siciliamigranti.blogspot.com ist ein italienischsprachiges Monitoringprojekt zur Situation der Flüchtlinge in Sizilien, dort finden Sie die Original-Berichte, hier finden Sie die deutschen Übersetzungen. Klicken Sie auf die auf die Namen der Schlagworte (keywords), wenn Sie bestimmte Themen suchen.

Mittwoch, 30. November 2016

Rückkehr in die Hölle

Ich bin zum ersten Mal in dieser Hölle. Ich wohne in Brescia, wo ich zusammen mit meinem Vater gearbeitet habe. Aber seit der Krise haben wir nichts mehr zum Leben. Wir haben unsere Lizenz als Wanderhändler verloren und mein Vater ist krank geworden. Wir leben in einer armseligen Hütte und ich reise durch Italien, um auf dem Land zu arbeiten. Einige Freunde haben mir gesagt, ich solle nach Campobello kommen, um Oliven zu ernten und ein bisschen Geld zu verdienen. Stattdessen schlafe ich an diesem Ort, kann nichts essen, da ich kein Geld habe. Meistens muss ich den ganzen Tag arbeiten, um zwanzig Euro zu verdienen, denn hier beuten sie dich bis aufs letzte aus.“



Das ist A., ein 27jähriger Senegalese, einer von 1400 Menschen, die die Ländereien von Campobello di Mazara bevölkert haben und auch jetzt noch bevölkern. Wir sind vor 10 Tagen zurückgekehrt, um uns die Situation in dem Lager „Ciao Ousmane“ anzusehen. Unsere Gefühle sind, verglichen mit dem Vorjahr, sehr negativ. Ein Jahr war nicht genug, um die Bedingungen vor Ort zu verbessern und so denen ein würdiges Willkommen zu bieten, die für uns arbeiten, die sich um unsere Bäume kümmern und die mit großer Würde ein bisschen Geld zusammenlegen, um leben zu können.

„Ich bin in der Hölle angekommen, genauer gesagt, ich bin zurückgekehrt; denn ich lebe wieder in der gleichen Situation, wie ich sie in den Lagern in Afrika erlebt habe; durch die ich gegangen bin, bevor ich nach Italien kam. Ich hatte mir fest vorgenommen, dass ich mich umbringen würde, um nicht im Dreck zu leben, im Zerfall. Du spürst, was es hier für einen Gestank gibt…“


I., 22 Jahre alt, aus dem Sudan, bestätigt uns, dass das Lager in diesem Jahr viel schmutziger ist als im vergangenen und sich selbst überlassen wird. Es ist nicht vorstellbar, dass zwei Leute alleine (die Mitarbeiter*innen der Kooperative, die die Aufgabe hat, die Migrant*innen mit allem Nötigen zu versorgen), ein Lager mit 1400 Personen leiten können. In diesem Jahr sind viele anwesend, aber die Ernte ist gering; das hat besondere Probleme geschaffen.

Eine erste Schwierigkeit, die wir feststellen konnten, liegt bei den Trägern der Einrichtung. Sie besteht darin, dass es, obwohl sie Gelder bekommen haben, keine Auswirkungen auf die Verbesserung der grundlegenden Dienste im Lager gegeben hat. Im Gegenteil, das Lager ist im Blick auf die Olivenernte mit Verspätung geöffnet worden, weil es, wie einige Aktivist*innen bezeugen, während der ganzen Zeit als Müllplatz für besondere Abfälle benutzt wurde. Und wo sind die Gelder abgeblieben? Eine Frage, die schwer zu beantworten ist. Als Antwort auf unsere Anfrage, sie zu treffen, haben sich die Träger hinter einem „kein Kommentar“ verschanzt.


Obwohl die Gelder dazu genutzt werden sollten, die Boiler für das Warmwasser zu reparieren, um mehr Duschen und Bäder einzubauen (es gibt davon nur 12), um Abläufe für das Abwasser zu installieren, ist dies alles nicht geschehen. Einige Migrant*innen bleiben, statt bei der Ernte zu arbeiten, im Lager, um Warmwasser zuzubereiten, das dann für 50 Cent pro Eimer verkauft wird.

„Wir sind davon überzeugt, dass das minderwertige Personen sind und dass sie alles akzeptieren; nur so können wir auf die Idee kommen, sie unter diesen Umständen leben zu lassen“, klagt einer der Aktivist*innen an, die im Lager anwesend sind. Er beklagt das totale Alleingelassen sein nicht nur durch die Institutionen sondern auch durch die Vereine; diese sind, nachdem sie eine Einverständniserklärung unterschrieben haben, wie vom Erdboden verschwunden.

Während wir zwischen den Zelten des Lagers gehen, atmen wir das Versagen nicht nur der örtlichen Institution, sondern auch das unserer Gesellschaft. Unsere Blicke kreuzen sich mit denen derjenigen, die müde die Zeichen der Mühe am Leib tragen; oder mit denen anderer, die, trotz der großen Schwierigkeiten, ihrem Wunsch Ausdruck verleihen, weiter zu kämpfen, weitergehen zu wollen, weil das Leben wegen den Entscheidungen, die getroffen werden müssen, nicht anhält und wartet.


Mir kommt es vor wie in afrikanischen Slums“, hat ein anderer Aktivist gesagt, der uns bei unserem Besuch des Lagers begleitet. Dieses Jahr gibt es weniger Arbeit und viele bleiben im Lager; unter ihnen gibt es welche, die Dame spielen, hergestellt aus einem Karton mit Verschlüssen von Flaschen darauf.

„Ich komme aus Florenz. Sie haben mir eine Fahrkarte bezahlt, damit ich arbeite; aber für zwei Euro pro Kiste mache ich es nicht, ich will wenigstens 4,50€, meine Würde verkauf ich nicht…“ „Ich habe nicht gearbeitet, es gibt wenig Arbeit und jetzt sitze ich hier fest, weil ich nicht mal mehr Geld habe, um zurückzufahren“, erzählen uns R. und S., zwei Marokkaner.

Diejenigen, die nach einem Jahr zurückgekehrt sind, wollen eine bessere Bezahlung als in der Vergangenheit; derjenige dagegen, der neu ist oder keine Aufenthaltserlaubnis hat, gibt sich auch mit nichts zufrieden, wenn er nur 10€ in der Tasche hat – was die Besitzer*innen der Olivenhaine glücklich macht. Es ist der Krieg zwischen den Armen, „gesegnet“ und gewollt von den Herren, ein Krieg der Verbilligung, der gewöhnlich gut für den ausgeht, der weniger zahlen will. Es ist der Teufelskreis der Ausbeutung. Auf der einen Seite ist es der Staat, der Unsichtbare schafft, indem er ausweist oder seine Aufnahme widerruft oder Ablehnungen durch die Kommission wie Feuerstöße verteilt; auf der anderen Seite die Bauern und Bäuerinnen, die, schikaniert von den großen Multinationalen, die Hungerpreise durchsetzen, sich an den Letzten schadlos halten müssen, mehr als den Letzten, weil unsichtbar gemacht.


All dies hat Auswirkungen auf die Menschen indem es Angst und Unbehagen und Unmenschlichkeit schafft. Geschichten vom „Unleben“ auf unseren Straßen, mit uns, die wir so tun, als ob wir nichts sähen. Wir sind dabei Mauern zu bauen, so hoch, dass sie keine Art von Kontakt zulassen.

Wieder einmal fragen wir uns: Und die bürgerlichen und die religiösen Institutionen, wo sind sie? Sie, die Begegnungs- und Dialogorte schaffen könnten, die eine präventive Interventionsarbeit verwirklichen könnten, glänzen durch ihre Abwesenheit. Vielleicht ist ihr einziges Ziel, eine Hilfsarbeiterschaft zuzulassen, ohne Rechte und zu niedrigen Kosten.

Auch in diesem Jahr haben sie damit Erfolg gehabt. Die Oliven wurden gepflückt und die Menschen beginnen, das Lager zu verlassen. Es gibt welche, die kehren zu ihrer Familie zurück und solche, die noch einmal ausgebeutet werden in einigen anderen Erntelagern.

Für den, der bleibt, wie die Freunde, die wir in den verlassenen Hütten getroffen haben, bleibt nur das Überleben. Unter diesen Gruppen von 40-50 Personen befinden sich auch Minderjährige, die aus Lagern auf der Insel abgehauen sind. Ihre Erfahrung, verlassen zu sein, wird aufgefangen von ihren älteren Brüdern, die einzige Führung, die geblieben ist, damit sie nicht in der Hölle versinken.

Nota bene: Bis zum heutigen 30. November sind ca. 80 Arbeiter*innen im Lager geblieben, auch wenn das Lager offiziell geschlossen ist. Aber am 1. Dezember wird es an die Kommune zurückgegeben. Da sieht man, was von den 1400 Sklaven bleibt…


Alberto Biondo

Borderline Sicilia


Übersetzung aus dem Italienischen von Rainer Grüber