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Samstag, 2. Juli 2011

„Ärzte ohne Grenzen“ prangert an: Sieben Selbstmordversuche in Mineo

„Ärzte ohne Grenzen“ prangert an: Sieben Selbstmordversuche in der Cara di Mineo (C.A.R.A. = Sammellager für Asylsuchende, hier: in Mineo, Sizilien), Jahre des Wartens auf Asyl.Nach einem Bericht der „Ärzte ohne Grenzen“ („Von der Hölle in die Vorhölle“; deutscher Titel: „Vom Regen in die Traufe“), hier die Stimme der Flüchtlinge, die in einem Lager gefangen gehalten werden, weil die Asyl-Entscheidungs-Kommission so langsam arbeitet.
„Seit wir in Mineo angekommen sind, mache ich nichts anderes, als im Kreis zu laufen, mir kommt es vor, als wäre ich im Knast.“ Zuerst gefangen in Libyen, jetzt in der ungewissen Lage einer kafkaesken Situation. Sieben haben schon einen  Selbstmord versucht.
Depressionen, Einsamkeit, Isolierung und sieben Personen, die schon einen Selbstmord versucht haben, denn “nachdem sie in Libyen interniert waren, werden die ausländischen Staatsangehörigen  jetzt in Aufnahmecamps und –lagern gefangen gehalten, wo sie prekäre Bedingungen erleben, ohne Perspektive für die Zukunft“. Es ist ein Bild in düsteren Farben, das von einer unabhängigen Stimme aus dem Inneren der „Cara di Mineo“ in der Provinz Catania zu uns gelangt. Es handelt sich um die NGO „Ärzte ohne Grenzen“, die in dem Dossier „Von der Hölle in die Vorhölle“ die Stimmen der Immigranten gesammelt hat. „Ärzte ohne Grenzen“ ist mit einem Projekt zur psychischen Gesundheit in der „Residence degli Aranci“ („Wohnanlage der Orangen“) von Mineo präsent. Dieses Projekt hat eine Versuchszeit von zwei Monaten und besteht aus psycho-sozialen Aktivitäten, die sich an 350 von fast 2000 Gästen wenden, die das Mega-Auffanglager bevölkern, um Asyl zu beantragen. Der Bericht ist eine Art, dafür zu sorgen, dass die Zeugnisse der Flüchtlinge bei den Journalisten ankommen, die das Zentrum nicht betreten dürfen, weil das Innenministerium (Viminale) es verboten hat. „Ich bin am 2. Juli in Mineo angekommen. Die Situation ist nicht gut. Jeder Tag gleicht dem vorhergehenden – sagt Georges (Fantasiename), ein 29 jähriger Nigerianer –  ich würde zum Beispiel gerne Zeitungen lesen. Es gibt nichts, um sich zu beschäftigen. Ich kann nicht aus dem Lager raus. Wir können nur herumsitzen. Sie lassen uns an einem Ort sitzen, der uns keine Hilfe bedeutet.“ Mehrmals haben die Immigranten angeprangert, dass sie von der Welt draußen abgeschnitten sind. „Wir haben nur drei Minuten pro Woche, um mit unseren Familien zu telefonieren – erzählt Idrissa, 23 Jahre, aus dem Niger – Die Kommission befragt nur 2 Personen am Tag. Wir wissen nicht, wann und wie wir diesen Ort verlassen können. Wir sind wie Gefangene, weil es hier keinen Abtransport gibt, wir leiden, wir brauchen Hilfe.“ Die Geschichten der Asylsuchenden in Mineo sind durchgängig die von Menschen, die ihr Leben in Libyen hatten, vor dem Krieg. Sie waren Fahrer, Putzfrauen, haben in den Waschküchen gearbeitet. Einige, wie Patrick, 46 Jahre, Kongolese, lebten in Tripolis, nachdem sie schon einmal aus einem Krieg, dem in Nord-Kivu / Kongo, geflohen waren. Sie hatten sich wieder eine Existenz aufgebaut, aber dann kam dieser neue Konflikt und hat alles weggefegt. Aus ihren Erzählungen hört man nicht nur die Angst vor den Bombardements sondern auch vor den Aggressionen seitens der lokalen Bevölkerung, wie Raubüberfällen mit Messern und seitens der Miliz mit dem Versuch, sie zur Teilnahme am Krieg zu zwingen. „Dort drüben waren wir Gefangene der Soldaten, - sagt Akin, 34 Jahre, Nigerianer, - ich wurde mit anderen Personen an einen verschlossenen Ort gebracht. Sie wollten uns als Söldner benutzen.“ Abdoul ist abgehauen, weil er Angst hatte, durch die Hand eines Soldaten zu sterben. Er hat seine Frau und zwei Söhne in den Niger geschickt, aber er hat es nicht geschafft, wieder zu ihnen zu kommen. Bisher weiß er nicht, wo sie verblieben sind und die Sorge verzehrt ihn. „Seit ich in Mineo angekommen bin, mache ich nichts anderes als im Kreis zu gehen – sagt er, -  ich habe das Gefühl, im Knast zu sein. Seit zwei Monaten sagen sie uns, dass wir die Dokumente bald bekommen würden - aber es ist nichts passiert. Die Zeit vergeht, und ich weiß noch immer nicht, ob es meiner Familie gelungen ist, sich zu ernähren und ohne mich zu überleben.“ In Mineo riskiert man, Jahre darauf zu warten, nur um wieder rauszukommen, um den Ausgang des Asyl-Antrags-Verfahrens zu kennen. Bis jetzt hat die „Territorial-Kommission“ (=Abteilung des Innenministeriums) nur zwei Fälle pro Tag geprüft. Um 2000 Personen aufzuarbeiten, würden sie bei diesem Rhythmus ungefähr 3 Jahre brauchen. Darum gehen die Proteste der Flüchtlinge weiter. Mehrere Male haben sie die Autobahn Cantania – Gela blockiert, die nahe an der „Residence degli Aranci“ vorbeiführt. Der bis jetzt letzte Vorfall geht zurück auf den 20. Juni, den Tag des Flüchtlings, während sich die Aufmerksamkeit auf Angelina Jolie richtete, die auf Lampedusa angelandet war. „Redattore Sociale“ (=Journalisten-Agentur) hat bestätigt, dass an diesem Tag 10 Migranten mit Prellungen und leichten Traumata im Krankenhaus von Caltagirone angekommen sind. Man weiß nicht, was die Verletzungen hervorgerufen hat. Das Antirassismus-Netz Catania hat mutmaßliche Gewalt von Seiten der Polizei angeprangert. „Wir haben die Patienten aus diesem Anlass nicht besucht und folglich weiß ich nicht, wie die Sache passiert ist, aber wir wissen von Demonstrationen“, sagt Francesca Zuccaro, Leiterin der  Mission von „Ärzte ohne Grenzen“. Aus den Zeugnissen, die von der NGO  gesammelt wurden, geht klar hervor, dass der „Cara di Mineo“ - im März von der Regierung eröffnet mit der Erklärung, daraus in einer prachtvollen Bauart ein Modelllager für Europa zu machen - nicht angepasst ist an die Aufgabe, die er abwickeln soll. „Die Cara müssen Standards haben, die die Dienste für die verletzlichen Personen und für den Schutz von Opfern von Gewalt und Folter garantieren“, erklärt Zuccaro weiter. Seit einigen Tagen ist die Kommission in Mineo ausgebaut, aber man weiß immer noch nicht genau, wie viele Anhörungen täglich stattfinden. Im Blick auf die Sammellager, unterstreicht Zuccaro, was in dem Bericht von „Ärzte ohne Grenzen“ steht, dass sie die Schließung der Zeltstädte fordert - der Gefängnisse von Trapani Kinisia und von Palazzo San Gervasio. „Dort gibt es unerträgliche Lebensbedingungen, die die psychische Gesundheit der Menschen aufs Spiel setzen – bestätigt sie – undenkbar den Freiheitsentzug auf 18 Monate auszudehnen.