Gemessen an der Mehrheit der jungen Leute, die ihr Land auf der Suche nach einem Abenteuer verlassen, sind es wenige, sehr wenige, aber es gibt auch sie. Ich spreche von den Tunesiern, die politisches Asyl in Italien beantragen. Bewiesenermaßen sind es nicht mehr die von der Diktatur Verfolgten, denn zum Glück ist Ben Alis Regime, das jahrelang von Italien unterstützt wurde, gefallen.
Es sind hingegen einige Ex-Polizisten, Leute die mit der RCD (die ehemalige Partei des Diktators) zusammengearbeitet haben oder in anderen Fällen Aktivisten, die die Revolution mitgemacht haben und sich jetzt mit den mächtigen Mafiosi konfrontiert sehen, welche auf lokalem Niveau mehr Angst verbreiten als die Polizei des Staates. Theoretisch haben sie das Recht, Asyl zu beantragen und in Aufnahmezentren aufgenommen zu werden, wo eine spezielle Kommission den Wahrheitsgehalt ihrer Geschichten überprüft. Praktisch enden aber alle in Identifikations- und Abschiebungszentren, um anschließend abgeschoben zu werden. Um das Recht zu brechen und zu umgehen, genügt es, wenn das Migrationsbüro der Quästur von Agrigento, unter deren Zuständigkeit Lampedusa fällt, die Namensliste derer verschwinden lässt, die Asyl beantragt haben. Ein richtiger und echter Betrug, von dem der UNCHR unterrichtet ist, sich aber entschieden hat, sich nicht dazu zu verhalten, wie wir persönlich in Trapani erleben konnten. Gehen wir einen Schritt zurück. 20.Juni 2011. Internationaler Flüchtlingstag. In Rom feiert der UNHCR den Tag mit einer Pressekonferenz von Antonio Guterres, nachdem einen Tag vorher die Schauspielerin Angelina Jolie das Aufnahmelager in Lampedusa besucht hatte. An der Grenze hingegen ist es ein intensiver, anstrengender Arbeitstag wie alle anderen auch. Und Chinisia (Trapani) macht keine Ausnahme. Vor dem neuen trapanesischen Identifikations- und Abschiebungszentrum steht die Sonne zur Tageshälfte bereits hoch und man schwitzt aufgrund der Hitze. Das Prozedere der Bescheinigungen der Festnahmen durch den Richter findet langsam in einem Container auf dem Platz vor der Haftanstalt statt. Der übliche Friedensrichter, ein blutiger Anfänger, zwei Pflichtverteidiger und ein dritter Anwalt, Fabio Giacalone, der von den Gefangenen beauftragt wurde. Der Richter soll sich über die Rechtmäßigkeit der Haft von ca. 20 Tunesiern aussprechen, die am Freitag den 17.Juni im Lager angekommen sind. Noch weiß er nicht, dass alle Asyl an der Grenze beantragt haben, als sie vor schon ungefähr einem Monat mit dem Boot in Lampedusa ankamen. Normalerweise erstellt die Quästur von Agrigento (unter deren Zuständigkeit das Zentrum in Lampedusa fällt) in diesen Fällen eine Liste von denjenigen, die geäußert haben, Asyl beantragen zu wollen, und auf Grundlage dieser Liste werden dann die Überführungen in Aufnahmezentrum durchgeführt. Dieses Mal allerdings hat jemand die Liste verschwinden lassen. Und auf den Zurückschiebungsverfügungen, die den Gefangenen an der Grenze ausgehändigt wurden, ist keine Spur der Äußerungen über die Wünsche zu Anträgen auf internationalen Schutz zu finden. Die Gefangenen insistieren, dass sie einen Antrag auf Lampedusa stellen wollten. Aber ohne einen Beweis kann der Richter die Überstellung in ein Aufnahmezentrum nicht anordnen, so wie es das Gesetz vorsieht und wie es seit Monaten für die ganzen afrikanischen Flüchtlinge aus Libyen durchgeführt wird. Während die Anhörungen der Haftprüfungen andauern, kommen ein Mitarbeiter vom UNHCR sowie ein Übersetzer im Lager an. Wir denken alle, sie seien gekommen, um den Fall der tunesischen Asylsuchenden zu klären, doch... Stattdessen informieren sie uns darüber, dass sie nichts über die auf Lampedusa gestellten Asylanträge wissen, dass die Gefangenen die Anträge in Chinisia stellen und die kommenden Monate in Gefangenschaft verbringen müssen, während sie auf die Antwort der Kommission für die Anerkennung des Flüchtlingsstatus warten. Ungläubig rufe ich einen Mitarbeiter des UNHCR an, der auf Lampedusa arbeitet. Ich frage ihn nach der Liste, er antwortet sie liege auf seinem Schreibtisch und dort stünden die Namen derjenigen, die Asyl beantragt haben. Aber als ich ihn bitte, die Liste per Fax an den Anwalt zu senden, um die Tunesier, die ein Recht auf Überstellung in ein Aufnahmezentrum haben, aus der Gefangenschaft zu befreien, verändert sich der Ton des Telefonats. Ich solle mich an die Verantwortlichen wenden. Eine zweite Runde von Telefonaten und die Antwort ist wieder negativ. Der UNHCR kann die Liste nicht schicken, dies falle nicht in sein Aufgabengebiet, Anweisung von Oben. Es scheint so, als ob die Mitarbeiter des UNCHR an der Grenze alles Menschenmögliche tun, hinter den römischen Schreibtischen jedoch jemand entschieden hat, sich nicht gegen die italienische Regierung aufzulehnen, nach deren Ansicht alle tunesischen Flüchtlinge abgeschoben werden sollen. Ohne wenn und aber. Dennoch war es gerade der UNCHR, der 2009 sich gegen die Abschiebungen nach Libyen eingesetzt hat, bis Ghaddafi sie irgendwann aus dem Land gejagt hat. Aber etwas hat sich in den oberen Ebenen der Organisation in Rom verändert? Sollte es keine gerechtfertigte Besorgnis erregen, wenn 20 politische Asylsuchende erst 40 Tage vom italienischen Staat auf Lampedusa gefangen gehalten und dann in ein Abschiebegefängnis überstellt werden, nachdem die Quästur ihre Asylgesuche hat verschwinden lassen? Jemand wird Einwand dagegen erheben, dass die Flüchtlinge ihre Asylgesuche noch einmal stellen werden können. Und wenn, dann in einem Gefängnis anstatt in einem offenen Aufnahmezentrum. Und vor allem gegen die Vorschriften des italienischen Rechts. Vielleicht ist Maroni nicht der Einzige, der in »Schwarz – Weiß – Denken« argumentiert. Die Schwarzen dorthin, die Weißen hierher. Für die Afrikaner die Asylanträge. Für die Araber die Abschiebungen. Auch wenn die Araber aus Libyen kommen. Ich denke an vier Homosexuelle (zwei Marokkaner, ein Tunesier, ein Libyer), die in einem Boot aus Tripolis ankamen und im Abschiebegefängnis in Chinisia eingesperrt wurden, obwohl sie nach dem Gesetz Recht auf einen humanitären Aufenthalt hätten. Ich denke an die 22 Ägypter, die am 6. Juni auch aus Tripolis in Lampedusa ankamen, dann aber am 17. Juni ins Abschiebegefängnis von Turin gebracht wurden, obwohl sie politisches Asyl in unserem Land beantragt hatten. Der UNHCR hatte nicht daran gedacht, sie aus dem Gefängnis zu holen. Aber ein Turiner Anwalt, Guido Savio, hat es getan. Ich hatte ihn persönlich auf den Fall aufmerksam gemacht, nachdem ich von einem Tunesier informiert worden war, der mit ihnen im Abschiebegefängnis saß. Er hatte mich über den Zustand eines der ägyptischen Männer informiert, einem ca. 60jähriger Mann, der an Diabetes und Bluthochdruck erkrankt ist und im Gefängnis eingesperrt war, als sei er ein Krimineller. Der Friedensrichter hat die Argumente der Verteidigung angenommen und die Freilassung Aller angeordnet, alles auf der Grundlage des vorher auf Lampedusa gestellten Asylantrags. Laut des Migrationsrechts nichts Subversives. Aber vielleicht hat der UNHCR in Rom entschieden, anderen Logiken zu folgen, auch wenn die Regierung augenscheinlich die Rechte der Menschen verletzt, für deren Verteidigung der UNHCR bezahlt wird. Es sei denn, auch der UNHCR hat pauschal entschieden - ebenso wie das Innenministerium –, dass die Tunesier Märchen erzählen und es sich nicht lohne, sie zu verteidigen. Aber dann versteht man nicht, warum sie in den vergangenen Jahren zehntausende der auf Lampedusa gestrandeten Personen mit ihren Geschichten vertreten haben, die nur dazu dienten, Papiere zu erhalten. Nur die Hälfte derer, die Schutz in Italien beantragen, bekommt ihn. Und die anderen? Ob die Geschichten wahr oder erfunden sind, entscheidet die Kommission für die Anerkennung des Flüchtlingsstatus. Hier handelt es sich darum, den Zugang zum Verfahren zu garantieren, ohne die Arbeit des UNHCR mindern zu wollen, die er mit der großen Anzahl der aus Libyen ankommenden Flüchtlinge leistet. Aber für diesen besonderen historischen Moment ist es unannehmbar, dass die Polizei bloß auf der einfachen Grundlage der Nationalität siebt und entscheidet, wer Asyl beantragen darf und wer nicht. Heute sind es die Tunesier, morgen könnten es die Libyer sein, die Somalier oder die Eritreer. Welchen Unterschied macht es? Wenn der UNHCR heute das Prinzip der Diskriminierung akzeptiert, was sagt er morgen?
Gabriele del Grande, Fortress Europe
aus dem Italienischen von Katherine Jürgens