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Donnerstag, 21. Mai 2015

Die Körper auf dem Meeresgrund haben keinen Marktwert

Die letzte Schade des Einwanderungssystems, das von der Festung Europa auf die Beine gestellt wurde, ist die Behandlung, die den Opfern der Europäischen Staaten zu Teil wird. Die 900 Körper werden nicht geborgen werden, nach Aussage des Staatsanwaltes Salvi, weil man die zu hohen Spesen für die Bergung nicht finanzieren kann, und er gibt den Schwarzen Peter an die Regierung weiter, die mit der üblichen Hypokrisie meint (Worte des Premierministers Renzi), dass „man alles versuchen wird um die Körper von unseren Brüdern und Schwestern zu bergen“. Erst bringen wir sie um und dann lassen wir ihre Körper am Meeresgrund vergammeln. Dabei löschen wir jede Spur des Fehlverhaltens, überzeugt davon, dass auch die Erinnerung an die vielen Unschuldigen, die auf unseren Seelen lasten, damit ausgelöscht  werden kann.

BRÜDER UND SCHWESTERN? Wie können wir die Menschen, die wir in ihren Heimatstädten ausnutzten und ausbeuten und in der Wüste und im Meer umbringen, Brüder und Schwestern nennen?
Für die Opfer der Costa Concordia bei der Insel Giglio wurde die Suche, zu Recht, für eine lange Zeit durchgeführt und nie hat jemand an die Spesen gedacht. In diesem Fall sind Menschen gestorben, Menschen, die die Wirtschaft bewegen, nicht die zweitklassigen Brüder und Schwestern von Renzi. Nicht Menschen, die die Freiheit suchen und die mit Mut (oft Ergebnis von Verzweiflung) versuchen die Mauern der europäischen Festung zu passieren. Nicht Menschen, die mit der Migration ein System der Unterdrückung anzeigen, das die Weltmächte geheim zu halten versuchen.
Auch wenn man den europäischen Politikern und deren scheinheiligen Aussagen keinen Glauben schenken kann, nach seiner Erklärung, dass die Körper des Schiffsunglücks geborgen werden sollen, warten wir auf Renzi und in der Zwischenzeit zählen wir die Tage bis zur Bergung!

Zur gleichen  Zeit werden auf Sizilien neue Aufnahmezentren eröffnet,  um die Anzahl von verfügbaren Plätzen zu erhöhen. Die neuen Strukturen werden nicht nach dem alten System der direkten Auftragserteilung beauftragt , wie in der Vergangenheit üblich, sondern die Verträge werden nach den berühmten öffentlichen Ausschreibungen vergeben, die das Ministerium im letzten Jahr angeordnet hat. (Rundschreiben des  Innenministeriums - Abteilung für bürgerliche Freiheiten und Einwanderung – Nr.  7418 vom 20. Juni 2014 und Nr.  5484 vom 27. Juni 2014) Wie die sizilianische Staatsanwaltschafte nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit  bestätigt, lägen die Gründe für die Verzögerungen an dem Erscheinen von „fragwürdigen Gestalten“, die sich an dem neuen Business der Immigration beteiligen.   
Während man auf der Erweiterung des sizilianischen Aufnahmesystems wartet, werden die neuankommenden Migranten hauptsächlich auf Aufnahmezentren verteilt, die außerhalb Siziliens (aber auch außerhalb Kalabriens und Apuliens) liegen, um zu verhindern, dass sich die Gelder  der Finanzierung in den Händen einiger Weniger konzentrieren, auch wenn wir durch die Ermittlungen von „Mafia Capitale“ (Hauptstadtmafia , A.d.Ü) gelernt haben, dass die Seilschaften und Absprachen, um auf dem Rücken der Migranten zu verdienen, weder Grenzen noch Hindernisse kennen.
Gestärkt durch das Wissen, das das nationale Aufnahmesystem völlig überlastet ist, haben viele ihr Glück versucht und an den öffentlichen Ausschreibungen teilgenommen, aber zum Glück wurden die, die nicht die nötigen Requisiten hatten, aus der Rangliste ausgeschlossen. Aber einige, die die Anforderungen der „AntiMafia“ erfüllten, und deshalb einige Ausschreibungen gewinnen konnten, sind leider teilweise komplett inkompetent im Bereich Migration. In den Listen sind neue Vereine und Kooperativen eingetragen worden, die sich nie mit dem Empfang von Migranten beschäftigt haben, und die aus komplett verschiedenen Aufgabenbereichen kommen. Diese Situation könnte, wie es schon vorgekommen ist, ziemlich viele Probleme verursachen, wie es zum Beispiel in der Region um Marsala vorkommt, wo zwei neue Zentren eröffnet wurden, bei denen die Grundlagen für eine Aufnahme komplett fehlen.
Ein weiteres Phänomen ist, dass die Vergebung der Konventionen den "Üblichen" zugeteilt wird, die schon seit Jahren das Oligopol der Aufnahmen auf Sizilien halten, nicht immer mit herausragenden Ergebnissen: wir sprechen von Sol.Co. (bereits in Palermo und Catania vorhanden und gerade dabei sich in anderen Provinzen zu erweitern – durch Vereinbarungen mit Genossenschaften, auch christlicher Art, wie z. B. Don Calabria), die Genossenschaften Badiagrande und Insieme (in Trapani), der Verband Acuarinto (Agrigento) usw., die direkt oder indirekt unzählige Strukturen aller Art, von CAS*, CARA*, sogar CIE*, Zentren für Kinder bis zu SPRAR* leiten.
Um bei Trapani zu bleiben: das Cara, das von Badiagrande geleitet wird, wird Ende Mai geschlossen, nach einem weiteren Aufschub seiner Schließung (ursprünglich für Februar geplant) aufgrund der langsamen Operationen der Unterbringung der Migranten, die sich derzeit in dem überfüllten Zentrum befinden, in andere Strukturen. In letzter Zeit wurde es auch in der Not als Sortierungszentrum benutzt, für die Flüchtlinge, die übers Meer kamen. Die Zentren, die vor kurzem in Trapani eröffnet wurden, haben gerade mal dazu beigetragen das CARA zu entlasten (2.300 Migranten sind in der gesamten Provinz präsent). Wir fragen uns, wo die Migranten, die in Zukunft in Trapani landen, untergebracht werden, da die Einrichtungen alle überfüllt sind und es kein Aufnahmezentrum gibt, wie die ehemalige Villa Sikania in Agrigento (vor kurzem haben wir festgestellt, dass es sich um ein CPSA* handelt, zuerst als CAS geöffnet) oder Vereinigungen wie die Caritas in Palermo, die bei der Landung neuer Flüchtlinge Notfalleinrichtungen anbietet.
Auf das natürliche Entleeren der Strukturen zu hoffen, scheint ein Trugbild, da die Verdoppelung der territorialen Kommissionen bisher nur auf dem Papier besteht: die neuen sind noch nicht funktionsfähig, weil die Formation noch nicht abgeschlossen ist (siehe Agrigento), während die alten eine neue Einlaufphase durchlaufen, durch Personalwechsel und anderes (siehe Palermo und Trapani).
All dies führt zu einem Stillstand, langen Wartezeiten, zu lange, solange, dass sie nur die Genossenschaften glücklich machen, belastet von Haushaltsdefiziten durch die Verzögerung der Zahlungen durch die öffentlichen Institutionen. Die Konsequenzen zahlen die vielen Migranten in der Schlange an den sizilianischen Stationen, des vergeblichen Wartens müde, versuchen sie ihr Glück anderswo. WIE? Wenn man Glück hat, sind sie unter denen, die in den Norden verschickt und von der Polizei in Bussen eskortiert werden, die die Präfekturen bei Privatfirmen bestellt haben, weil das Ministerium keine Charterflüge für den Transport von Migranten in andere Regionen zur Verfügung hat; oder durch die Unterstützung von Familie oder Freunden, die durch Geldsendungen dazu beitragen, die Hoffnung weiterleben zu lassen. Viele andere werden unglückliche Opfer von Menschenhändlern, die sich leicht in dieses System einschleusen und weiterhin rücksichtslos die Migranten ausnutzen.

Leider, wie schon oft gesagt, sind die Einwanderer nützlich in einem System, das Geld mit ihnen verdient. Und oft  bieten die Genossenschaften nicht die Dienste an, die eigentlich von den Konventionen vorhergesehen sind, wie uns auch Schwester Antonella während unseres letzten Monitorings in Agrigento erzählte, wo es scheint, dass viele jungen Gäste in den Zentren der Provinz lieber in der Mensa della Solidarietà essen gehen: weil es in den Zentren an Mediatoren mangelt, mit denen man sprechen und kommunizieren kann, weil die Nahrung und Kleidung, die angeboten wird, nicht ausreichend oder unangemessen ist und zu oft von schlechter Qualität. In Agrigento bietet die Mensa della Solidarietà jeden Tag das Mittagessen für etwa hundert Menschen an, darunter viele Besucher aus den SPRAR des Umlandes, genau aus jenen Strukturen, die eigentlich von exzellenter  Qualität sein sollten!
Alberto Biondo e Giovanna Fioravanti
Borderline Sicilia Onlus

*CAS - Centro di accoglienza straordinaria, außerordentliches Aufnahmezentrum
*CARA - Centro di accoglienza per richiedenti asilo: Aufnahmezentrum für Asylsuchende
*CIE - Centro di Identificazione ed Espulsione: Abschiebungshaft
*SPRAR - Sistema di protezione per rifugiati e richiedenti asilo: Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge, kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis (keine staatliche Verpflichtung), ca. 3000 - 3500 Plätze in ganz Italien. Soll zur Integration der Flüchtlinge dienen
*CPSA/CSPA- Centro di Soccorso e prima Accoglienza: Zentrum zur Ersten Hilfe und Erstaufnahme

Aus dem Italienischen von Giovanna Fioravanti