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Dienstag, 13. Oktober 2015

Die Behörden weisen mögliche Asylsuchende ab und die Zivilgesellschaft stopft die Löcher

Trotz Anzeigen und Pressemitteilungen geben die Polizeidirektionen weiterhin Maßnahmen zur Abweisung an der Grenze bekannt. Sie treffen damit willkürlich Gruppen von Migranten, die gerade erst angelandet sind. Es ist vor allem die Polizeidirektion von Ragusa, die auf diese Weise in fast zweiwöchentlichem Rhythmus das CPSA* von Pozzallo teilweise leert. Die letzte kollektive Abschiebung fand am 10. Oktober statt. Betroffen waren davon 38 Männer aus Gambia, dem Senegal, Mali und Nigeria. Zu zwanzigst sind sie bis gestern durch die Straßen von Pozzallo gezogen, haben am Strand geschlafen und hatten keine Ahnung, wohin sie gehen sollten; vor allen Dingen hatten sie nichts von dem verstanden, was ihnen zugestoßen war.

Freiwillige aus mehreren Vereinen und Bürger haben Essen gesammelt und sich mit dem Bürgermeister getroffen; der hat für gestern Nacht ein Zelt zur Verfügung gestellt. Mit gesammeltem Geld wurden Fahrkarten nach Catania gekauft. Hier sind die Unterbringungsmöglichkeiten erschöpft. Es ist schwierig, für die von der Polizeidirektion Catania am 1. Oktober ausgewiesene Gruppe Schlafplätze zu finden. Wenn man von Pozzallo weggeht, verschiebt sich das Problem nur in eine große Stadt; in der ist es zwar leichter ist, unterzutauchen, die Gefahren aber größer sind. Schon haben sich Schleusernetze organisiert, diese weiteren „Abfälle“ des Systems Aufnahme auf- und abzufangen; sie sind bereit, den Kreislauf der Ordnungswidrigkeiten zu vergrößern, die Taschen der Anführer und der organisierten Kriminalität zu füllen. Die Einrichtungen der informellen Aufnahme, die in diesen Tagen mit großer Kraftanstrengung den Menschen, die sonst auf der Straße geblieben wären, ein Dach und Mahlzeiten garantiert haben, sind voll. Anwälte und Rechtsberatungsstellen, die den Abgewiesenen bei der Beschwerde und den Anträgen auf internationalen Schutz beistehen, gibt es nur wenige. Es kann nicht der Freiwillige sein, der mit Flicken die Löcher einer rechtswidrigen Praxis stopft, die von Institutionen und Behörden in Gang gesetzt wurde. Am 8.Oktober hat Borderline Sicilia zusammen mit Centro Astali, dem Antirassismus-Netz Catania, Catania bene comune, Città felice, Aufnahme und Solidarität und Asgi sez. Sicilia ein dringendes Treffen mit der Kommune, dem Ordnungsamt und der Polizeidirektion von Catania gefordert, um dieses Problem zu diskutieren und sich damit auseinanderzusetzen. Auf diesen Antrag hat es keine Antwort gegeben.
Eine solche unrechtmäßige Praxis, die nationalen und internationalen gesetzlichen Bestimmungen zuwider läuft, muss sofort gestoppt werden. Mit Hilfe von Befragungen durch die Polizei werden weiterhin systematisch die Flüchtlinge von Wirtschaftsmigranten getrennt; das geschieht nach Kriterien, die absolut willkürlich sind, die nichts zu tun haben mit den Modalitäten, die das Gesetz für den Zugang zum Verfahren für internationalen Schutz vorschreibt. Im CSPA* von Pozzallo, in dem auch die Agenten von Frontex operieren, fragt die Polizei die Migranten nach dem Motiv ihrer Reise, indem sie ihnen mögliche Antworten anbietet; die Motive reduzieren sich dabei auf: „Arbeit“, „Familienzusammenführung“, „Anderes“. Unter der Nennung „Anderes“ finden sich 90% der Motive, wegen derer die Personen aus ihrem Land weglaufen und diese Art Reisen unternehmen, d.h. wegen Krieg, Verfolgung, Situationen allgemeiner Gewalt und Konflikte, erbarmungsloser Diktaturen. Eine Zukunft, um die man spielt – wie bei einem Quiz um die richtige Antwort.
Wir fragen uns vor allem: Wie kann es möglich sein, dass eine solche Praxis vollzogen wird, obwohl sowohl an den Orten der Anlandungen wie auch in den CSPA*, Organisationen anwesend sind, die das Mandat haben, die Rechte der Asylsuchenden zu schützen?
In den vergangenen Tagen hat sich ein Jugendlicher, der seinen Abschiebungsbescheid in Pozzallo erhalten hatte, für Tage außerhalb des CSPA* aufgehalten und auf dem Boden geschlafen. Wegen eines Unglücks wurde er in das Krankenhaus von Modica gebracht. Aber von dort ist er nach Pozzallo zurückgekehrt, ohne sich zu bewegen. Man weiß nicht, was nun aus ihm geworden ist.
Während in diesen Tagen im Fernsehen die triumphalen Bilder von 18 Eritreern laufen, die in Schweden untergebracht wurden, ein Ereignis, das gefeiert wird als der Anfang der guten europäischen Durchführung des Asylrechts, werden auf Sizilien mögliche Asylbewerber zu hunderten im Stich gelassen und auf die Straße gesetzt.

Redaktion Borderline Sicilia

*CPSA - Zentrum zur Ersten Hilfe und Erstaufnahme

Aus dem Italienischen von Rainer Grüber