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Dienstag, 17. Mai 2011

Gespäch mit dem tunesischen Konsul in Palermo

Nach einer kurzen Einführung in seine diplomatische Karriere berichtet und der Konsul, dass es am 14. Mai 2011 ein sit-in vor derm Konsulat gegeben habe, das seiner Meinung nach die Befürwortung der Revolution in Tunesien zum Ausdruck bringen wollte. Wir gehen zum Thema Migration über und er berichtet uns, dass laut dem italienischen Innenminister Maroni ca. 22-23.000 Tunesier seit Jahresanfang nach Italien gekommen seien, Hauptankunftsmonate seien Februar und März gewesen.
Die Situation habe sich nun gebessert, so der Konsul. Er bestätigt uns, dass höchstens 7000 Personen aus den tunesischen Gefängnissen geflohen seien, wovon schätzungweise 2-3000 Italien erreicht haben. Er habe mit sehr vielen dieser Männer gesprochen (er meint, er habe in Italien den größten tunesischen Verbrecher kennengelernt), aber er versichert, dass sie alle ihr Leben ändern wollen in Italien, sie wollen eine Familie gründen und arbeiten. Es sei auch für sie, seien es nun Kriminelle gewesen oder nicht, eine große Gelegenheit gewesen. Ungefähre 7-8% der in Italien Angekommenen hätten eine Rückkehr nach Tunesien gewünscht, so der Konsul. Ihre Rückführung wird ausschließlich vom Konsulat organisiert. Nur in einigen wenigen Fällen seien internationale Organisationen beteiligt gewesen. Die Tunesier erhalten ein Reisepapier und nehmen die Fähre von Palermo nach Tunis, die Montags, Donnerstags und Samstags fährt. Das Konsulat bezahle die Tickets und bis zu zwei Nächten in einem Hotel in Palermo vor Arbfahrt, sollte das nötig sein.
Der Konsul teilt uns mit, dass der so genannte Vertrag zwischen Italien und Tunesien vom 25. März 2011 (seit 5. April in Kraft) nur eine Vereinbarung sei, die auf dem Vertrauen der beiden Länder zueinander beruhe. Ein diplomatischer Akt, der mit einem Händedruck des italienischen Innenministers und des Ratspräsidenten sowie den Kollegen aus Tunesien besiegelt wurde. Der Konsul betont, es gebe nichts Schriftliches. Er erzählt uns, dass Innenminister Maroni am Anfang den Wunsch geäußert habe, alle Tunesier abgeschoben werden sollten, doch nach der Weigerung der tunesischen Regierung – auch aufgrund der großen Probleme durch die Aufnahme von Flüchtlingen aus Libyen, dass seien inzwischen mindestens 370.000, im eigenen Land – wurde vereinbart, sechsmonatige Aufenthaltslerlaubnisse für diejenigen auszustellen, die vor dem 6. April 2011 in Italien eingereist sind. Diese Erlaubnis sei auf weitere sechs Monate verlängerbar. Wer am Ende dieser Zeit keine Arbeit gefunden oder nicht in einer anderen Art und Weise in Italien habe sesshaft werden können, der, so der Konsul, müsse zurückgeführt werden. Der "Vertrag" lege auch fest, dass alle nach dem 5.4. Angekommenen ab dem 8. oder 10.4.2011 nach Tunesien zurückgeschoben werden; dafür gebe es zwei Charterflüge am Tag, um 12 und um 20 Uhr, die alle vom Flughafen Palermo aus starten. Alle Zurückführungen nach Tunesien werden vom Konsulat in Palermo organsiert. Der Konsul überwacht diese Rückführungen und führt die Identifizierungen durch. Als wir fragen, was es mit den abgesagten Abschliebungsflügen der letzten Tage auf sich hat antwortet und der Konsul, das habe an "technischen" Problemen auf diplomatisch-politischer Ebene gelegen. Das werde sich aber so schnell wie möglich lösen lassen, versichert er uns. Die Rückführungen sollen in den nächsten Tagen wieder aufgenommen werden. Diejenigen, die nicht zurückgeführt wurden, seien in verschiedene Abschiebungshaftanstalten in Italien gebracht worden, sie werden demnächst abgeschoben, das Datum ist noch festzulegen. Es habe ja keine Eile, wie der Konsul betont. Für die Rückführungen werden die Tunesier aus ganz Italien in Gruppen zu 30 Personen nach Palermo gebracht. Am Flughafen werden sie in einem Zimmer durch den Konsul und einen Mitarbeiter identifiziert. Wenn es sich ihrer Meinung nach um Tunesier handelt erhalten sie sofort ein "laissez passer". Doch ca. 40% geben laut dem Konsul falsche Identitäten an. Da man in Tunesien zum Erhalt des Personalausweises mit 18 Jahren seine Fingerabdrücke geben muss, können diese Personen sofort nach der Einreise in Tunis am Flughafen identifiziert werden. Handelt es sich um die erste Rückführung, dann werden sie nach einer Kontrolle freigelassen, wird jedoch festgestellt, dass die Person schon mehrfach illegal ausgereist ist, dann wird ein Verfahren eingeleitet, die Strafe beträgt bis zu fünf Jahren Haft und 2500 € Strafgeld. Der Konsul bestätigt uns, dass dieses "Abkommen" zwischen Italien und Tunesien einmalig ist. Die Gerüchte über die Obergrenze von 800 Rückführungen, die es angeblich geben soll, sei aus der Zahl 804 entstanden – der Anzahl der Anlandungen tunesischer Staatsbürger in der Nacht vom 5. auf den 6.4.2011. Es habe nie ein Limit bei den Rückführungen gegeben. Im Gegenteil, so der Konsul, natürlich müssen die Tunesier von der tunesischen Regierung wieder aufgenommen werden. Die Rückfürhungsabkommen zwischen beiden Ländern, die in den letzten Jahren immer wieder abgeschlossen wurden, seien immer noch in Kraft, sie werden aber im Rahmen des jetzigen "Abkommens" vom 2. März 2011 berücksichtigt. Der Konsul ist der Ansicht, dass das jetzige Abkommen nur Italien dienlich ist. Dennoch sei Italien auch das einzige Land gewesen, dass Tunesien geholfen habe, um die Situation der Flüchtlinge an der libyschen Grenze zu händeln. Italien habe Tunesien zudem vier Schnellboote übergeben, um die Küste zwischen Sfax und Zarzis besser zu kontrollieren. Seit zwei Monaten warte man allerdings auf die zusagten finanziellen Mittel. Es handele sich um Gelder, die zur Zusammenarbeit dienten und mit denen Tunesien den illegalen Migrationsfluss Richtung der sizilianischen Küsten stoppen solle. Laut dem Konsul seien ca. 15.000 Aufenthaltserlaubnisse ausgestellt worden seit dem 5.4.2011. Mindestens 10.000 Tunesier werden seiner Meinung nach eine Arbeit und eine Unterkunft finden, denn Italien habe Bedarf an Arbeitskräften. Seine Idee sei es, in Tunesien ein vier Quadratmeter großes Büro zu eröffnen, in dem zwei Angestellte arbeiten und die Arbeitsanfragen der Tunesier entgegen nehmen, so dass die Nachfrage der Italiener an Arbeitskräften hiermit befriedigt werden könnte. Was die Familienzusammenführung zwischen Tunesiern und EU-Familienangehörigen betreffe bestätigt der Konsul, dass das eine Frage sei, die auf diplomatischem Wege gelöst werden müsse. Die italienische Botschaft in Tunis (und wir wissen auch von anderen Botschaften von EU-Staaten) verweigert den Tunesiern die Visa zur Familienzusammenführung. Er habe sich schon mehrfach um solche Fälle kümmern müssen. Sein Büro sei bereit, Dokumente auszustellen, aber das Problem bleibe die verweigerte Einreise in die EU, obwohl sich dort Familienangehörige ersten Grades befinden. Auf die Nachfrage, ob er verifizieren könnte, dass Tunesier mit einer italienischen Aufenthaltserlaubnis aus Frankreich abgeschoben worden seien meint der Konsul, dass er das nicht wisse, es sich aber sehr gut vorstellen könne. Auf jeden Fall aber habe Tunesien die Pflicht, aus europäischen Staaten abgeschobene Staatsbürger wieder aufzunehmen. Auf die Frage nach der Einhaltunge der europäischen Richtlinien betreffs der Rückführungen behauptet der Konsul, dass es nicht seine Aufgabe sei, die nationalen und europäischen Gesetze umzusetzen. Dennoch, so sagt er, werden aussschließlich die bilateralen Abkommen (zwischen Italien und Tunesien) angewendet, er kenne nicht einmal die Rückführungsrichtlinie und die in ihr verbrieften humanitären Rechte.
Er entlässt uns mit der Bemerkung, dass die italienischen Ordnungskräfte den tunesischen Staatsbürgern immer mit Respekt gegenüber getreten seien. 

Im Gespäch mit dem Konsul Abderrahmen Ben Mansour: Borderline Sicilia Onlus, borderline-europe. Das Gespräch gibt die Aussagen des Konsuls kommentarlos wieder.