliche Verwaltung durchführt.“
Die soziale Vereinigung Utopia weist alle Beschuldigungen zurück und verteidigt mit Kraft ihre Handlungsweise. „Wir betreiben eine Brücken-Struktur, also ein Zentrum erster Aufnahme, wo die Minderjährigen, die aus Lampedusa kommen, nur die kurze Zeit verbringen, die notwendig ist, um dauerhafte Unterkünfte zu finden, „ erklärt Francesco Giunta, Präsident von Utopia. „Die Schaffung von Brücken-Strukturen für den temporären Aufenthalt von unbegleiteten minderjährigen Fremden ist eine Folge der Verfügungen des Präsidenten des Ministerrates Nr. 3933 vom 13. April 2011 und Nr. 3028 vom 20. Juni und in der Konsequenz des enormen Zuflusses von Migranten (mehr als 2000 Minderjährige auf Sizilien). Unsere Gäste sind zwischen 14 und 17 Jahren alt und kommen zum großen Teil aus Mali und Ghana, aber auch aus dem Tschad, aus  Burkina Faso und aus Benin, dem Senegal und der Elfenbeinküste.“Um diese Erfahrung herum“ – so fügt Giunta hinzu – „wurde ein Netz der Solidarität aktiviert, zu dem einige Gemeinden und lokale Vereinigungen gehören, die Evangelische Kirche, die Medizinischen Dienste auf der Basis der ASL, des Agesci,  des Sport-Zentrums Italien, außerdem haben Zig junge und weniger junge Menschen angeboten zu helfen, sie haben Kleidungsstücke und Lebensmittel heran gebracht.“ Der Präsident von Utopia erklärt, dass die Gäste ihre Tage damit verbringen, Italienisch zu lernen, ans Meer zu gehen, Fußball zu spielen, und dass sie an Konzerten und Aufführungen teilnehmen. „Unsere Jugendlichen leisten keinerlei Arbeit im strengen Sinne, denn die, die sie gemeinsam mit den kommunalen Gärtnern ausgeführt haben, sind für uns Aktivitäten der Arbeitserziehung mit  ausschließlich berufsbildenden Zielen. Es sind Erfahrungen, die ich „aktive Bürgerschaft“ nennen würde, in der Form eines reinen Volontariates. Warum will man nicht verstehen, dass unsere Freunde mit der dunklen Haut einen starken Wunsch haben, sich als Protagonisten von Aktivitäten zu fühlen, die sie teilweise schon kennen und die zu anderen Teilen dazu beitragen können, ihren persönlichen Erfahrungsschatz zu erweitern. Beruhigen wir uns doch schließlich, was die administrativen und die versicherungsmäßigen Aspekte betrifft. Die Aufnahme in einer Brücken-Struktur erfolgt in enger Zusammenarbeit mit dem Arbeits- und Sozialministerium und wird ständig von der humanitären Organisation Save the Children beobachtet.“ Die öffentliche Meinung zeigt eine Wertschätzung der „freiwilligen“ Einsätze der jugendlichen Afrikaner. Schade aber, dass von den lokalen Verwaltungsleuten keine entsprechenden „erzieherischen und berufsbildenden“ Maßnahmen für die Gleichaltrigen „heller Haut“ auf den Weg gebracht wurden, die aus Milazzo stammen. Hautfarbe und Staatsangehörigkeit machen sicherlich einen Unterschied aus.

(aus dem Italienischen von Alexandra Harloff)