Am 25. Januar haben wir mit Genehmigung und unter der Führung eines Vertreters der Präfektur von Ragusa den Hotspot von Pozzallo besucht. Vor der Besichtigung mussten wir in der mobilen Polizeistation im Eingangsbereich die für Besucher*innen obligatorische Dokumentenkontrolle durchführen und wurden über die geltenden Vorschriften informiert. Sie legen fest, dass die Anonymität der einzelnen Personen garantiert sein muss und „den eventuellen Interviews mit den volljährigen Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen der zuständigen Behörde eine Information über ihr Ziel und ihre Nutzung vorhergehen muss; die ausgewählten Personen müssen außerdem freiwillig, und darüber in Kenntnis gesetzt, ihre Einwilligung geben.“
Begonnen haben wir unseren Besuch in den Büros innerhalb der Unterkunft. Diese hat die Struktur eines großen Hangars und ist von Militär- und Polizeiwagen umgeben. Am vergangenen Dienstag wurde dieser Ort offiziell als „Hotspot“ deklariert, auch wenn man uns berichtet, dass für die Aufnahme noch größtenteils die Richtlinien für das ex-CSPA* gelten, und man darauf wartet, dass das Ministerium diesbezüglich eine neue Verordnung herausgibt. Was bereits sicher ist, ist die starke Präsenz von Polizeikräften und europäischen Behörden, deren Einsatz in Übereinstimmung mit dem Abkommen getroffen wurde, das in der Road Map zusammengefasst ist, einem politischen Dokument, das Italien am 28. September des letzten Jahres verfasst hat.
Wir durchschreiten den ersten Vorraum und befinden uns in einem kleinen Flur, auf den die Büros der italienischen Polizei, der EASO* und Frontex zeigen, das hier mit 21 festen Mitgliedern präsent ist. Sie teilen uns mit, dass zwei weitere mobile Einheiten zur Unterbringung neuer Polizeibüros in Vorbereitung sind, die sich an die Seiten des Gebäudes stellen werden. Von hier aus können wir schon den Raum erblicken, wo die Geflüchteten untergebracht sind und wo sich Bäder und Behandlungsräume befinden - von uns noch durch zwei verglaste Türen getrennt.
Wir wissen, dass in Folge der Anlandung eines Schiffes am Freitag, den 22. Januar, 280 Geflüchtete in die Unterkunft gebracht wurden, auch wenn die Aufnahmefähigkeit der Einrichtung bei 180 Personen mit einer absoluten Höchstgrenze von 220 liegt. In Folge der durchgeführten Verlegungen von einigen Minderjährigen und asylsuchenden Erwachsenen nach Messina und in Unterkünfte der Region Ragusa und einigen Abschiebungen von Bürger*innen marokkanischer Herkunft, die sich als Wirtschaftsmigrant*innen ausgegeben haben, wurde die Zahl der Insassen auf derzeit 140 reduziert. Unter den zuletzt Angekommenen befand sie auch ein Geflüchteter aus Eritrea, der im Hub* Villa Sikania untergebracht wurde, und eine syrische Familie, die sich noch auf dem Gelände aufhält, da eines der Kinder ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Der Vertreter der Präfektur unterstreicht in diesem Zusammenhang die eintretenden Schwierigkeiten bei einer Verlegung, da in der Gegend noch kein Hub* vorhanden ist. Wir erkennen darin ein weiteres Zeichen für das Scheitern der „relocation“-Politik und dafür, dass die Planung und Öffnung neuer Hotspots ganz bestimmten politischen Entscheidungen und Kontrollmechanismen folgt, die weit entfernt sind von dem Ziel, die Geflüchteten zu schützen. Uns gegenüber werden auch die chronischen Schwierigkeiten bei der Verlegung von Familien und Minderjährigen betont, die Antrag auf Asyl gestellt haben, da auch für diese Fälle keine geeigneten Einrichtungen in der Nähe vorhanden sind. Diese Situation besteht seit Jahren und es gibt offensichtlich zahlreiche Hindernisse, die das zeitnahe Eingreifen besserer Lösungen verhindern. All das passiert in einem angeblichen „Willkommens“-System, in dem verschiedene Akteure unterschiedliche Rollen und Tätigkeitsfelder übernehmen; die Geflüchteten leiden darunter, dass sie oft nur Zahlen, wenn nicht gar Waren sind. Wir erinnern daran, dass die gesetzlich vorgesehenen Aufenthaltszeiten, die für die Unterkunft gültig sind, zwischen 48 und 72 Stunden liegen; in der Vergangenheit kam es im ex-CSPA* allerdings häufig zu Überfüllung und Fällen, in denen der Aufenthalt auch über die maximale Dauer von drei Tagen hinaus ging; einige Minderjährige mussten sogar wochenlang in der Unterkunft bleiben. Es wird uns außerdem bestätigt, dass die Geflüchteten nur nach Durchführung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen aus dem Zentrum gehen können, auch den jetzigen Bewohner*innen ist es nicht erlaubt sich von der Anlage zu entfernen, da eine Verlegung bevorsteht. Eine Einschränkung, die ein spürbares Unbehagen unter den Anwesenden schafft, das schon von außen in Erscheinung tritt, von wo aus wir verschiedene junge Leute gesehen haben, die mit starr nach draußen gerichtetem Blick buchstäblich an die Scheiben des Notausgangs gepresst waren.
Wir bitten den Vertreter der Präfektur uns zu erklären, wie die Migrant*innen im Zentrum erfasst werden und wie es zur „Selektion“ von Wirtschaftsmigrant*innen und Andere kommt. Wir erfahren, dass die Geflüchteten nach Abschluss der ersten Schritte, die bei der Landung eines Schiffes unternommen werden, per Bus in die Unterkunft gebracht werden, die nur wenige Hundert Meter entfernt liegt und diese durch den Nebeneingang betreten, der direkt auf den Hafen zuläuft; hier findet ein erster Gesundheitscheck statt, auf den unmittelbar die vorläufige Identifizierung folgt, bei der mit Hilfe des sog. „foglio notizie“, einem knappen Fragebogen, die Motive der Flucht ermittelt werden. In der Unterkunft angekommen bekommt jeder eine Erstausstattung ausgehändigt, die das Nötigste zur persönlichen Hygiene, Wechselkleidung, ein Leintuch aus Papier, Hausschuhe und eine Telefonkarte enthält. Wir bitten mehrmals, uns die Möglichkeiten zu erläutern, die Organisationen wie IOM* und UNHCR* sowie Save the Children haben, die Geflüchteten über ihre Rechte aufzuklären, bevor diese dem vorläufigen Identifizierungsverfahren unterzogen werden. Wie uns erklärt wird, hätten besagte Organisationen bereits im Moment der Landung Gelegenheit dazu und könnten nach den Schritten dieser persönlichen Erfassung damit fortfahren. Bedenkt man aber, dass es nahezu unmöglich ist, im Moment der Ankunft mit den Geflüchteten zu sprechen, da diese unverzüglich vom Landungssteg in den Bus geleitet werden, stehen nur die paar Minuten der Fahrt zur Verfügung. Soviel ist klar: Die eigentliche Aufklärung, wie sie vom Gesetz sowie nationalen und internationalen Vorschriften vorgesehen ist, findet erst später statt, nach Ausfüllen des Protokolls. Es stellt sich auf jeden Fall das Problem, wie einer Vielzahl von Personen – unterschiedlicher Nationalität und nach den Strapazen der Meeresüberquerung oft in einem Zustand der Verwirrung - der persönliche Schutz garantiert werden kann, auch angesichts der beschränkten Zeit, die zur Verfügung steht, um sich länger und effektiv mit einem Jeden befassen zu können. Wir wissen ebenfalls von Seiten der Präfektur, dass diese Woche allen am Hotspot anwesenden Geflüchteten, die nicht bereits eingangs einen Asylantrag gestellt haben, eine zweite Anhörung gewährt wurde, dieses Mal nach der Informationsveranstaltung von IOM* und UNHCR*. Allem Anschein nach haben sich bei dieser Gelegenheit einige Migrant*innen dazu entschlossen, Asyl zu beantragen, während andere bestätigt haben, dass sie nach Italien gekommen sind, um zu arbeiten, woraufhin sie einer sicheren Ausweisung entgegensehen.
Wir setzen unseren Besuch fort und durchlaufen die Behandlungsräume, vor denen viele Personen darauf warten an die Reihe zu kommen; auch heute sind zwei Arbeiter von Msf* und Ärzte der ASP* anwesend. Warteschlangen gibt es auch außerhalb der Bäder, die wir im nächsten Moment sehen werden, obwohl die Zahl der derzeit Untergebrachten deutlich unter der maximalen Aufnahmefähigkeit der Einrichtung liegt. Von hier aus erreichen wir schließlich den großräumigsten Bereich, einen rechteckigen Raum, wo Raumteiler einen Schlafbereich von einem freien Teil abgrenzen. In letzterem spielen etwa zehn junge Leute Fußball, während andere zusammengedrängt auf den umstehenden Bänken sitzen; hinter ihnen - und getrennt durch die Raumteiler, die nicht höher als drei Meter sind - befinden sich zwei Blöcke mit Doppelstockbetten, die nochmals von einem derzeit leeren Raumteil separiert sind, wo im Fall von Überfüllung Matratzen ausgebreitet werden, auf denen die Bewohner schlafen können. Die wenigen kurzen Bewegungen, die aus dem Abspielen des Balls kommen, vermitteln eine Idee der Enge des zur Verfügung stehenden Raums, und die Gegenwart von drei Polizeikräften in einer Art Wachhaus/Büro/Pförtnerloge, die sich an einem der Raumenden befindet, verstärkt das Gefühl der pausenlosen Kontrolle. Von hier aus erreichen wir augenblicklich den Schlafbereich der Frauen, der in einem Zimmer hinter den Behandlungsräumen liegt: im Moment ist er leer, da sich die wenigen verbliebenen Frauen, etwa fünf, in der Phase der Verlegung befinden - wie fast alle derzeitigen Bewohner*innen. Leer ist auch der Raum für die besonders Schutzbedürftigen. Die neuen Renovierungs- und Ausbauarbeiten planen die Ankunft einer neuen mobilen und außerhalb gelegenen Einheit, die als Depot und Lagerraum genutzt werden soll.
Nachdem wir einen externen Korridor durchlaufen haben, treten wir erneut in das Büro, von wo aus wir unsere Besichtigung begonnen haben und lernen einige Arbeiter*innen der Unterkunft kennen: Der Betreiber ist noch heute die Cooperativa Azione Sociale, in Erwartung, dass die noch offenstehende Ausschreibung für die nächsten drei Betriebsjahre erfolgt. Momentan arbeiten etwa 15 Mitarbeiter*innen in der Einrichtung, die Mediator*innen miteingeschlossen; die Zahl schwankt bezüglich der jeweiligen Bewohner*innenanzahl aber beträchtlich. Hier lernen wir eine Sozialarbeiterin kennen, die sich besonders über die Vernetzung mit den Bezirkskrankenhäusern auslässt, damit in besonders schlimmen Fällen unmittelbare Hilfe gewährleistet werden und eine direkte Überstellung in passende Sammelunterkünfte ermöglicht werden kann. Wir bewegen uns zurück in den Gemeinschaftsraum und versuchen mit einigen Geflüchteten zu sprechen; kein leichtes Unternehmen angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit der Anwesenden arabischsprachig ist und eine große Zahl pakistanischer Leute kein Englisch spricht. Ein Mediator der betreibenden Behörde hilft uns einige Wörter mit ein paar marokkanischen Frauen zu wechseln und andere englisch- und französischsprachige Bewohner*innen zu finden. Wir beschreiben ihnen kurz den Grund unseres Besuchs und alle legen großen Wert darauf zu betonen, dass die Situation ruhig ist, dass es ihnen nicht schlecht geht und sie keine Probleme haben.
„Hier ist alles in Ordnung, auch weil ich weiß, dass ich in Kürze verlegt werde. Die ersten Personen mit denen ich gesprochen habe, waren die Polizisten, die mich gefragt haben, ob ich denjenigen, der mein Boot gesteuert hat wiedererkennen würde; aber ich bin bei der Überfahrt im Bug des Schiffes gewesen und wusste nicht einmal, dass Frauen mit uns an Bord waren. Ich hab sie erst bemerkt, als die Rettungsdienste gekommen sind“, beginnt uns ein Mann um die Vierzig zu erzählen. „Als ich die Fingerabdrücke abgegeben habe, hat mich niemand dazu gezwungen; sie haben mir nur gesagt, dass ich es tun müsse und ich habe mich nicht widersetzt. Ich hab eingewilligt, aber erst später haben sie mir erklärt, was das heißt.“ Wir fragen ihn, ob er Informationen von den Mitgliedern von UNHCR* bekommen habe, die diesen Morgen in der Unterkunft sind und mit vier Mitarbeiter*innen Informationen geben: „Ja, es ist alles in Ordnung“ ist die ständige und wiederholte Antwort, die er uns gibt, wie es auch die anderen neben ihm tun. Viele sagen, dass sie uns nichts mitzuteilen hätten und alles gut geht. Die Mitarbeiter*innen von UNHCR* erklären, alle Anwesenden, ob sie nun einen Asylantrag gestellt haben oder nicht, vom Tag der Landung an bis heute informiert zu haben.
Wir bewegen uns in der Zwischenzeit in Richtung der Bäder, wo der Umtrieb nicht aufhört: wir zählen 12 Toiletten und Duschen für Männer und Frauen. Wir wissen, das mit den jüngsten Renovierungsarbeiten auch neue Vorhänge an den Duschen angebracht wurden, erblicken können wir allerdings nur ein paar. Angesichts der Gegenwart der zahlreichen Personen ist es schwierig für uns ihre Funktionalität eingehend zu beobachten und zu beurteilen; die Geflüchteten sagen, dass es ohne Probleme möglich ist zu duschen, dass das Wasser aber bitterkalt sei. Verschiedene Bewohner*innen haben unsere Anwesenheit bemerkt und fragen uns nach Zigaretten oder Informationen wie man telefonieren kann: mindestens fünf behaupten bei der Ankunft keine Telefonkarte erhalten zu haben, dass die Polizei ihnen bei Nachfrage aber sofort erlaubt habe ein Telefonat zu führen. Wir nähern uns einer Gruppe von vier Männern, die an die Brandschutztür gelehnt sind und trotz unseres Näherkommens weiterhin starr nach draußen blicken; in diesem Moment bemerken wir vor der Tür einen Polizeiwagen, der offensichtlich den Ausgang blockiert.
Vor weniger als einer Stunde wurde das Mittagessen verteilt, das der Großteil der Anwesenden in Eile, auf den Doppelstockbetten sitzend, verzehrt hat. Auf den Wänden bemerken wir einige Zeichnungen, die auf Szenen von Gewalt und Grauen hinweisen, daneben andere, die Namen und Farben zeigen; die Personen ringsumher wirken zum Großteil gleichgültig gegenüber ihrer Umgebung und in sich gekehrt und scheinen mit Unruhe den Moment abzuwarten, wo sie die Unterkunft endlich verlassen dürfen. Als wir uns von denjenigen verabschieden, die wir kurz kennengelernt haben, hoffen wir, dass die lebenswichtige Energie, die sie zur Flucht auf der Suche nach einem besseren Leben getrieben hat, nicht unmittelbar von den Überwachungs- und Kontrollmechanismen, die Europa weiterhin aufstellt, erstickt wird. Als wir die Anlage verlassen bemerken wir, dass der Raum vor der Brandschutztür noch nicht geräumt ist.
Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus
*CSPA: Centro di Soccorso e prima Accoglienza: Zentrum zur Ersten Hilfe und Erstaufnahme
*EASO: das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen
*HUB: aus dem Englischen von „Sammelpunkt“, so sollen die neuen Verteilzentren für Asylsuchende heißen *OIM: Internationale Organisation für Migration
*UNHCR: United Nations High Commissioner for Refugees)
*Msf: Medici senza frontiere - Ärzte ohne Grenzen
*ASP: Azienda Sanitaria Provinciale = Gesundheitsbehörde der Provinz
Aus dem Italienischen von Nele Mülling