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Donnerstag, 23. April 2015

Der 2 jährige Giulio verbrachte eine Woche alleine im Aufnahmezentrum


aibi.it – Wie ein Gepäckstück war er eingepfercht auf einem der zahlreichen Wracks, die versuchen mit ihrer menschlichen Fracht das Mittelmeer auf der Flucht vor der Verzweiflung zu überqueren.
Er ist dem Tode entronnen, auf der Flucht vor einem Brand, der im libyschen Flüchtlingslager ausgebrochen war, wo er sich zusammen mit 89 Migranten aus Somalia und Eritrea (unter ihnen 20 Frauen und 2 Kinder) befand. Er wurde dann auf ein kaputtes Gummiboot verladen, auf dem die Flüchtlinge Italien erreichen wollten. Er hat seine Mutter brennen sehen, denn sie ist dem Brand nach der Explosion einer Gasflasche nicht entkommen. Vielleicht wird er Waise in einem fremden Land, denn seine Mutter kämpft mit dem Leben im Zentrum für Brandverletzte von Palermo. Und in dieser Situation ist ihm die Wärme einer familiären Betreuung verweigert worden – wenn auch nur für ein paar Tage, einfach während der Wartezeit auf die Entscheidung über sein zukünftiges Schicksal.

Giulio, so wurde entschieden, dass der kleine Junge aus Eritrea heissen soll, ist etwa 2 ½ Jahre alt. Am Donnerstag, den 16. April ist er in der Nacht an Bord eines Bootes der Guardia di Finanza (Zoll) in Lampedusa angekommen. Seine Seereise begann in Libyen, wie die von Tausend anderen, die aus Syrien, aus Nordafrika und aus Subsahara Afrika aufbrechen. Er hat es geschafft bis nach Lampedusa trotz der traumatischen Umstände seiner Reise. Anders als eine junge Frau, die sich auf dem gleichen Gummiboot befand. Sie ist an ihren Brandverletzungen durch die Explosion im libyschen Lager auf der Überfahrt gestorben. Weitere 18 sind in Lampedusa angekommen, unter ihnen auch Giulio’s Mutter, die unverzüglich mit dem Helikopter ins Krankenhaus von Palermo geflogen wurde, wo sie in der Intensivstation gepflegt wird.

Der Kleine wurde mit den anderen Migranten ins Erstaufnahmezentrum der Insel gebracht, wo versucht werden sollte, eine passende Lösung für ein Kleinkind zu finden. Diese Lösung ergab sich erst eine Woche später: am 22. April um 15 Uhr wurde Giulio in eine Gemeinde verlegt, mit der Absicht, dass er seine Mutter besuchen kann, sobald es ihr besser geht.

Aber war es wirklich unvermeidlich, Giulio eine ganze Woche lang im Erstaufnahmezentrum zu lassen mit allen andern Migranten? An einem unpassenden Ort für ein Kind, und noch ungeeigneter für ein verlassenes Kleinkind dessen Mutter um ihr Leben kämpft.

Die Organisation “Amici dei Bambini /Freunde der Kinder” hat im Rahmen ihres Projektes “ Bambini in Alto Mare / Kinder auf hoher See” sofort eine Familie gefunden, die den kleinen Giulio aufgenommen hätte. Dafür wäre es nötig gewesen, Giulio zuerst dem Sozialamt in Lampedusa zu melden, die ihn dann an die betreuende Familie übergeben hätten.

Aber auch in diesem Fall, wie in unzähligen anderen Fällen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (Minori Stranieri Non Accompagnati „Misna“) war eine rasche Problemlösung nicht möglich. Die übliche schwerfällige Bürokratie hat die zuständigen Institutionen wieder dazu gebracht, die bereits bestehende Einrichtung der Familienplatzierung nicht zu berücksichtigen weil es einfacher war, das Kind im Erstaufnahmezentrum zu lassen. Das Resultat? Giulio weint, er isst nicht, er spielt nicht und er weigert sich, im Inneren des Zentrums zu bleiben. Er will nach draussen und fixiert das Eingangstor in der Hoffnung, dass jemand, den er kennt, eintritt. Wieviele andere Giulios braucht es noch, damit auch der Staat die Unterbringung in Familien fördert, weil er erkennt, dass das die beste Lösung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ist?

Aus dem Italienischen von Susanne Tassé