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Freitag, 22. April 2016

Lamine, von der italienischen Bürokratie in Mali festgesetzt

Aus Terrelibere  
Catania, Oktober 2015. Lamine hat eine gute Arbeit. Er ist einer jener Migrant*innen, die die Zeitungen „integriert“ nennen. Jeden Tag verlässt er das Haus und geht in ein Fastfood Restaurant arbeiten. Er ist ein Flüchtling aus dem Senegal. Seine Papiere sind nicht befristet. Eines Tages aber entschließt er sich, seine Eltern in Mali zu besuchen. Eine normale Handlung für einen Europäer. Aber nicht für einen Geflüchteten. Im November stehlen sie ihm das Portemonnaie. Aber das Geld ist nicht das größte Problem.

Sie haben ihm die Ausweispapiere abgenommen. Bald wird er feststellen, dass er nicht nach Italien zurückkehren kann, denn die Quästur, die nationale Asylkommission, der Honorarkonsul in Mali und die Botschaft in Dakar schieben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe. Niemand ist in der Lage, ein Fax zu schicken mit dem Inhalt: „Du kannst zurückkommen“. So bleibt er Gefangener in einem der gefährlichsten Länder der Welt.
Das Auswärtige Amt rät den Italiener*innen, „Reisen in dieses Land absolut zu vermeiden“. Paradoxerweise aber hält die italienische Bürokratie einen Flüchtling in Mali zurück, also einen Menschen, den sie schützen müsste. Der ihm von Italien gewährte Status ist in der Tat nicht nur irgendein Stück Papier, sondern beinhaltet die Verpflichtung, sich auf der Grundlage der Genfer Konvention um einen Menschen in Gefahr zu kümmern.
In der Zeit, in der Lamine in der Falle hockt, hat es mindestens drei sehr schwere Attentate gegeben. Am 20. November hat eine Gruppe von Terroristen das Hotel Radisson in Bamako angegriffen. Am 5. Februar erfolgte ein Attentat gegen die Uno-Basis und das Hotel Palmeraie in Timbuktu, sowie am 21. März gegen die Basis der EUTM* Mission unter Leitung der EU in Bamako. Die lokalen Behörden haben den Ausnahmezustand ausgerufen.
In einem Palazzo aus dem Barock in der Nähe des Marktes von Catania treffen wir Paola Ottaviano von Borderline Sicilia, die Rechtsanwältin von Lamine. „Der Flüchtling hat beim italienischen Konsulat in Mali Anzeige erstattet. Dieses hat bei der italienischen Botschaft im Senegal ein Visum für den Wiedereintritt beantragt. Letztere hat mit Datum vom 12.11.2015 beim Immigrationsbüro der Polizeibehörde von Catania eine Meinung eingeholt. Das Immigrationsbüro hat seinerseits die Akten an die Nationale Kommission weitergeleitet mit dem Ziel, die amtliche Genehmigung zu bekommen.“
Botschafter, Konsul, Polizisten und Vereinte Nationen. Die Anwältin hat an alle geschrieben. Aber keiner ist „zuständig“.
Ottaviano ist in ein kafkaeskes Labyrinth geraten, in dem E-Mails, Fax und Briefe von einem Kontinent zum anderen reisen. Die Menschen nicht. Sie hat an Botschafter geschrieben, an Konsuln, Polizeibehörden und den Vereinten Nationen. Ohne Ergebnis. Es gibt immer ein bürokratisches Hindernis, das verhindert, dass Lamine zurückkehren kann.
Februar 2016. Schließlich antwortet die Nationale Kommission für Asyl und beantragt bei der Quästur von Catania, den Status des Geflüchteten zu übermitteln. Aber nicht, um ihn nach Bamako zu schicken. Um den Vorgang der Einstellung anzubahnen.
Mail und Fax überschreiten die Grenzen zwischen Rom, Catania, Bamako und Catania. Menschliche Wesen nicht. Sie bleiben gefangen in der Falle zwischen den Grenzen.
„Am 16. Februar“, erzählt Ottaviano, „hat mir Lamine eine vom Honorarkonsul von Mali beglaubigte Vollmacht geschickt.“ Das Dokument diente nur dazu, in den Akten der Quästur abgeheftet zu werden. Was aber nach einem Monat geschah.

Im März erklärte sich die Kommission für nicht zuständig für Wiedereintrittsvisa. Nach monatelangem unnützem Hin-und Herschieben der Kompetenzen zwischen Catania, Rom, Dakar und Bamako kam man zu der Folgerung, dass die sizilianische Polizeibehörde „ dabei bleibt, dass eine Stellungnahme zur Ausstellung eines Visums zum Wiedereintritt nicht zu den eigenen Aufgaben gehört.“
Lamine ist noch immer in Afrika. Er ist dabei den Verstand zu verlieren. Jetzt hat er kein Geld mehr. Seit sechs Monaten befindet er sich in diesem Käfig ohne Gitterstäbe. Dem Arbeitgeber blieb nach Monate des unnützen Wartens nichts anderes übrig, als ihn zu entlassen.
April 2016. Die Rechtsanwältin hat auch an das UNHCR geschrieben. Als letzten Versuch hat sie eine PEC* an die italienische Botschaft in Dakar geschickt. Die Antwort ist kalt und bürokratisch: „Es fehlt die notwendige Genehmigung für den Wiedereintritt, weil sich die Akte noch in Behandlung bei der Polizei befindet. Freundliche Grüße.“

Antonello Mangano


*„Die EUTM Mali (European Union Training Mission Mali) ist eine multinationale Ausbildungsmission der Europäischen Union mit Hauptquartier in Bamako in Mali, bei der die malischen Forces Armées et de Sécurité du Mali eine militärische Grundlagenausbildung und Beratung erhalten.“ (Quelle Wikipedia.de)

*PEC – Posta elettronica certificata – Eine E-Mail, die den gleichen gesetzlichen Wert hat wie eine traditionelle schriftliche Mitteilung (Quelle Wikipedia.it)


Übersetzung aus dem Italienischen von Rainer Grüber