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Montag, 23. Mai 2016

Lampedusa: Die Proteste sind beendet, aber die Zuwiderhandlungen werden fortgesetzt

Bis gestern befanden sich im Hotspot von Lampedusa 380 Personen (darunter ein Dutzend erwachsener Frauen). Die Anzahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge lag bei ca. 90, darunter auch fünf nigerianische Mädchen, die am selben Tag des Brandes, durch den die gesamte Halle der Einrichtung der Contrada Imbriacola nicht betretbar geworden ist, auf der Insel angekommen sind. Viele Minderjährige werden seit mehr als 4, 6 Wochen auf der Insel festgehalten. Sie befinden sich mit Erwachsenen in den selben Schlafsälen, in denen das Licht nie ausgeschaltet wird. Sie werden mit den gleichen Maßnahmen „bestraft“ wie die Männer und Frauen, die in den vergangenen Tagen gegen das italienische System der Identifikation und die Regelungen des Dublin-Übereinkommens über die Bestimmung des Staates, in dem der Asylantrag  beantragt werden kann, protestiert haben, indem sie sich geweigert haben, ihre Fingerabdrücke abzugeben.
In der Zwischenzeit ist die Lage auf der Insel aufgrund der wiederholten mediatischen Kampagne angespannt, die wieder einmal zu Beginn der Sommersaison das Image Lampedusas als touristisches Ziel beschädigt hat.
Aber es geht noch weiter. Die Unzufriedenheit zeigt sich in den harten Kritiken gegenüber dem Bürgermeister, der angeklagt wird, nicht im Interesse der Bewohner Lampedusas zu handeln, insbesondere nicht  auf durchgreifende Weise in den Tagen des Protests eingegriffen zu haben, um die diversen betreffenden Interessen zu schützen und die mediatische Welle für eigene politisch-karriereorientierte Interessen auszunutzen.  Und nicht nur das. In einem Gebiet, in dem viele Bewohner*innen Angst haben, die Missbilligung über die schlechte Verwaltung der migratorischen Ströme und der politischen Spekulationen zulasten des wirtschaftlichen Interesses der Insel offen auszusprechen, weil sie erpressbar sind (wegen gesetzeswidriger Geschäftstätigkeiten, missbräuchlichem Bauen, Vetternwirtschaft), protestieren die Straßenfeger trotz Drucks durch Boykott auf der Piazza und trotz der Boykottversuche seitens diverser institutioneller Seiten. Man muss sich fragen, wem die Straßenfeger Angst einjagen.
Diese Frage ist schwer zu beantworten, wenn nicht der Aufstand als alarmierendes Zeichen des Erwachens der Bevölkerung angesehen wird, die müde ist, zu ertragen, ohne dass sie tatsächlich vertreten werden. Was würde passieren, wenn 6000 Personen (ohne natürlich die ca. 70 Familien, die ein direktes Interesse an dem Migrationbusiness haben) auf die Piazza gehen und schreien würden, dass man sich schämen solle, sowie die eigenen Rechte geltend machen würde?
Aber vielleicht träumen wir oder vielleicht nicht, da die Folgen der grausamen Militarisierung Lampedusas sich in immer häufiger auftretenden Fällen von registrierten Tumoren unter der Bevölkerung manifestiert (durchschnittlich ein Fall in fast jedem Haushalt).
Germana Graceffo
Borderline Sicilia Onlus