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Mittwoch, 1. Juni 2016

Die Warteschlange in Richtung Unsichtbarkeit

Letzen Sonntag, den 29. Mai, sind weitere Migrant*innen, die dem täglichen Massensterben im Mittelmeer entgangen sind, in verschiedenen Häfen Siziliens mit verschiedenen Schiffen angekommen, aber mit einer konstanten Gemeinsamkeit, die nicht unter den Ankommenden unterscheidet….die Warteschlangen! Unendliche Reihen unter der kochenden Sonne: um von Bord zu gehen, um etwas Wasser zu bekommen, um sich gesundheitlich checken zu lassen, um sich der vorläufigen Identifikation zu unterziehen. Und auch, um in einen Bus mit unbekanntem Ziel einsteigen zu können. Ihre Reise kommt nicht zum Stillstand.

In Palermo sind 604 Personen angekommen, und zwar an einem Tag, an dem einige Demonstrationen stattfanden, die verschiedene Hindernisse bei der Verwaltung der Anlandungen verursachten. Das Schiff „Bourbon Argos“ von Ärzte Ohne Grenzen kam zwar rechtzeitig an, aber sowohl die Pakete für die Erstaufnahme (Kleider, Schuhe) fehlten, als auch Wasser und Nahrung, denn die Lieferwagen, die das Material transportierten, wurden blockiert und schufen so eine Verspätung beim Landen der Migrant*innen. Zum Glück befanden sich diese auf einem Boot einer Organisation, Ärzte Ohne Grenzen, die humane Aufnahmen durchführt und Unannehmlichkeiten für die Passagiere verhindern konnte. 


Sobald der Landewagen weg war, ergaben sich andere Probleme, denn die Busse für die Übersiedlungen waren noch nicht bereit und vor allem fehlte es an Begleitungspersonal, das die Busse mit Migrant*innen zu ihrem Ziel begleiten sollte. Das Fehlen war vor allem der aufgewendeten Ressourcen für das vorherige Ausladen von 1052 Personen vor zwei Tagen geschuldet. Es scheint so, als habe das Ministerium, noch bevor es die Landung autorisiert hatte, die örtliche Organisation noch nicht bezahlt und somit eine Reihe an Fehlleitungen und Hindernissen hervorgerufen, die letztendlich die Aufnahme am Hafen von Palermo in die Brüche gehen ließen. Um den europäischen Partnern die Identifikation von 100% der durch das Meer Ankommenden zu versichern, braucht es Begleitpersonal, um sicher zu gehen, dass niemand vor Erreichen des Ziels entkommt, wenn die Migrant*innen nicht direkt nach ihrer Ankunft identifiziert werden. 


Wie immer sind es die Migrant*innen, die den Preis des fehlenden Weitblicks zahlen müssen und nachdem sie zwei, drei Tage auf dem Meer verbrachten und in endlosen Schlagen anstanden, nun auch noch auf die Busse für ihre Umsiedelung warten müssen. Trotz der weitreichenden Anstrengungen einiger Institutionen, die Busse und Begleitungen rechtzeitig bereit zu stellen, haben circa 200 Personen die Nacht am Hafen verbracht, währen die anderen (außer Minderjährige und mutmaßliche Schleuser) am späten Nachmittag in Richtung Lombardei, Latium, die Abruzzen und nach Apulien aufgebrochen sind. 


Die Unglücklichen (willkürlich ausgewählt, nämlich diejenigen, die als letzte von Bord gingen) sind zur Polizei gefahren worden für die Identifizierung und die Abgabe von Fingerabdrücken, um ihre Abfahrt auch ohne Begleitung organisieren zu können. Die Nacht verbrachten sie dann in den öffentlichen Verkehrsmitteln von Palermo. Zum ersten mal sind also auf der Wache außer Minderjährigen auch die Erwachsenen identifiziert worden, die dann am Morgen darauf Richtung Piemont und den Marken aufbrachen. 



Auch die Minderjährigen leiden unter den Konsequenzen eines Systems, das für ihre Aufnahme nicht angemessen ist. Da alle Gemeinden besetzt, überfüllt und pleite sind, mussten sie erst sehr lange am Hafen warten, dann auf der Wache zur Ausweiserstellung, um dann spätabends in eine der Notunterkünfte gebracht zu werden, die gratis von der Caritas Palermo in Monreale zur Verfügung gestellt werden. 


Und die vielen Minderjährigen, die bereits lange in Palermo sind, machen weiter mit Protesten aus verschiedensten Gründen, wie zum Beispiel wegen der fehlenden Anhörungen von Seiten der Betreiber oder die fehlende Grundversorgung. Oft sind es ruhige Demonstrationen, aber manchmal auch mit schärferen Tönen, wie es zum Beispiel in Palermo in der Gemeinschaftsunterkunft für Minderjährige „Araba Fenice“ eine gab, wo die Gäste die Tore des Zentrums schlossen und die Mitarbeiter somit am Herausgehen hinderten, als greifbares Zeichen der Unzufriedenheit. (http://www.palermotoday.it/cronaca/rivolta-centro-immigrati-piazza-guarnaschelli.html).


Eine glücklichere Unterkunft haben die sehr jungen Minderjährigen (ca. 10 Jahre alt), die aber wahrscheinlich noch mehr Nöte haben, sowohl die Struktur betreffend, als auch das Personal, ohne die Freiwilligen auszuschließen, die alles tun, um die Realität der Migrant*innen etwas humaner zu gestalten. 


Auch in anderen Städte, wie Trapani und Agrigento, gab es in der Nähe neue Ankünfte und das mangelnde Funktionieren des Systems ist offensichtlich. Der Hub in der ehemaligen Villa Sikania, einzigartig in ganz Sizilien, ist überfüllt mit Personen verschiedener Nationalitäten, die noch verschiedene Ziele vor sich haben - außer derjenigen aus dem Maghreb. Da es in Italien und Europa keinen Platz für sie gibt, werden sie dorthin zurückgeführt werden, mit Praktiken, denen wir folgen, um deren Legitimität zu überprüfen.
Die einzige Sicherheit besteht momentan darin, dass am Ende der Warteschlangen das Unbekannte ist, das sich häufig in die Unsichtbarkeit in der Gegend verwandelt, und das keine Realisierung von Migrationsprojekten gestattet, sondern nur, dass man Opfer eines Systems wird, das wieder einmal nur Ungleichheit schafft. 


Alberto Biondo
Boderline Sicilia

aus dem Italienischen von Sophia Bäurle