Am vergangenen Donnerstag, den 25. Februar, hat der Verein Borderline Sicilia an der von der Kampagne LasciateCIEntrare* organisierten Pressekonferenz bei der Federazione Nazionale della Stampa in Rom teilgenommen, die anlässlich der Vorstellung des Jahresberichts mit dem Titel „Die Aufnahme der Geflüchteten: der wahre Notstand“, stattfand. Während der Pressekonferenz haben sich einige Vertreter*innen der Kampagne, Vertreter*innen des tertiären Sektors und einige Vertreter*innen unabhängiger Info-Organisationen, die in diesem Bereich recherchieren, zu Wort gemeldet.
Das Bild, das in Bezug auf Aufnahme, Abschiebung und Haft dargelegt wurde, ist beunruhigend. Sämtliche Beiträge auf der Konferenz drehten sich um die folgenschweren Lücken des staatlichen Asylsystems (und um die politischen Absichten und wirtschaftlichen Spekulationen, die darin zum Zuge kommen), um die systematischen Verletzungen durch das Identifizierungs- und Ausweisungssystem und um die Tatsache der zwangsweisen Abschiebungen. Hervorgehoben wurden außerdem die Konsequenzen der Hotspots und die rechtswidrige Natur dieser Zentren, die sich zum einen im totalen Fehlen von Rechtsgrundlagen und Gesetzgebungsverfahren zeigen, zum anderen in den Verletzungen, die Hotspots in Hinblick auf das Grundrecht und das europäische und internationale Asylrecht darstellen.
Im Laufe des Treffens gab es auch einen Beitrag seitens einer kleinen Delegation von 181 eritreischen Asylsuchenden, die in das „Relocation“-Programm fallen und die seit Monaten (einige seit letztem November) noch immer im CARA* von Castel Nuovo di Porto darauf warten, verlegt zu werden. Alle unterzeichneten einen Brief, in dem sie verlangen, dass solche Verlegungen so früh wie möglich veranlasst werden. Dies soll mittels Kriterien erfolgen, die die Familienzusammenführungen an den Bestimmungsorten berücksichtigen, welche ihnen gesetzlich zustehen.
Der Beitrag von Borderline Sicilia bei der öffentlichen Veranstaltung war den Zeugenaussagen gewidmet, die wir bei den Betroffenen gesammelt haben. Die Aussagen betreffen die Bedeutung von verzögerten Abschiebungen und deren Konsequenzen im Leben der Menschen und innerhalb des Schutzsystems. Darüber hinaus befassten sich Teile unseres Beitrags zum Einen mit den Praktiken, die zur Identifizierung von Geflüchteten umgesetzt werden, im Kontext des militarisierten Aufnahmesystems des Hotspot-Ansatzes. Zum Anderen handelte unser Beitrag von der aktuelle Lage in der Provinz Messina, wo Verhältnisse herrschen, denen man mehr Aufmerksamkeit denn je widmen muss, auch im Hinblick auf die Meldung von der Inbetriebnahme des Hotspots bei der Ex-Kaserne Bisconte.
Der Bericht der Kampagne LasciateCIEntrare „Die Aufnahme: der wahre Notstand“ wurde von Yasmine Accardo und Gabriella Guido herausgegeben. Er setzt sich aus einem ersten Teil zusammen, in dem die Arbeit des Monitorings der Kampagne im italienischen Asylsystem kontextualisiert wurde. Daneben beinhaltet er eine juristische inhaltliche Vertiefung des Hotspotsystems und eine Analyse der Entwicklungen der EU-Politiken, verfasst von Fulvio Vassallo Paleologo und Stefano Galieni. Der zweite Teil des Dossiers enthält die Reports, die von Mal zu Mal mit den Delegationen verfasst wurden, die im Rahmen der Kampagne die CIE*, die CARA*, die CAS* und die Info-Zentren besucht haben. Der letzte Teil enthält die Meldungen, die an die Präfekten geschickt wurden und einen Aufruf der in der Zeltstadt von Bari lebenden Migrant*innen für eine würdige Behausung.
Ein derartiger Bericht ist das Ergebnis einer umfassenden Arbeit, die aus dem Sammeln von Informationen auf nationaler Ebene zustande gekommen ist und auf der Vernetzung mit lokalen Verbänden basiert. Der Bericht erweist sich als wichtiges Dokument für die Kritik am aktuellen System und auch als wertvolles Medium für Analyse und Reflexion. Der Bericht ist denjenigen gewidmet, die am eigenen Leib die Auswirkungen eines Asylsystems zu spüren bekommen, welches von der Logik des Ausnahmezustands und der ökonomischen Spekulation getragen wird und auf politischer Impovisation, illegitimen Praktiken und systematischen Menschenrechtsverletzungen basiert. Wir schließen uns der hier nachfolgenden Widmung an:
„Wir möchten diesen Bericht denjenigen Migrant*innen widmen, die im CIE* gestorben sind, denjenigen, die noch eingesperrt sind und denjenigen, die aufgrund von diskriminierenden, noch immer geltenden Gesetzen, abgeschoben wurden; den Migrant*innen, die in den Aufnahmeeinrichtungen misshandelt und allein gelassenen sind und denjenigen, die in der Landwirtschaft ausgenutzt werden und in irregulären Arbeitsverhältnissen ihr Leben fristen, und einer gewissen lokalen und nationalen „Wirtschaft“ nützen.
Und wir möchten diese Arbeit auch den Journalist*innen widmen, die ihren Beruf noch als „Dienst“ der Information und der Kritik empfinden und nicht den „Schlagzeilen der ersten Seite“ hinterherlaufen.
Und wir widmen diese Arbeit, die hoffentlich weitergehen wird, auch den unzähligen Aktivist*innen und Verbänden, die mit uns zusammengearbeitet haben und die auf ihren Gebieten eine maßgebliche Rolle darin spielen, die Menschenrechte, die Bürgerrechte und die sozialen Rechte wiederherzustellen, die von den Institutionen zu oft vergessen werden.“
Redazione Borderline Sicilia
*Campagna LasciateCIEntrare: Kampagne Lasst uns Einreisen – darin das Akronym CIE für Centro per I'Identificazione ed Espulsione, das für die Ausschaffungszentren steht
*CARA – Centro di Accoglienza per richiedenti asilo: Aufnahmezentrum für Asylsuchende
*CIE – Centro di Identificazione ed Espulsione: Abschiebungshaft
*CAS - Centro di Accoglienza straordinaria: außerordentliches Aufnahmezentrum
Übersetzung von Nele Mülling