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Freitag, 4. November 2016

Von der Schwierigkeit, Menschen aufzunehmen: Trapani

Drei Ausschiffungen pro Woche sind auch für Trapani, wo es keinerlei Perspektive für die Ankommenden, sondern nur unüberwindliche Mauern gibt, zu viel. Mehr als 1000 Menschen bei drei Ausschiffungen haben den Mechanismus eines Hotspots*, der im allgemeinen besser als andere funktioniert, auf eine harte Probe gestellt.

Vom Tag seiner Öffnung an wurden mehr als sechzehntausend Menschen von Milo aus weitergeleitet, die Zahl der Zurückweisungen ist niedriger als bei den anderen sizilianischen Hotspots*: aber wenn die Situation schwierig wird wie im Fall der letzten Ausschiffung, treten die Probleme mangels einer wirklichen Planung zu Tage. Im Hotspot* von Trapani werden nicht zusammengehörende Fälle zusammen verhandelt, Fälle von Zurückweisungen marokkanischer Bürger*innen und von Rückführungen tunesischer und ägyptischer Bürger*innen. In Milo kommt es wie in allen anderen sizilianischen Hotspots* zu unrechtmäßigen Praktiken, werden die Rechte der Migrant*innen verletzt, da auch diejenigen mit großen Gesundheitsproblemen zurückgewiesen werden.

Die Ausschiffung vom 27. Oktober dauerte lange, auch weil zwei Leichname ausgeladen wurden, die dabei viel Blut verloren. So musste man darauf warten, bis Angestellte die Landungsbrücke und die Zone der betroffenen Mole wieder gereinigt hatten, bevor dann die Überlebenden weiter durchgehen konnten. Die Körper der an Land gehenden tragen Zeichen der grausamen Gewalt, ihre verängstigten, ins Leere gerichteten Blicke vermitteln eine Ohnmacht, die man nur mit Blick auf die Menschen und nicht mit Blick auf wirtschaftliche Erwägungen auflösen könnte. Ungefähr 4000 Menschen starben im Mittelmeer und nochmals ebenso viele Tausende sterben auf unserem Territorium.

Die Beamt*innen der Küstenwache Frontex setzen die Geflüchteten wie gewöhnlich laut und geschäftig unter Druck, um „nützliche“ Informationen darüber zu erhalten, wie man „die Ströme stoppen“ könnte, d.h. wie man noch mehr Menschen töten könnte. Die Tatsache, dass immer mehr Menschen sterben, bedeutet unter Umständen, dass Frontex besser arbeitet und dass die Verträge mit Libyen und der Türkei die erhofften Früchte tragen. Viele Menschen wurden ohne Kleidung ausgeschifft, einige trugen nur einen Slip und ein Unterhemd, andere hatten nicht einmal ein T-Shirt an, hatten nur eine Thermodecke um die Hüfte gewickelt. Da die Präfektur von Trapani beschlossen hat, dass die Verteilung des ersten Kit (das auch Kleidung umfasst) innerhalb des Hotspots* erfolgen sollte, standen die ausgeschifften Geflüchteten, an die man Nahrung und Flip-Flops verteilt hatte über vier bis fünf Stunden halbnackt auf der Mole, bevor sie dann weiter nach Milo gebracht wurden.

Wenn man mit einigen Leuten spricht, die gerade angekommen sind, wird klar, dass sich die Situation in Libyen immer weiter verschlechtert. Die Berichte sind so hart, dass man oft kaum zuhören kann. „Ich denke, diese Menschen kommen mit einer großen Schmerzenslast an, wir hier können sie schwer nachvollziehen, es ist ein so fremder Schmerz, so verschieden von unseren Schmerzen, dass wir ihn nicht einmal verstehen können. Dennoch tragen wir die große Verantwortung, ihren Schmerz zu beschreiben. Obwohl wir ihn vor Augen haben, obwohl wir ahnen, dass wir in Gegenwart von Personen sind, die durch tiefes Leiden gegangen sind, ist es, als bliebe es eben nur eine Ahnung, weil der Versuch eines besseren Verständnisses (für den, der das versuchen will) gleichbedeutend wäre damit, sich weh zu tun. Die Gesellschaft, in der wir leben, liefert uns nicht die Instrumente, die geeignet wären, den Schmerz zu verarbeiten, sie rät uns, ihm aus dem Weg zu gehen, unser Leben auf das, was uns zum Vorteil gereicht, zu richten, egal, ob bei diesem Vorteil Platz für die anderen ist oder nicht. Und dann habe ich es so satt, Opfer zu sehen. Es ist, als ob es auf unserer Seite das stillschweigende Einvernehmen gäbe, dass es bei jedem Versuch anzukommen, bei jeder Reise, bei jeder Ausschiffung einen gewissen Prozentsatz an Menschen gibt, die wir einfach opfern. Mittlerweile achtet man schon nicht mehr auf die Zahlen, wenn wir sagen, es sind Menschen und keine Zahlen, glaube ich, dass es für manch einen nicht einmal mehr menschliche Zahlen sind.“

Dies ist der Gefühlsausbruch einer der vielen Freiwilligen, die auf der Mole zugegen sind. Die Schwierigkeiten, aus der Aufnahme eine Pflicht und kein Geschäft zu machen, haben zur Folge, dass die sizilianischen Ermittlungsbehörden bei dieser letzten Ankunftsrunde mehr als 200 Personen zurückgewiesen haben, in der Mehrzahl Marokkaner*innen und Ägypter*innen, aber auch einige Algerier*innen und einen Tunesier, der keinen Platz mehr in einem der Flugzeuge gefunden hat, die für die Rückführungen verwendet werden.

Ein System, das Schwierigkeiten hat, Menschen aufzunehmen ist ein System, das Unsichtbare schafft wie jene Menschen, die momentan in Campobello di Mazara ausgebeutet werden. 1400 Personen sind in Barackenlagern zusammengepfercht, sie werden bei der Olivenernte eingesetzt, um Öl für unser Land zu produzieren. Und es erleichtert die Aufgabe der Landbesitzer*innen, Personen mit einer Zurückweisung oder einer Ablehnung ihrer Asylantrags zur Verfügung zu haben, ihnen sklavenähnliche Bedingungen aufzwingen. Es ist die Sklaverei unserer Zeit.

Die Aufnahme in Italien funktioniert nicht, weil der Wille nicht da ist, sie funktionieren zu lassen. Aber die schlechte Organisation erzeugt fortwährende Proteste von Seiten der Geflüchteten. Der letzte Vorfall wurde in einem der CAS* von Salemi, in Villa Mokarta, registriert, da viele abgelehnte Asylsuchende von der italienischen Justiz nicht anerkannt wurden und sich nach zwei Jahren Wartezeit auf der Straße wiederfinden, ohne in der Zwischenzeit überhaupt nur einen Schritt in Richtung Integration unternommen zu haben. Auch sie sind die Unsichtbaren eines nicht funktionierenden Systems, das viele gutwillige Menschen, die sich ein neues Leben aufbauen wollen, auf eine harte Probe stellt, das ihnen jedoch das Wenige, was ihnen von Rechts wegen zustehen würde, verweigert. Man sieht dies am Beispiel der CAS* „Sataru“ von Castellammare del Golfo, wo der Betreiber seinen Gästen schriftlich mitteilte, dass kein Taschengeld und kein Shampoo mehr ausgeteilt wird, solange dafür kein Geld von der Präfektur kommt. Wie uns viele Geflüchtete, die ungehalten über die Schwierigkeiten der sizilianischen Aufnahme sind, bestätigt haben, gibt es in diesem Zentrum auch keine Mediation und keine psychologische Betreuung mehr.

Alberto Biondo
Borderline Sicilia

Hotspot* – aus dem Englischen - Registrierzentrum für Flüchtlinge
CAS*- Centro di accoglienza straordinaria, außerordentliches Aufnahmezentrum

Aus dem Italienischen übersetzt von Jutta Wohllaib