Im Herzen von Campobello di Mazzara, wo der Olivenanbau eine 30-jährige Geschichte hat, ist es bis jetzt niemandem gelungen, Alternativen zu den beschämenden und menschenunwürdigen Erntemethoden zu finden; Wieder einmal müssen wir über die Ausbeutung der Migranten während der Ernte sprechen. Wir sind erneut zu der Zeltstadt gefahren, um die Problematik besser zu verstehen, die sich hinter der Ausbeutung in Campobello verbirgt.
Wir wurden von den freiwilligen Helfern der Zeltstadt empfangen (Menschen, die ihr Leben denen widmen, die in Schwierigkeiten sind), von „den Engeln“, wie sie von denjenigen, die in der ehemaligen Ölfabrik Fontana leben, genannt werden. Dieses ehemals der Mafia gehörende Gebäude wurde konfisziert und ist heute Herberge für mehr als 700 Migranten in circa 400 Zelten.
Zuerst haben wir festgestellt, dass diese Situation, wie so oft in den Immigrationsfragen, nicht neu ist, sondern mit der Zeit eine fest verankerte Praxis geworden ist. Die freiwilligen Helfer erzählen uns, dass die Migranten, die in die Felder rund um Campobello kamen, um zu arbeiten und somit ihre Familien zu unterstützen, schon im Jahre 2003 ihr erstes Zeltlager hier aufgebaut hatten.

Sehr oft wiederholen die freiwilligen Helfer das Wort „Ausbeutung“ mit einer Mischung aus Wut und Mitgefühl und dann, den Tränen nah, erzählen sie uns von dem Wandel, von dem Willen, die verfahrene Situation zu ändern.
Der Wandel, wie so oft, kommt nicht von der Politik oder den Institutionen, sondern von der Straße, von Unten, vom Guten Willen einiger Bürger, die auf die menschenunwürdige Lebenssituation in der Ortschaft Erbe Bianche aufmerksam machen und die Behörde dazu drängen, Wasserstellen einzurichten, die Gegend zu sanieren und letztendlich die Wohnsituation ein wenig würdiger zu gestalten.
Im Jahre 2014 gelingt es den freiwilligen Helfern weitere Organisationen für ihre Projekte zu gewinnen und die Institutionen vor vollendete Tatsachen zu stellen. So wurde die Zeltstadt in Erbe Bianche geräumt und den „Sklaven“ ermöglicht, ihre Zelt innerhalb der ehemaligen Ölfabrik aufzuschlagen: Es wurden Toiletten und Duschen aufgestellt, ein wenig Beleuchtung hinzugefügt und die Situation wurde ein wenig erträglicher für diejenigen, die jahrelang alles geduldet hatten, um ein „Stück Brot“ zu verdienen, obwohl diese Lebenssituation absolut keinen Platz für Menschenwürde lässt. Das wichtigste Ergebnis der Arbeit der freiwilligen Helfer ist zweifelsohne die Sensibilisierung der Landarbeiter bezüglich der Ausbeutung. Jahrelang haben sie Flugblätter verteilt, demonstriert, Leitfäden bezüglich Arbeiterrechte und die Wichtigkeit der Tarifverträge konzipiert.

Der Weg ist noch sehr lang. Das wissen die freiwilligen Helfer ganz genau. Die Allgemeinlage wird sich nicht schnell ändern, weil das Ausbeutungssystem fest verwurzelt ist. Alle wissen, dass die Arbeitskraft benötigt wird und dass die jungen Einheimischen nicht zu diesen ausbeuterischen Konditionen arbeiten wollen. Alle wissen, dass die Olivenernte für die ganze Gegend überlebenswichtig ist und dass nur die Migranten bereit sind, unter diesen Umständen zu arbeiten. Es ist den Polizeikräften bewusst, es ist den Institutionen bewusst, es ist den Politikern bewusst und es ist den Landbesitzern, denen die Olivenhaine gehören, bewusst.
Der Politik ist es bewusst, dass man das fragile, entstandene Gleichgewicht nicht stören sollte und deswegen fährt die Polizei regelmässig vor der Zeltstadt Streife und kontrolliert, dass niemand von außerhalb die Migranten belästigt. Wenn rassistische Vorfällen oder Gewaltakte, wie Steinewerfen oder Säureattacken, geschehen, mobilisieren sich alle, um den Ruhezustand wieder herzustellen. Nichtsdestotrotz empfindet der Teil der Bevölkerung, der kein direktes Interesse an der Olivenernte hat, die Anwesenheit der Migranten als störend und wenn die Migranten versuchen, nach Wohnungen im Dorf zu fragen, ernten sie Absagen, des öfteren „geschmückt“ mit Beschimpfungen wie die Migranten seien schmutzig, gewalttätig und Vergewaltiger.
Nur die aus dem Maghreb stammende Migranten, die schon seit Jahren hier leben, haben einen besseren Stand, öfters zusammen mit einer besseren Bezahlung (normalerweise bekommen sie ihren Lohn pünktlich und korrekt ausbezahlt). Das führt zu einem Krieg zwischen Nord – und Zentralafrikanern (Migranten aus Senegal, Sudan und Gambia), die einen werden beschuldigt, für den Preisverfall verantwortlich zu sein und die anderen, Privilegien zu genießen.
Zwar haben fast alle in der Zeltstadt lebende Migranten einen Arbeitsvertrag, und das ist sicherlich eine Errungenschaft, aber die Lohnauszahlung erfolgt nicht immer pünktlich und vor allem entspricht sie nicht dem, was schriftlich vereinbart wurde. Auch dies ist eine stillschweigend akzeptierte Vereinbarung zwischen Staat und Landbesitzern: Die Verträge schützen die Landbesitzer vor den sehr hohen Bußgeldern (das letzte Jahr wurden nach Kontrollen mehr als 100 000 Euro Strafe kassiert und dieses Jahr 35 000), aber es ist den Migranten kaum möglich, den schriftlich vereinbarten Lohn zu bekommen.


(die Freiwilligen erzählen uns, dass sie im Notfall die Migranten zur Notaufnahme fahren); Die Ärzte vom Roten Kreuz kommen ein oder zwei Mal in der Woche vorbei, als ob die Leute nur an den Tagen krank werden würden und nicht immer auf medizinische Versorgung angewiesen wären.
Die Lebensbedingungen sind schon sehr schwierig: die Duschen funktionieren nur mit kaltem Wasser, die harte Arbeit dauert bis zu 12 Stunden und fast ohne Pausen. Darüber hinaus tragen die psychologischen Problemen beachtlich dazu bei, das Immunsystem zu schwächen, so dass Atemwegserkrankungen und Muskel- und Gelenkschmerzen sehr verbreitet sind.
Die Würde jedoch hilft, die Schwierigkeiten und die Unmenschlichkeit der politischen Entscheidungen zu überwinden und das Nicht-Vorhanden-Sein der Institutionen zu bewältigen. Die Lehre, die wir von den auf den Feldern arbeitenden Migranten erhalten, steht im krassen Gegensatz zu jener der Politik: Menschen, die hauptsächlich aus Norditalien kommen, um ihre Familie zu unterstützen, junge Menschen, die sich bewusst ausbeuten lassen, um die Steuer für die Universität zahlen zu können und nicht auf der Tasche der Eltern liegen zu müssen. Wir treffen einen sehr jungen Mann, der hier das nötige Geld verdienen will, um sich an die Uni einzuschreiben und er sagt uns, dass er nicht erwartet hätte, so viel Zerfall, so viele Schwierigkeiten und so viel Vernachlässigung seitens der Autoritäten anzutreffen.

Das Leben in dem Lager ist absolut nicht einfach, aber die Solidarität lindert das Leiden. Deswegen geben wir den Appell von Patrizia, Ismael und Angelo weiter: Es werden weiterhin Matratzen, Decken, Schuhe und Bekleidung gebraucht, man kann nicht arbeiten in den gleichen Klamotten, mit kaputten Schuhen und nach einer Nacht in der Kälte und mit einer Holzpalette als Schlafplatz.
Alberto Biondo
Borderline Sicilia Onlus
Aus dem Italienischen übersetzt von Antonella Monteggia