„Ich
bin zum ersten Mal in dieser Hölle. Ich wohne in Brescia, wo ich
zusammen mit meinem Vater gearbeitet habe. Aber seit der Krise haben
wir nichts mehr zum Leben. Wir haben unsere Lizenz als Wanderhändler
verloren und mein Vater ist krank geworden. Wir leben in einer
armseligen Hütte und ich reise durch Italien, um auf dem Land zu
arbeiten. Einige Freunde haben mir gesagt, ich solle nach Campobello
kommen, um Oliven zu ernten und ein bisschen Geld zu verdienen.
Stattdessen schlafe ich an diesem Ort, kann nichts essen, da ich kein
Geld habe. Meistens muss ich den ganzen Tag arbeiten, um zwanzig Euro
zu verdienen, denn hier beuten sie dich bis aufs letzte aus.“
Das
ist A., ein 27jähriger Senegalese, einer von 1400 Menschen, die die
Ländereien von Campobello di Mazara bevölkert haben und auch jetzt
noch bevölkern. Wir sind vor 10 Tagen zurückgekehrt, um uns die
Situation in dem Lager „Ciao Ousmane“ anzusehen. Unsere Gefühle
sind, verglichen mit dem Vorjahr, sehr negativ. Ein Jahr war nicht
genug, um die Bedingungen vor Ort zu verbessern und so denen ein
würdiges Willkommen zu bieten, die für uns arbeiten, die sich um
unsere Bäume kümmern und die mit großer Würde ein bisschen Geld
zusammenlegen, um leben zu können.
„Ich
bin in der Hölle angekommen, genauer gesagt, ich bin zurückgekehrt;
denn ich lebe wieder in der gleichen Situation, wie ich sie in den
Lagern in Afrika erlebt habe; durch die ich gegangen bin, bevor ich
nach Italien kam. Ich hatte mir fest vorgenommen, dass ich mich
umbringen würde, um nicht im Dreck zu leben, im Zerfall. Du spürst,
was es hier für einen Gestank gibt…“
I.,
22 Jahre alt, aus dem Sudan, bestätigt uns, dass das Lager in diesem
Jahr viel schmutziger ist als im vergangenen und sich selbst
überlassen wird. Es ist nicht vorstellbar, dass zwei Leute alleine
(die Mitarbeiter*innen der Kooperative, die die Aufgabe hat, die
Migrant*innen mit allem Nötigen zu versorgen), ein Lager mit 1400
Personen leiten können. In diesem Jahr sind viele anwesend, aber die
Ernte ist gering; das hat besondere Probleme geschaffen.
Eine
erste Schwierigkeit, die wir feststellen konnten, liegt bei den
Trägern der Einrichtung. Sie besteht darin, dass es, obwohl sie
Gelder bekommen haben, keine Auswirkungen auf die Verbesserung der
grundlegenden Dienste im Lager gegeben hat. Im Gegenteil, das Lager
ist im Blick auf die Olivenernte mit Verspätung geöffnet worden,
weil es, wie einige Aktivist*innen bezeugen, während der ganzen Zeit
als Müllplatz für besondere Abfälle benutzt wurde. Und wo sind die
Gelder abgeblieben? Eine Frage, die schwer zu beantworten ist. Als
Antwort auf unsere Anfrage, sie zu treffen, haben sich die Träger
hinter einem „kein Kommentar“ verschanzt.
Obwohl
die Gelder dazu genutzt werden sollten, die Boiler für das
Warmwasser zu reparieren, um mehr Duschen und Bäder einzubauen (es
gibt davon nur 12), um Abläufe für das Abwasser zu installieren,
ist dies alles nicht geschehen. Einige Migrant*innen bleiben, statt
bei der Ernte zu arbeiten, im Lager, um Warmwasser zuzubereiten, das
dann für 50 Cent pro Eimer verkauft wird.
„Wir
sind davon überzeugt, dass das minderwertige Personen sind und dass
sie alles akzeptieren; nur so können wir auf die Idee kommen, sie
unter diesen Umständen leben zu lassen“, klagt einer der
Aktivist*innen an, die im Lager anwesend sind. Er beklagt das totale
Alleingelassen sein nicht nur durch die Institutionen sondern auch
durch die Vereine; diese sind, nachdem sie eine
Einverständniserklärung unterschrieben haben, wie vom Erdboden
verschwunden.
Während
wir zwischen den Zelten des Lagers gehen, atmen wir das Versagen
nicht nur der örtlichen Institution, sondern auch das unserer
Gesellschaft. Unsere Blicke kreuzen sich mit denen derjenigen, die
müde die Zeichen der Mühe am Leib tragen; oder mit denen anderer,
die, trotz der großen Schwierigkeiten, ihrem Wunsch Ausdruck
verleihen, weiter zu kämpfen, weitergehen zu wollen, weil das Leben
wegen den Entscheidungen, die getroffen werden müssen, nicht anhält
und wartet.
„Mir
kommt es vor wie in afrikanischen Slums“, hat ein anderer Aktivist
gesagt, der uns bei unserem Besuch des Lagers begleitet. Dieses Jahr
gibt es weniger Arbeit und viele bleiben im Lager; unter ihnen gibt
es welche, die Dame spielen, hergestellt aus einem Karton mit
Verschlüssen von Flaschen darauf.
„Ich
komme aus Florenz. Sie haben mir eine Fahrkarte bezahlt, damit ich
arbeite; aber für zwei Euro pro Kiste mache ich es nicht, ich will
wenigstens 4,50€, meine Würde verkauf ich nicht…“ „Ich habe
nicht gearbeitet, es gibt wenig Arbeit und jetzt sitze ich hier fest,
weil ich nicht mal mehr Geld habe, um zurückzufahren“, erzählen
uns R. und S., zwei Marokkaner.
Diejenigen,
die nach einem Jahr zurückgekehrt sind, wollen eine bessere
Bezahlung als in der Vergangenheit; derjenige dagegen, der neu ist
oder keine Aufenthaltserlaubnis hat, gibt sich auch mit nichts
zufrieden, wenn er nur 10€ in der Tasche hat – was die
Besitzer*innen der Olivenhaine glücklich macht. Es ist der Krieg
zwischen den Armen, „gesegnet“ und gewollt von den Herren, ein
Krieg der Verbilligung, der gewöhnlich gut für den ausgeht, der
weniger zahlen will. Es ist der Teufelskreis der Ausbeutung. Auf der
einen Seite ist es der Staat, der Unsichtbare schafft, indem er
ausweist oder seine Aufnahme widerruft oder Ablehnungen durch die
Kommission wie Feuerstöße verteilt; auf der anderen Seite die
Bauern und Bäuerinnen, die, schikaniert von den großen
Multinationalen, die Hungerpreise durchsetzen, sich an den Letzten
schadlos halten müssen, mehr als den Letzten, weil unsichtbar
gemacht.
All
dies hat Auswirkungen auf die Menschen indem es Angst und Unbehagen
und Unmenschlichkeit schafft. Geschichten vom „Unleben“ auf
unseren Straßen, mit uns, die wir so tun, als ob wir nichts sähen.
Wir sind dabei Mauern zu bauen, so hoch, dass sie keine Art von
Kontakt zulassen.
Wieder
einmal fragen wir uns: Und die bürgerlichen und die religiösen
Institutionen, wo sind sie? Sie, die Begegnungs- und Dialogorte
schaffen könnten, die eine präventive Interventionsarbeit
verwirklichen könnten, glänzen durch ihre Abwesenheit. Vielleicht
ist ihr einziges Ziel, eine Hilfsarbeiterschaft zuzulassen, ohne
Rechte und zu niedrigen Kosten.
Auch
in diesem Jahr haben sie damit Erfolg gehabt. Die Oliven wurden
gepflückt und die Menschen beginnen, das Lager zu verlassen. Es gibt
welche, die kehren zu ihrer Familie zurück und solche, die noch
einmal ausgebeutet werden in einigen anderen Erntelagern.
Für
den, der bleibt, wie die Freunde, die wir in den verlassenen Hütten
getroffen haben, bleibt nur das Überleben. Unter diesen Gruppen von
40-50 Personen befinden sich auch Minderjährige, die aus Lagern auf
der Insel abgehauen sind. Ihre Erfahrung, verlassen zu sein, wird
aufgefangen von ihren älteren Brüdern, die einzige Führung, die
geblieben ist, damit sie nicht in der Hölle versinken.
Nota
bene: Bis zum heutigen 30. November sind ca. 80 Arbeiter*innen im
Lager geblieben, auch wenn das Lager offiziell geschlossen ist. Aber
am 1. Dezember wird es an die Kommune zurückgegeben. Da sieht man,
was von den 1400 Sklaven bleibt…
Alberto
Biondo
Borderline
Sicilia
Übersetzung
aus dem Italienischen von Rainer Grüber