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Freitag, 26. Februar 2016

Die Migrationskrise? Der italienische Hotspot-Ansatz ist keine Lösung, aber auf politischer Ebene wirksam.


Alessio D’Angelo – Leiter des Masters Migration, Society and Policy Programme, ist Mitglied des Teams der Universität Middlesex, das an dem ESRC-DFID-Projekt “EVI-MED- Aufbau einer Grundlage zur Migration im Mittelmeer” arbeitet. In seinem letzten Blogpost berichtet er über ein Sizilien, wo der Hotspot-Ansatz dramatisch das Panorama der italienischen Migrationskrise verändert hat.

In den letzten Monaten wurde die Migrationskrise als “Chaos” bezeichnet. Diese Bezeichnung oder andere sind insbesondere in Bezug auf die Situation in Griechenland verwendet worden, wo laut amtlicher Statistiken fast eine Million Ankünfte über das Meer zwischen Januar 2015 und Januar 2016 verzeichnet wurden. Die Zahlen stellen jedenfalls nicht das “Chaos”  dar.

Krise der Aufnahme

Es handelt sich einerseits um eine internationale und europäische politische Krise – die diplomatischen Stillstände in den vergangenen Tagen zeigen dies eindeutig. Andererseits befinden wir uns in einem krisengeschüttelten Aufnahmesystem. Jeder, der vor Ort gewesen ist, kann bestätigen, dass es ein Euphemismus wäre, das Aufnahmesystem in Griechenland als mittellos und unorganisiert zu beschreiben. Können wir daher erwarten, dass ein effizientes und funktionierendes Aufnahmesystem an der Mittelmeerküste sobald wie möglich angewendet wird? Das hängt natürlich davon ab, was man unter „effizient“ versteht. Sicherlich bin ich durch meine Besuche in Sizilien in den vergangenen Monaten vorsichtiger in Bezug darauf geworden, was ich mir zu wünschen erhoffe.

Sizilien, die Hauptankunftsstelle der Geflüchteten in Italien ist, hat seit letztem September eine relativ schnelle Implementierung des sogenannten Hotspotansatzes erfahren. Dieser wurde zu Beginn als erster Schritt auf dem Weg zur „Agenda zur Migration“ der europäischen Kommission vom Mai 2015 bezeichnet wurde. Nun steht der Ansatz im Mittelpunkt der italienischen „Road Map“, die kürzlich  vom italienischen Innenministerium herausgegeben wurde. Der erste italienische Hotspot ist auf der Insel Lampedusa am 21. September 2015 eröffnet worden. Danach folgten Trapani (20. Dezember 2015) und Pozzallo (19. Januar 2016). Weitere sind in den nächsten Monaten geplant (siehe Abbildung 1).
Bei der großen Mehrzahl von ihnen handelt es sich nicht um neue Einrichtungen, sondern um eine neue Bezeichnung für bereits existierende Aufnahmeeinrichtungen, die minimal umgebaut werden und in denen europäische Agenturen wie Frontex und EASO* eine wichtigere Rolle spielen sollen.

Die italienischen Hotspots

Abbildung 1-die italienischen Hotspots (die existierenden sind rot gekennzeichnet, die geplanten grün).

Der Hotspot-Ansatz

Was ist also ein Hotspot? Das offizielle Dokument sieht keine sehr detaillierte Beschreibung vor, aber die grundsätzliche Idee ist, einen Bereich für die Ankünfte zu schaffen, wo die Migrant*innen kontrolliert werden (Screening), identifiziert werden und wo ihre Fingerabdrücke abgenommen werden (gegen ihren Willen, wenn nötig). „Diejenigen, die Asyl beantragen“, erklärt ein europäisches Paper, werden "unverzüglich in das Asylverfahren geleitet." „Diejenigen, die keinen Schutz benötigen“, werden hingegen in ihr Herkunftsland zurückgeschickt. Der Teufel versteckt sich in den Details und viele Menschenrechtsorganisationen haben die angewendete Eilmethode zur Trennung der „wahren“ Asylsuchenden von den „einfachen“ Wirtschaftsmigrant*innen  kritisiert.

Eine der am häufigsten angewandten Methoden in den italienischen Hotspots ist der sogenannte „foglio notizie“. Es handelt sich hierbei um einen kurzen Fragebogen, der allgemeine Personalien sammelt und die Migrant*innen auf determinierende Art und Weise nach dem Grund ihrer Ankunft fragt. Der Fragebogen sieht eine Anzahl von auszufüllenden Kästchen vor -Familienzusammenführung, Arbeit und Asyl sind einige der verfügbaren Optionen. Verschiedene Versionen werden in verschiedenen Einrichtungen verwendet und, so scheint es, zu verschiedenen Zeitpunkten. Wenn aus irgendwelchen Gründen Arbeit als Option gewählt wird, dann wird man automatisch als Wirtschaftsmigrant*in eingeordnet. „Die Personen verstehen nicht genau, warum sie den Fragebogen ausfüllen müssen“. „Es ist lächerlich“, hat einer der örtlichen Aktivist*innen erklärt, den ich in diesem Monat getroffen habe. „Viele dieser Personen sind nicht in der Lage, zu verstehen, warum sie den Fragebogen ausfüllen müssen, und eine korrekte Interpretation ist nicht immer möglich.“ Wir wissen, dass viele Migrant*innen „Arbeit“ ankreuzen, weil sie zeigen wollen, dass sie bereit sind, sich wirtschaftlich zu integrieren und gerade aus diesem Grund wird ihnen das Asylrecht verweigert.

Die Netzwerke unter den Migrant*innen sind sehr schnell, so dass die Neuankömmlinge extreme Skepsis in Bezug auf jedes Stück Papier zeigen, das ihnen vorgehalten wird. Trotzdem ist der Fragebogen nur eine der Methoden, die zur Auswahl stehen. Es werden auch Interviews abgehalten, auch wenn die Mehrzahl der Anwälte, die in diesem Bereich arbeiten, nicht in der Lage sind, eine klare Erklärung darüber zu liefern, wie diese ablaufen. Auch in diesem Fall werden verschiedene Praktiken an verschiedenen Zeiten und Orten angewendet.

„Klare Verletzung“

Letztendlich weiß jeder, dass das Hauptkriterium zur Unterscheidung der  „wahren“ Asylsuchenden und Wirtschaftsmigrant*innen das Herkunftsland ist. Wer aus Ländern kommt, die als sicher gelten - genauer gesagt, wer als aus aus einem sicheren Herkunftsland kommend erachtet wird - wird automatisch als Wirtschaftsmigrant*in klassifiziert und erhält eine Benachrichtigung über die Zurückweisung. Das Problem ist, dass keine offizielle Liste der "sicheren Herkunftsländern" existiert. Trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit, wenn man aus Ländern wie Eritrea, Nigeria, Sudan, Gambia kommt, extrem hoch, zurückgewiesen zu werden. Dies hat einen großen Einfluss auf diejenigen, die zu den Hotspots gelangen, da die Mehrheit der 154.000 Ankömmlinge in Italien im Jahr 2015 aus den afrikanischen Ländern südlich der Sahara stammen. Dementgegen stammen von den Ankömmlingen in Griechenland nur ein paar Hunderte aus Afghanistan oder Syrien, die vordergründig als eindeutig „wahre“ Fluchtländer anerkannt sind. "Es handelt sich hier um eine freche Verletzung des Asylrechts sowie des Menschenrechts, wie es in den internationalen Übereinkommen definiert ist", erklärt mir Professor Fulvio Vassallo von der Universität Palermo.

So kommen wir wieder zur Ausgangsfrage: ist dieses System effektiv? Und noch einmal, es hängt davon ab, wie wir den Begriff Effektivität definieren wollen. Sicherlich ist es nützlich für viele der vorgesehenen Zwecke.

Nach der schnellen Schaffung des „Hotspotsansatzes“ durch die italienischen Autoritäten folgten Monate der Anspannung mit ihren europäischen Partner und den europäischen Institutionen über das Thema der adäquaten Umsetzung des Übereinkommens von Dublin, insbesondere im Hinblick auf die digitalen Fingerabdrücke. Vor dem Hotspotansatz konnten viele Migrant*innen durch Sizilien und auch Italien reisen, ohne dass digitale Fingerabdrücke abgenommen wurden, was jetzt extrem schwierig ist. Gleichzeitig ist die Ankunft der Geflüchteten ein immer weniger sichtbares Phänomen. Die chaotische Ankunft der Masse auf kleinen Booten auf den touristischen Stränden, wie die Bilder in Griechenland in den letzten Tagen zeigen, passiert in Sizilien einfach nicht.

Tatsache ist,  dass die Anzahl viel geringer ist, aber die koordinierten Einsätze der italienischen Küstenwache und Frontex haben dazu geführt, dass es jetzt virtuell möglich ist, jedes Boot viel früher zu entdecken, bevor man es von den sizilianischen Küsten aus sehen kann. Die Migrant*innen werden an Bord genommen und in den meisten Fällen direkt zu den Hotspots transportiert.

59 Migrant*innen werden von der Crew von Peter Henry von Koss gerettet, die Teil der Operation Poseidon von Frontex ist. - Foto von Kripo NCIS (Creative Commons 2.0)
Zu allererst die Politik
 
Dank der Implementierung der Hotspots und mit der Verschlechterung der Situation an der griechischen Küste wird die italienische Regierung nicht mehr als Schwachpunkt des europäischen Systems der Migration angesehen (zumindest nicht bis zum jetzigen Zeitpunkt). In der Tat erlaubt die Tatsache, dass die internationalen Verlegungsmechanismen überhaupt nicht funktionieren, dem Innenminister Angelino Alfano die Schuld hierfür dem Rest Europas zu geben, weil diese nicht in der Lage sind, sich an die Pläne zu halten. Das ist eine interessante Revanche, wenn auch unnötig.

Von den Aktivisten der italienischen NGO Borderline Sicilia  angezeigt, hat die italienische „Road Map" das Aufnahmesystem in Italien erschreckend verändert (und dies auf eine komplexere Art und Weise als hier in dem kurzen Artikel zusammengefasst werden kann). All dies ist gemacht worden, ohne dass ein neues Gesetz verabschiedet wurde. Die komplexe italienische Gesetzgebung in Bezug auf das Thema der Aufnahme von Flüchtlingen ist unverändert. „Das Wort Map ist ein politisches Einvernehmen zwischen der italienischen Regierung und Europa, das das Gesetz unterlaufen und dessen Stelle eingenommen hat.“ Es handelt sich um eine politische Übereinkunft, die zu allererst politische Probleme lösen soll. Die humane Dimension der Migrationskrise ist sekundär, die Menschenrechte sind lediglich nebensächlich. Unter diesem Gesichtspunkt ist es sehr wirksam.

Mehr Einzelheiten über die Implementierung des Hotspotansatzes, über das Verwaltung der Ankünfte der Geflüchteten im Mittelmeer und weitere  von EVI-MED gewonnenen Ergebnisse werden in den nächsten Wochen folgen.

Borderline Sicilia nimmt teil an der Untersuchung des Projekts EVI-MED.

*EASO: European Asylum Support Office – Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen



Übersetzung aus dem Italienischen von Lan Gatti