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Freitag, 22. April 2011

Salinagrande, 22. April 2011

Die Rechtsnatur des Aufnahmezentrums in Salina Grande (C.A.R.A.) wird immer ungenauer. Auf der einen Seite fungiert das Zentrum angesichts der 130 Migranten, die mit Blick auf ihre Abschiebung in der Turnhalle festgehalten werden, als Identifikations- und Abschiebezentrum (CIE- Centro di Identificazione ed Espulsione);
auf der anderen Seite warten etwa zehn tunesische Migranten seit Monaten auf die Aushändigung ihrer befristeten Aufenthaltserlaubnis, was auf die Typologie des Zentrums als Aufnahme- und Identifikationszentrum hinweist (C.A.I.-Centro di Accoglienza ed Identificazione).
Wie uns mitgeteilt wurde, befinden sich die in der Turnhalle eingesperrten Migranten, die aller Wahrscheinlichkeit nach nach dem 5. April angekommen sind und folglich abgeschoben werden sollen, seit drei Tagen im Hungerstreik. Die Beziehung zwischen den auf dem Territorium lebenden Personen und den Migranten, die seit Wochen auf ihre befristete Aufenthaltserlaubnis warten, gestaltet sich besorgniserregend: Viele verlassen das Zentrum mit dem Ziel der Verbesserung ihrer Situation und arbeiten in der Schattenwirtschaft  (auf Feldern oder Baustellen). Zudem lehnen viele das Essen ab, da es von schlechter Qualität ist. Außerdem wird vermutet, dass es mit Beruhigungsmitteln angereichert wurde (uns wird von sofortiger Müdigkeit und Erschöpfung nach den Mahlzeiten berichtet). Den Angaben der Migranten zufolge dauern die Selbstverletzungen und Selbstmordversuche an (vor 4 Tagen hat ein Migrant versucht sich aufzuhängen). Außerdem reichen die Betten nicht aus, sie werden abwechselnd genutzt. Ein Minderjähriger ist seit acht Tagen in einem Zimmer eingeschlossen. Ein anderer ist in der Turnhalle eingesperrt und nicht in der Lage seine Schwester zu sehen, die täglich vor dem Aufnahmezentrum (C.A.R.A.) erscheint. Wahrscheinlich wurden 6 der 8 Migranten, die am Abend des 20. April  aufgrund von Selbstverletzungen (zur Verhinderung der Abschiebung) ins Krankenhaus gebracht worden (in die Krankenhäuser “Cervello” und “Villa Sofia” in Palermo), in das Aufnahmezentrum (C.A.R.A.) von Salinagrande zurückgebracht und in der Turnhalle eingesperrt. In der Zeltstadt von Chinisia sind zur Zeit keine Migranten anwesend. Dennoch wird uns mitgeteilt, dass das Lager nicht abgebaut wird, da die Migranten aus Libyen in diesen Nicht-Ort (Emblem des Ausnahmezustands) gebracht werden sollen. Dies, obwohl der Rechtsstatus dieser Struktur sich in ein Identifikations- und Abschiebezentrum (C.I.E.) geändert hat, wie wir erfahren haben (es besteht also eine Inkongruenz zwischen dem Status der Zeltstadt und dem Status der Migranten, die in diesen Nicht-Ort gebracht werden sollen). Des Weiteren wurde uns mitgeteilt, dass in den nächsten Tagen ein weiteres Lager in Calatafimi zur Unterbringung (und Inhaftierung) von ca. 200 Migranten eröffnet werden müsste. Es handelt sich um ein Ex-Konvent. Abschließend ist anzumerken, dass wir während unserer Anwesenheit vor dem C.A.R.A. in Salinagrande von der Polizei angehalten und nach unseren Ausweisen gefragt wurden. Dies geschah offensichtlich aus Einschüchterungszwecken und um uns davon abzubringen, mit dem Monitoring fortzufahren, um auf diese Weise die Verstöße zu dokumentieren, die gegenüber den Migranten geschehen (immerhin sind die Aktivitäten, die wir mit den unterschiedlichen antirassisitischen Gremien fortführen, die einzige Möglichkeit, um über die Lage zu informieren und die Migranten über ihre Rechte aufzuklären).
Presidio Chinisia