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Samstag, 29. August 2015

Wenn die Fernsehkameras abgeschaltet werden

Am 24. August hat das italienische Schiff Vega 548 auf dem Meer gerettete Menschen nach Palermo gebracht, unter ihnen viele Frauen und Kinder. Zahlreich auch die unbegleiteten Minderjährigen; bei der Ankunft wurden 130 gezählt; aber nach der Identifikation waren es nur noch 45.

Obwohl die Zentren für die Aufnahme Minderjähriger voll sind, wurde eine Unterkunft für die neu Angekommenen gefunden. Auf die Art und Weise, wie verfügbare Wohngemeinschaften gefunden wurden, fallen manche Schatten: Der Präfekt von Palermo hatte am Morgen der Anlandung vor der Presse erklärt, dass es für die Minderjährigen keine Plätze gäbe; dann hat die Kommune am Nachmittag desselben Tages auf wundersame Weise für alle einen Standort gefunden. Angesichts der Tatsache, dass auch bei der vorigen Anlandung der Vorgang der ersten Identifikation der Minderjährigen nicht besonders transparent war, ist zu befürchten, dass viele Minderjährigen auf wundersame Weise zu Erwachsenen geworden sind.
Leider geht auch derjenige, der als Minderjähriger anerkannt worden ist, das Risiko ein, sich im Land zu verzetteln, wenn er sich von der Wohngemeinschaft entfernt; entweder um sein eigenes Migrationsprojekt in anderen Ländern zu verfolgen oder in anderen Städten Landsleute zu treffen, oder, schlimmer noch, in der Prostitution zu enden. Aber oft spielt auch die mangelnde Professionalität und das Fehlen angemessener Dienste in den Zentren zur Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge eine gewichtige Rolle, warum sie sich aus der Einrichtung entfernen.

In den CAS* von Piana degli Albanesi, Partinico, Marsala, Castelvetrano, aber auch in manchen SPRAR**, stellen die Asylsuchenden nur eine Forderung: Sie wollen Papiere bekommen, um das erwünschte Ziel zu erreichen. Die Frage: „Geht es euch gut im Zentrum?“ wird oft von denjenigen ignoriert, die seit mehr als 12 Monaten im Lager eingepfercht sind, wo ihr Leben nur aus Schlafen und Essen besteht. Die Glücklicheren haben die Möglichkeit an ein paar Stunden Italienischunterricht teilzunehmen. Aber die Jugendlichen wollen arbeiten: „Egal was“, antwortet ein Jugendlicher, der in Piana degli Albanesi wohnt, „Ich reinige auch Toiletten, aber lasst mich arbeiten. Ich habe in meinem Land eine Familie, die mich braucht. Zurzeit schicke ich ihnen einen Teil meines Taschengeldes.“

Sie fordern Beistand, damit das Verfahren zur Aushändigung der Dokumente, die notwendig sind, um das Zentrum zu verlassen, beschleunigt wird. Sie haben keine Kraft mehr ruhig zu bleiben. Viele von ihnen wissen aber nicht, dass es nicht einfach sein wird, Arbeit und Unterkunft zu finden, wenn sie das Zentrum verlassen haben. Es fehlt sowohl von Seiten der Institutionen wie auch der Betreibergesellschaften eine angemessene Unterstützung zur sozialen Eingliederung. Für sie sind die Migranten nichts anderes als Zahlen. Ein Gast des Zentrum Piana degli Albanesi hat uns vergangene Woche die freudige Nachricht verkündet, dass sein Antrag anerkannt worden sei. Trotz der Zufriedenheit machte sich auf seinem Gesicht lebhaft Unsicherheit breit angesichts unserer Frage: „Was wirst du machen, wenn du hier raus bist?“ Die Frage wurde an uns zurückgegeben: „Was werde ich machen, wenn ich hier raus bin?“ Er hat über ein Jahr in einem Land verbracht, dessen Sprache er nicht kennt und das ihn sich selbst überlassen hat, nachdem es an ihm verdient hat.

Wir sind tüchtig, uns im Scheinwerferlicht und vor laufenden Kameras gastfreundlich zu zeigen. Im Augenblick der Anlandung geben wir unser Bestes, weil die ganze Welt auf uns schaut. Aber wenn die Scheinwerfer ausgehen, entschwinden alle guten Absichten, fast als würden die Autobusse, die direkt vom Hafen aus hunderte von Männern, Frauen und Kindern in andere Städte Italiens bringen, sie mit sich fort nehmen und nur die graue Wolke der Abgase hinter sich zurücklassen.

Giovanna Fioravanti
Borderline Sicilia Onlus

*CAS: Außerordentliches Aufnahmezentrum
**SPRAR: Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge, kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis (keine staatliche Verpflichtung)

Aus dem Italienischen von Rainer Grüber